Pfr. Martin Dubberke

Die guten alten Zeiten… von wegen!

Predigt über Jeremia 1, 4-10

Wenn ich so die Bibel lese, habe ich zuweilen den Eindruck, dass das Leben damals in mancherlei Beziehung einfacher war. Da kam der HERR einfach auf jemanden zu und sagte zu ihm: „Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete.“ Und dann erzählt er dem betreffenden auch noch, dass er ihn für eine besondere Aufgabe vorgesehen hat.

Herzlichen Glückwunsch, Jeremia! Du bist ein echter Glückspilz. Millionen Menschen wünschen sich, dass ihnen jemand sagt, wer sie sind und was ihr Lebensauftrag und damit Lebenssinn ist. Millionen Menschen verzweifeln daran, dass sie es nicht wissen. Sie gehen auf die Suche. Vor vierzig Jahren waren da indische Ashrams sehr beliebt. Dann hatten Schamanen ihre Hochkonjunktur. Viele suchen ihre Bestimmung in den Sternen oder bei fundamentalistischen Sekten und werden anfällig für das Extremistische, weil man ihnen ein vermeintliches Paradies oder eine neue Weltordnung verspricht.

Nicht zu wissen, warum man hier auf dieser Erde lebt, wer man ist und, ob man überhaupt einmal gewollt wurde, als man gezeugt wurde, kann schwer auf die Seele drücken, so schwer, dass man die Schmerzen kaum aushält. Nicht zu wissen, welchen Job, welchen Auftrag und welches Ziel man hier auf Erden hat, kann zu einer kaum aushaltbaren Leere in einem Menschen führen – ein Vakuum, das einen am Ende das Heil in Drogen und schließlich im Tod suchen lässt.

Im besten Fall suchen die Menschen einen Psychotherapeuten auf, um den Sinn ihres Lebens zu finden.

War früher aber wirklich alles besser und einfacher? Wenn Gott plötzlich vor einem stand und sagte: „Du, ich habe einen Job für Dich!“ klang das wahrscheinlich weniger absurd als heute. Es war einfach wahrscheinlicher, nicht für gaga gehalten zu werden, wenn man dann auch noch darüber sprach. Die Menschen waren dem Göttlichen noch näher als heute. Sie waren ihm nicht so entwöhnt. Das Göttliche war selbstverständlicher als heute.

Gut, wir wissen aus der Geschichte der Propheten, dass die kein leichtes Leben mit ihrem Auftrag hatten, wenn man mal von Jona absieht. Aber es war einfach selbstverständlicher, dass es Menschen gab, die von sich sagten, dass sie von Gott einen Auftrag erhalten hatten. Das Sprechen darüber war selbstverständlicher.

Stellen Sie sich mal vor so ein Buch wie das des Propheten Jeremia wäre nicht vor rund 2600 Jahren entstanden, sondern heute. Wie würde man dem Buch begegnen? Ich bin mir verhältnismäßig sicher, dass dieses Buch wahrscheinlich in einem Regal mit Nostradamus & Co. landen würde. Allein solche Sätze wie „Und des HERRN Wort geschah zu mir“ würden dafür sorgen.

Es hätte aber auch gute Chancen in einem Regal mit Gesellschaftsanalysen von Hans-Olaf Henkel, Helmut Schmidt und anderen wie Stephane Hessel mit seinem Büchlein „Empört Euch!“ zu stehen. In diesen Büchern der modernen Propheten wird mit äußerster Präzision die gesellschaftliche Situation analysiert, werden die Ursachen für die Wirtschaftskrise benannt und gesagt, was man stattdessen tun sollte. Solche Bücher stehen sogar auf den unterschiedlichen Bestseller-Listen. Hier ein paar Beispiele:

· Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt

· Empört Euch!

· Boomerang – Europas harte Landung

· Wie wir den Euro retten und Europa stärken

· …

Diese Bücher verkaufen sich wie geschnitten Brot. Aber sie ändern nichts. Über das eine oder andere Buch zieht die Presse her und in mancher Talkshow – also den Foren der Gegenwart – empört man sich stellvertretend für das Volk. Aber hat auch nur eines dieser Bücher etwas geändert? Nein!

Und jetzt stellen Sie sich mal vor, ich würde meine Predigt mit den Worten beginnen: „Und des HERRN Wort geschah heute Nacht zu mir: Martin, ich kannte Dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitet habe, und ich sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker. Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund.“ Und dann würde ich an Gottes Stelle reden.

Seien Sie ehrlich, Sie würden sich doch fragen, in welchem Film Sie sitzen und manch einer würde überlegen, ob er mich nicht beim Bischof anzeigen sollte. Ich würde dann zu einem freundlichen Gespräch vor einer bischöflichen Kommission eingeladen, wo ich stock- und steif weiter darauf beharren würde, dass mir Gott begegnet sei, mir gesagt habe, dass er mich schon vorgeburtlich dazu bestimmt hätte, sein Prophet zu sein. Und ja, es stimmt, dass Gott mit seiner Hand meinen Mund berührt hat und mir seine Worte in den Mund gelegt hätte. Ich vermute, man würde mir mit einer wohl formulierten theologischen wie psychologischen Begründung meinen Predigtauftrag entziehen.

Tja, was soll ich dazu sagen? – Unsere Zeiten heute sind keinen Deut besser als vor 2600 Jahren als Jeremia als Prophet des HERRN unterwegs war. Die Menschen fanden es vielleicht interessant, was er gesagt hat. Sie haben ihm vielleicht sogar zugestimmt, aber sie haben in den wenigsten Fällen Konsequenzen daraus gezogen. Sie haben die Propheten verfolgt, eingesperrt, für verrückt erklärt, sie vielleicht auch hingerichtet, weil man die Wahrheit, der man sich durchaus bewusst sein konnte und vielleicht auch war, nicht hören wollte.

