Liebe Geschwister, heute geht es um die Grenzen unserer eigenen Weisheit. Wir sind schon ganz schön schlau und haben über die Millionen von Jahren, die es uns Menschen seit der Erschaffung durch Gott schon gibt, ganz schön weiterentwickelt. Wir haben viele Dinge erkannt, vieles erfunden, uns immer wieder verrannt und alles verloren.
Wären wir weise, gäbe es keine Umweltpolitik, kein Fridays for future, gäbe es keine Friedenspolitik, keine Inflation und was weiß ich nicht alles. Wären wir wirklich weise, würde unsere Weisheit bewirken, dass wir mit der Schöpfung und unserem Nachbarn und unseren Ressourcen in Einklang leben würden.
Aber, spätestens seit wir von der berühmten verbotenen Frucht im Paradies gekostet haben, wollten wir mindestens so schlau und weise wie Gott sein. Doch was ist passiert?
Wie gut, dass wir alle so weise sind, dass ich das jetzt nicht weiter ausführen muss. Ihr habt verstanden. Die Weisheit des Menschen hat Grenzen. Manche Weisheit ist von der Macht korrumpiert. Wieder andere Weisheit ist vom Kapital korrumpiert und manche Weisheit vom Schlimmsten Feind, der eigenen Behäbigkeit.
So, und nun stehe ich armer Mann hier auf dieser Kanzel und soll Euch lehren, wie es in Martin Luther Sakristei-Gebet heißt:
Aber weil du mich zum Hirten und Lehrer des Wortes gesetzt hast, das Volk auch der Lehre und des Unterrichts bedürftig ist, so sei du mein Helfer und lass deinen heiligen Engel bei mir sein.
Wie schlau von Luther, dass er den Höchsten und seinen heiligen Engel bei dieser Aufgabe zur Hilfe angefordert hat. Denn auch Luther wusste um seine Grenzen.
So, und nun stehe ich hier auf dieser Kanzel. Sie ist nicht besonders hoch und auch nicht sonderlich wuchtig, aber es ist eine Kanzel. Ob Ihr es mir glaubt oder nicht, aber ich habe in dieser Woche einen Essay über eine Pfarrerin in St. Gallen gelesen, die im Gottesdienst mit einer Kettensäge die Kanzel in ihrer Kirche ab- und zersägt hat. Dazu gab es noch ein paar eindrückliche Bilder, wie sie im Talar fröhlich strahlend die Kettensäge emporhält.
Warum hat sie das getan? Und warum ist niemand dazwischen gegangen und hat sie davon abgehalten?
Ihr Kollege in der Gemeinde, Pfarrer Uwe Habenicht, schreibt in seinem Essay:
Nicht etwa aus Frust oder Enttäuschung, weil niemand mehr ihre Predigten hören will, sondern als symbolische Geste: Die Zeiten der Predigtmonologe könnten endgültig vorbei sein. Wir sollten mehr zuhören und auf Augenhöhe Erfahrungen austauschen. (Habenicht, 2022)
Nun soll aus der Kanzel, dem „Monolog-Möbel“ schlechthin, ein Ort des Gesprächs werden, ein gemeinschaftlicher Tisch.
Als ich diesen Essay las, dachte ich auf der einen Seite: Recht hat sie. Und auf der anderen Seite stellte ich mir vor, was passieren würde, wenn ich mit einer Motorsäge ankäme und die Kanzel einfach wegsägen würde. Tja, und dann las ich einen Tag später den Predigttext und blieb mit meinen Gedanken an diesen Versen hängen:
…und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten der Weisheit, sondern im Erweis des Geistes und der Kraft, auf dass euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft. 1. Korinther 2,1-10
…und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten der Weisheit…
Je länger ich über diese Worte nachdachte, desto mehr dachte ich über mein Predigen nach. Was will ich eigentlich? Will ich Euch dazu überreden, Euer Leben zu ändern, wo es nötig scheint?
Wer bin ich? Auch meine Weisheit ist nur menschliche Weisheit mit all ihren Grenzen und Beschränkungen. Und ich merkte, dass in mir ein Unbehagen aufkam, dieses Mal von der Kanzel aus zu predigen, weil meine Weisheit wie auch Eure Weisheit nur menschliche ist, die Sehnsucht nach dem Wirken der göttlichen Weisheit hat.
[Ich verlasse die Kanzel und predige vor den Altarstufen.]
Doch dann lese ich noch einmal beide Verse und mir geht ein Gedanke auf, als ich lese:
…sondern im Erweis des Geistes und der Kraft, auf dass euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft…
Ja, es gibt einen Unterschied zwischen Paulus und seiner Gemeinde in Korinth. Paulus hatte sein Jesus-Erlebnis. Paulus war direkt von Jesus beauftragt worden, das zu tun, was er tat. Und genau diese Begegnung war seine besondere Kraftquelle, die ihn über sich selbst hinauswachsen ließ, die die Strapazen eines ewig Reisenden auf sich nehmen ließ, der kein Zuhause hatte und wo immer er ankam ein Fremder war, außer in den Gemeinden, die er gegründet hatte. Seine Gemeinden waren ihm zur Heimat geworden, zur Familie. Und er litt, wenn es ihnen nicht gut ging.
Aber, das ist jetzt gar nicht das, worauf ich hinauswill. Paulus war der Mann, der das Glück hatte, Jesus begegnet zu sein. Jesus, der Gekreuzigte, der Auferstandene, der in den Himmel Aufgefahrene hat einmal vor ihm gestanden und mit ihm gesprochen. Aus dieser Begegnung zog er diese Power, diese Energie, diese BeGeisterung und vor allem die Erkenntnis, dass menschliche Weisheit eine begrenzte ist Weisheit ist, dass es nicht um Menschenweisheit, sondern um Gottesweisheit geht.
Und es geht – auch das habe ich aus diesen Versen mitgenommen – in der Predigt nicht um die Weisheit, sondern um die Kraft des Geistes.
Paulus hebt hervor, dass unser Glaube sein Fundament nicht in der Weisheit des Menschen hat, sondern in dem wie sich Gott uns Menschen gezeigt hat.
Denken wir nur an Mose, der unbedingt die Herrlichkeit Gottes sehen wollte. Man muss sich das mal vorstellen. Mose, der ja nun wirklich in einem engen kommunikativen Kontakt mit Gott gestanden hat. Dieser Mann, der es besser wissen musste als alle anderen Menschen, dass es diesen Gott gibt, und wessen er fähig ist. Dieser Mann bittet nun Gott, ihm seine Herrlichkeit zu zeigen. Und Gott zog an ihm vorüber und auch, wenn Mose Gott nur von hinten sehen konnte, hat er ihn gesehen. Gott hat sich ihm gezeigt.
Und uns? Uns hat sich Gott in Jesus Christus gezeigt. Das ist die Kraft, von der Paulus spricht. Das ist die Kraft, in der unsere Hoffnung gründet. Das ist die Kraft, aus der heraus wir glauben.
Ja, Ihr habt recht. Niemand von uns hat Jesus gesehen. Niemand von uns hat den Gekreuzigten gesehen. Niemand von uns hat den Auferstandenen gesehen. Und dennoch sitzen wir hier und glauben daran, dass es so ist.
Wenn sich nicht darin die Kraft Gottes zeigt, dann weiß ich auch nicht, welcher Beweise und Zeichen es noch braucht, dass es Gott gibt.
Und genau das meint Paulus. Wenn wir uns auf die Menschenweisheit verlassen, werden wir blind für diese Zeichen.
Wenn sich die Jünger Jesu bei der Hochzeit zu Kana auf die Menschenweisheit verlassen hätten, hätte es am späten Abend der Hochzeit nicht den besten Wein gegeben, sondern Wasser.
Paulus versucht uns mit seiner Predigt aus der Enge der Menschenweisheit in die Weite der Gottesweisheit zu lotsen. Und so schreibt er seinen Korinthern:
7 Sondern wir reden von der Weisheit Gottes, … 8 die keiner von den Herrschern dieser Welt erkannt hat; denn wenn sie die erkannt hätten, hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt.
Was für eine Rhetorik? Hätten die Herrschenden dieser Welt die Weisheit Gottes erkannt, hätten sie Jesus nicht gekreuzigt. Damit stellt Paulus die Herrschenden bloß und weist zugleich auf die Konsequenzen hin, die sich aus dieser Menschenweisheit ergeben, dass die Weisheit des Menschen ihre Begrenztheit durch den Menschen hat und Gott nicht erkennen lässt, ja, den Sohn Gottes sogar ermorden lässt. Drastischer kann man es kaum ausdrücken. Würden nämlich die Herrschenden die Weisheit Gottes erkennen und in ihrem Handeln zulassen, hätten wir Frieden auf dieser Welt. Dann müssten wir jetzt z.B. nicht all die Nachrichten über russische Soldaten an der Grenze zur Ukraine lesen und hören und sehen. Dann gäbe es kein Brot für die Welt, weil es Brot für die Welt gäbe. Wir würden in einer vollkommen anderen Welt leben.
Und dann hält Paulus uns noch etwas anderes vor Augen, indem er Jesaja zitiert. Ist eben doch manchmal schon praktisch, wenn man ein wenig bibelfest ist:
»Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.« Jesaja 64,3
Was tun wir Menschen denn, wenn wir jemanden lieben? Genau: Wir tun alles, um ihn nicht zu verlieren. Wir verändern sogar unser Leben, weil wir jemanden lieben, weil uns der andere wichtig ist. Und genauso ist es, wenn wir Gott lieben. Die Liebe zu Gott verändert unser Leben.
So, und dann erinnert Paulus im gleichen Atemzug seine Korinther an Pfingsten:
10 Uns aber hat es Gott offenbart durch den Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen Gottes.
Paulus schreibt nicht, dass Gott sich Dir oder Euch durch den Geist offenbart hat, sondern uns. Das ist ein wichtiger Hinweis, denn „uns“ ist Ausdruck von Gemeinschaft. Nicht ein einzelner hat die Weisheit, sondern Gott hat sich uns allen, die ihn – wie Jesaja sagt – lieben, durch den Geist offenbart. Und dieser Geist ist kein oberflächlicher, sondern einer, der in die Tiefen geht, der über die Konsequenzen des eigenen und gemeinsamen Handelns nachdenken lässt. Und dieser Geist ist einer, der auch die Tiefen Gottes erforscht. Und das bedeutet nichts anderes als danach zu fragen, was Gott von uns in dieser oder jener Situation erwartet und nicht, was die Situation von uns erwartet. Das ist ein kleiner, aber sehr entscheidender Perspektivwechsel, den Paulus bei seinen Korinthern, und damit auch bei uns bewirken möchte.
Genau deshalb habe ich heute die Kanzel verlassen, weil auch das für uns alle ein Perspektivwechsel ist. Ihr hört mir aus einer anderen Perspektive zu, weil Ihr nicht nach oben schauen müsst und ich spreche mit Euch aus einer anderen Perspektive, weil ich nicht von oben spreche.
Gott erwartet nämlich den Perspektivwechsel nicht stellvertretend allein von mir dem Pfarrer, sondern von uns allen gemeinsam und deshalb müssen wir miteinander reden und gemeinsam die Tiefen Gottes erforschen.
Amen.
Pfr. Martin Dubberke, Predigt am 2. Sonntag nach Epiphanias, 16. Januar 2022 über 1. Korinther 2, 1-10, Perikopenreihe IV in der Erlöserkirche zu Grainau und der Johanneskirche zu Partenkirchen
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