Pfr. Martin Dubberke

Ernte – Berufung – Entsendung

Liebe Geschwister,

nun ist es soweit: Nach mehr 25 Jahren als Vikar, Prediger und Pfarrer in dieser Gemeinde stehe ich heute nun zum letzten Mal auf dieser Kanzel. Wenn man geht, dann gehört auch das loslassen beim Abschiednehmen dazu. Ich habe hier z.B. einen kleinen Schlüsselbund. Der kleine Schwarze hier, ist der Schlüssel, den ich nun seit 1993 an meinem Schlüsselbund trage. Den habe ich bekommen, als ich Vikar in Silas wurde. Die beiden anderen sind die Königin Luise-Gedächtniskirche und das Gemeindehaus in der Leberstraße. Die kamen später hinzu. Wer geht gibt auch seine Schlüssel ab. Lieber Bruder Hansen, ich bitte Sie kurz zu mir, um Ihnen vor der versammelten Gemeinde die Schlüssel zurückzugeben.So, aber nun widmen wir uns dem Eigentlichen, dem Predigttext, und der steht bei Matthäus im 9. und 10. Kapitel:

Die große Ernte

35 Und Jesus zog umher in alle Städte und Dörfer, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium von dem Reich und heilte alle Krankheiten und alle Gebrechen. 36 Und als er das Volk sah, jammerte es ihn; denn sie waren geängstet und zerstreut wie die Schafe, die keinen Hirten haben. 37 Da sprach er zu seinen Jüngern: Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter. 38 Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende.

Die Berufung der Zwölf

101 Und er rief seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen Macht über die unreinen Geister, dass sie die austrieben und heilten alle Krankheiten und alle Gebrechen.

2 Die Namen aber der zwölf Apostel sind diese: zuerst Simon, genannt Petrus, und Andreas, sein Bruder; Jakobus, der Sohn des Zebedäus, und Johannes, sein Bruder; 3 Philippus und Bartholomäus; Thomas und Matthäus, der Zöllner; Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Thaddäus; 4 Simon Kananäus und Judas Iskariot, der ihn verriet.

Die Aussendung der Zwölf

5 Diese Zwölf sandte Jesus aus, gebot ihnen und sprach: Geht nicht den Weg zu den Heiden und zieht nicht in eine Stadt der Samariter, 6 sondern geht hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel. 7 Geht aber und predigt und sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. 8 Macht Kranke gesund, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus. Umsonst habt ihr’s empfangen, umsonst gebt es auch. 9 Ihr sollt weder Gold noch Silber noch Kupfer in euren Gürteln haben, 10 auch keine Tasche für den Weg, auch nicht zwei Hemden, keine Schuhe, auch keinen Stecken. Denn ein Arbeiter ist seiner Speise wert.

Matthäus 9,35–10,1(2–4)5–10

Liebe Geschwister,

Ernte – Berufung – Aussendung. So lauten die drei entscheidenden Stichworte aus den Überschriften, mit denen in der Luther-Bibel der Predigttext aus dem Matthäus-Evangelium gegliedert wird.

Schon allein daraus ergeben sich die entscheidenden Koordinaten für diese Predigt.

Solcherweise auf den Text eingestimmt, fällt dann aber nach den Überschriften der Blick auf den eigentlichen Bibeltext, wo Jesus sagt:

Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter. Darum bittet den Herrn, dass er Arbeiter in seine Ernte sende.

Und dann ruft er seine Jünger zusammen und gibt ihnen die Macht über die unreinen Geister, dass sie die austreiben und alle Krankheiten heilen und schließlich sucht Jesus seine Jünger aus, allerdings mit einem entscheidenden Hinweis:

Geht hin zu den verlorenen Schafen aus dem Haus Israel. Geht aber und predigt und sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Macht Kranke gesund, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus. 

Was für eine Stellenbeschreibung?!?! Was für ein Auftrag. – Also, fassen wir zusammen:

Aus der Sicht von Jesus gibt es zu wenige Arbeiter oder –  in diesem Fall zutreffender – geistliche Fachkräfte und für die wenigen gibt es viel zu viel zu ernten. Das ist doch irgendwie ganz anders als wir es heute bei sinkenden Mitgliederzahlen in unseren Kirchen wahrnehmen. Aber sagen wir es mal so, wenn wir nicht ernten oder auch nicht verstehen zu ernten oder nicht genug Arbeiterinnen und Arbeiter ernten gehen, gehen große Teile der Ernte verloren. Und sehen wir es einmal so: Wir hatten in Königin Luise und Silas mal gemeinsam drei Pfarrer – komisch, nie eine Pfarrerin. Naja, vielleicht folgt mir hier ja auch mal eine Pfarrerin, so wie im LAFIM und im Bonhoeffer-Haus Frauen meine Nachfolge angetreten haben. Es würde der Gemeinde guttun. Aber das nur so als ex tempore ganz nebenbei 😉 Das bedeutet für mich aber nicht, dass alles nur an den Pfarrerinnen und Pfarrern liegt. Gemeinde ereignet sich aus der Gemeinschaft derer heraus, die eine Gemeinde bilden. Sie sind diejenigen, die gemeinsam in die Ernte gehen und dabei ist der Pfarrer oder die Pfarrerin nur eine von vielen in der Erntearbeit.

Für mich wird hier deutlich, dass die Arbeit, die Ernte größer ist, als wir immer glauben, wahrnehmen oder sagen, dass es ein Potential gibt und genug, mehr als genug Menschen, die gerne geerntet werden möchten. Das habe ich in meinem Leben in so vielen Gesprächen mit Menschen, die keiner Kirche angehören, erlebt und erfahren. Es gibt da in ihnen einen Samen, der zu einem kleinen Keimling wird, der bei guter Pflege, dem guten Gespräch, dem gemeinsamen Erleben, was das Evangelium in der Tat, im Handeln bedeutet, wächst und wächst bis ein „Ja, ich glaube“ ausgesprochen wird.

Und dann fällt mir noch etwas auf. Jesus hat sehr früh und schnell erkannt, dass er den Job auf Dauer nicht allein schaffen wird, sondern weitere Menschen an seiner Seite braucht, weil das Unternehmen Jesus schnell expandieren würde – schließlich geht es um das nahende Himmelreich. Also hat er das getan, was ein verantwortungsbewusster Unternehmer tut: Er hat ein Trainee-Programm für geistliche Fachkräfte aufgelegt. Er hat Jünger – also Trainees – rekrutiert, sie ausgebildet, Wissen und Erfahrung geteilt, befähigt und vor allem vertraut. Das waren die berühmten zwölf Jünger. Sie sollten in seinem Geiste das Unternehmen Evangelium fortsetzten und fortführen. Und damit verfügte Jesus über eine weitere sehr wesentliche Eigenschaft: Er konnte abgeben und loslassen. Und, dass Jesus und dann seine Trainees erfolgreiche Arbeit geleistet haben mit all dem, was sie unternommen haben, können wir schon allein daran erkennen, dass wir hier heute zweitausend Jahre später in dieser Kirche zusammenkommen und uns in seinem Namen und dem des Vaters und der Heiligen Geistes versammeln.

Vielleicht mag ja auf den einen oder anderen das Wort „Unternehmen“ in diesem Zusammenhang unangebracht wirken, aber was heißt denn das Wort im eigentlichen Sinne? Unternehmen ist ein Handeln. Ich unternehme etwas. Ich unternehme es zu predigen, das Evangelium zu verkündigen. Ich unternehme etwas für oder gegen. Ich unternehme es mit anderen zusammen. In der Gemeinschaft mit dem Heiligen Geist unternehmen wir als Gemeinde etwas. Wir unternehmen gemeinsam, der Stadt Bestes zu suchen. Wir unternehmen etwas gegen Missstände, die die Schöpfung Gottes gefährden, den Frieden zwischen uns und in der Welt. Das unternimmt nicht ein Pfarrer allein, sondern er unternimmt es mit seiner Gemeinde zusammen.

So, und dann fällt mir noch ein Drittes auf. Die Jünger sollen sich ausschließlich um die verlorenen Schafe Israels kümmern, ausschließlich zu ihnen gehen. Heißt das nicht, dass wir heute als Kirche in der Nachfolge Jesu und der Jünger besonders zu denen gesandt sind, die verlorene Schafe unserer Kirche sind, also denen, die ausgetreten sind oder schon in der x-ten Generation nicht mehr zur Kirche gehören? Seit 1933 haben wir insbesondere in unserer Region eine Tradition des Kirchenaustritts. Seit vier Generationen sind manche Familien schon der Kirche verloren gegangen. Sie wissen kaum noch, was das Evangelium ist, was das nahende Himmelreich bedeutet, geschweige denn, was ein Altar ist oder eine Kanzel. Und dennoch schlummert in ihnen ganz viel Glaube. Viel mehr als wir immer glauben zu wissen. Um das zu erkennen, bedarf es zuweilen ganz wenig. In meinen Seminaren für Kolleginnen und Kollegen ohne Kirchenmitgliedschaft im Landesausschuss für Innere Mission habe ich das immer wieder mit Hilfe einer kleinen Übung erfahren können: Wir sind in eine Kirche gegangen und haben dann, jeder allein in einer Kirchenbank sitzend, fünf Minuten geschwiegen und nur in die Stille des Kirchenraumes hineingehört. Es ist schon spannend, was da passiert und dann nach dieser kleinen spirituellen Übung erzählt wird. Ich habe im Laufe meiner Jahren in Brandenburg eine wichtige Erfahrung gemacht: Die Erde ist hier an diesem Ort nicht unfruchtbar, aber wie eben in des Heiligen Römischen Reiches Streusandbüchse üblich, ist es harte Arbeit diesem Boden eine Ernte abzutrotzen. Aber es ist reiche Ernte möglich.

Ich habe aber noch eine weitere Erfahrung gemacht. Wenn wir nach den verlorenen Schafen suchen, brauche ich auch ein Team von Menschen, die mit mir gemeinsam suchen gehen, und das ist die Gemeinde. Und bei all dem dürfen wir nicht die Menschen in unserer Gemeinde vernachlässigen, damit sie nicht verloren gehen. Wir müssen sie befähigen, ermutigen, damit wir nicht selbst auf der Suche verloren gehen.

Und dann hat Jesus seinen Jüngern auch die Macht über die unreinen Geister gegeben, dass sie sie austreiben können und sollen.

Macht Kranke gesund!

Das tun wir mit unserer Diakonie und auch mit unserer Fürbitte und Seelsorge.

Weckt Tote auf!

Wer ist tot und was ist tot? Das ist eine spannende Frage. Es könnte ja auch die Aufforderung sein, solche aufzuwecken, die der Gemeinde gestorben sind…

Macht Aussätzige rein!

Was ist denn heute Aussatz? Wie können wir heute die Aufforderung verstehen, Aussätzige rein zu machen. Darüber könnten und sollten wir mal fröhlich nachdenken. Das wäre schon Thema genug für eine Predigt oder gar eine ganze Predigtreihe. Doch eine Botschaft wird mit diesem Auftrag deutlich: Niemand muss außen vor sein oder bleiben. Wir haben die Möglichkeit erhalten, zu heilen und sie wieder in unsere Mitte zu nehmen.

Treibt Dämonen aus!

Für all das hat Jesus seine Trainees, seine Jünger begabt und in der Nachfolge haben sie uns begabt und auch dazu befähigt. Und das gilt nicht exklusiv für Pfarrerinnen und Pfarrer, sondern für alle Christinnen und Christen, weil wir alle als sein Arbeiterinnen und Arbeiter in seinem Weinberg unterwegs sind. Und wenn ich da an die Dämonen denke, so habe ich da schon die eine oder andere Vorstellung davon, wie die aussehen und sich anhören können, diese mächtigen bösen Geister – egal welche Sprache sie sprechen. O ja, Dämonen sind keine Vergangenheit, sondern sind auch in der Gegenwart, in unserer Gesellschaft wach und umtriebig wie schon lange nicht mehr.

Und da bedarf es nur weniger Worte, um deutlich zu machen, worum es geht. Heute am 21. Juli wird es noch deutlicher, wenn wir daran denken, was gestern und heute vor 75 Jahren in diesem Land passiert ist. Am 21. Juli 1944 wurden Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Ludwig Beck, Henning von Treskow, Werner von Haeften, Friedrich Olbricht und viele andere ermordet, nachdem sie am 20. Juli mit einem Attentat versucht hatten, das Nazi-System zu beenden. Und in der Folge dieses Attentats wurden noch bis zum Ende der Nazizeit Menschen ermordet, die gegen diese Dämonen angegangen sind. Dazu gehören auch Klaus und Dietrich Bonhoeffer, Rüdiger Schleicher, Hans von Dohnanyi und noch viele, zu viele andere.

Das System ist zwar untergegangen, aber die Dämonen leben noch immer und es liegt an uns, sie auszutreiben.

Also fassen wir zusammen: Jede und jeder Einzelne von uns wird gebraucht, um die verlorenen Schafe wiederzufinden, Kranke zu heilen, Dämonen auszutreiben, Tote aufzuwecken, Aussätzige rein zu machen.

Ja, natürlich könnte ich jetzt an dieser Stelle auch über meine Ernte nach 25 Jahren in dieser Gemeinde nachdenken, meine Berufung und Aussendung. Aber so verführerisch dieser Anlass, der Tag meines Abschieds von Euch dafür auch sein mag, geht es doch nicht um mich. Denn ich bin nur einer von vielen Arbeitern im Weinberg Gottes. Und das bedeutet für mich, dass ich dahin gehe, wo mich der liebe Gott hinschickt, weil er mich dort braucht. Und dann gilt es herauszubekommen, warum er mich dort braucht, wo es so schön ist. Ich werde das herausfinden und Euch berichten.

Amen.

Meine Abschiedspredigt nach 25 Jahren als Vikar, Prediger und Pfarrer im Ehrenamt in der Königin-Luise-Gedächtniskirche der Evangelischen Königin-Luise-Silas-Gemeinde in Berlin-Schöneberg am 5. Sonntag nach Trinitatis, dem 21. Juli 2019.