Das fängt doch schon im Kleinen an. Stellen Sie sich mal vor, sie lernen jemanden kennen und der sagt innerhalb der ersten zehn Minuten: Na, Sie sind aber ganz schön dick. Sie sollten mal mehr auf ihre Gesundheit achten und das, was Sie da in sich hineinschaufeln. Ich wette, so einer ist bei Ihnen doch sofort durch. Mit dem treffen Sie sich kein zweites Mal. Er hat die Freundlichkeit gehabt, den Finger in Ihre Wunde zu legen. Sie wissen ja, dass es so ist, aber Sie wissen auch, wie oft sie es sich schon vorgenommen haben, das zu ändern und wie oft Sie schwach geworden sind. Wie kann es jemand wagen, Sie mit Ihrer eigenen Schwäche zu konfrontieren?

Und was passiert am Ende? Sie futtern weiter, schon allein, weil Sie sich über den Kerl ärgern und ihm keine Macht über sich selbst eingestehen wollen. Sie futtern jetzt erst recht weiter und fressen sich so in die Katastrophe. Schlagen alle Warnungen in den Wind und plötzlich schlägt der Körper zurück und sie denken an den Propheten: Hätte ich mal. Doch dann ist es zu spät.

Als das Wort des HERRN zu Jeremia geschah, meinte er, nicht zum Predigen zu taugen, weil er sich zu jung wähnte.

Jeremia war aber von Gott geplant, bevor er ihn im Mutterleibe bereitete. Jeremia besaß ein Pfund, mit dem er nun wuchern musste.

Apropos Pfund. Das erinnert doch an das Evangelium heute. Drei Knechte, dreimal anvertraute Pfunde. Zwei wucherten damit und gewannen. Einer vergrub es und verlor alles.

Hier hält uns Jesus den Spiegel vor. Wer bist Du? Zu welcher Kategorie Knecht gehöre ich? Bin ich der Wagemutige oder bin ich der Verzagte, der sein Pfund verbuddelt?

Was soll ich sagen? Wir sind alle Propheten Gottes. Er hat uns das Pfund, mit dem wir wuchern können in unsere Hände gegeben: Sein Wort, sein Gesetz, seine Liebe, seine Gnade. Zusätzlich hat er uns noch ein Manual, ein Handbuch in die Hand gegeben: Die Bibel. Sie ist die Hand, mit der er unseren Mund berührt. Die Bibel ist voll von Geschichten des Glaubens. Sie ist voll von Geschichten des Scheiterns und Gelingens. Sie ist aufgeschriebene Glaubenserfahrung, was passiert, wenn man es mit der Sache Gottes nicht wirklich ernst nimmt, wenn man sich nicht traut.

Jemand, der seinen Glauben nur in den Mauern der Kirche lebt und nicht nach draußen trägt, der ist wie der dritte Knecht, der das eine Pfund Gottes vergraben hat. Derjenige, der denkt, auf Nummer sicher zu gehen, vergeudet am Ende das göttliche Pfund. Wer aber mit dem Pfund Gottes da vorne aus der Kirchentür herausgeht und da draußen damit arbeitet und weder das Pfund noch sich selbst versteckt, dem wird gegeben werden.

Wenn alle nur wissen, wie man es machen könnte, es aber nicht tun, dann passiert nichts. Dann kann sich nichts ändern.

Der Glaube, ist ein Geschenk Gottes und er ist jedem von uns anvertraut, um damit zu wuchern. Hey, und was soll uns schon passieren: Wir haben Gott an und auf unserer Seite!

Und wir wissen seit 2600 Jahren, dass Prophet sein auch bedeuten kann, von den Leuten nicht ganz ernst genommen zu werden. Warum soll es uns da besser gehen, als dem alten Jeremia?

Die Heilige Schrift ist das Wort Gottes, das uns der HERR in unseren Mund gelegt hat. Mit diesem Wort erkennen wir, wo wir gegen Missstände angehen müssen und wo wir aufbauen und pflanzen müssen.

Die Berufung Jeremias macht auf eindrückliche Weise deutlich, dass es Gott und sich selbst gegenüber kein Argument gibt, nicht zu predigen. Keiner ist dafür zu jung, zu dumm oder was auch immer. Der Glaube und das damit verbundene Handeln sind weder an Alter, noch an Intellekt oder ein Amt gebunden. Jeder taugt dazu, wenn er offen wird für das Wort Gottes und das Gespräch mit Gott.

Und so kann ich sagen: Ja, das Wort Gottes geschah zu mir. Und ich habe Situationen in meinem Leben erlebt, in denen ich schier verzweifelt wäre, wenn das nicht der Fall gewesen wäre. Weil er mir die Augen geöffnet hat und so mancher, der meinte, Macht über mich zu haben, am Ende, ohne es selbst zu merken – welche Ironie des Schicksals – nur ein Werkzeug Gottes war, um mich auf den Weg zu lenken, für den er mich vorgesehen hat.

Das alles funktioniert aber nur, wenn Gott in meinem Leben eine unbegrenzte Selbstverständlichkeit ist und hat. Ich kann Gott aus keinem Bereich meines Lebens ausschließen. Täte ich es, würde ich alles verlieren.

Jeremias Berufung

Und des HERRN Wort geschah zu mir: Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker.

Ich aber sprach: Ach, Herr HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung.

Der HERR sprach aber zu mir: Sage nicht: »Ich bin zu jung«, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete. Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR.

Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund.

Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, dass du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen.