Pfr. Martin Dubberke

Die Ausweitung der Kampfzone

Die Protagonisten der Kampfzone sind Mitte bis Ende Zwanzig, ja noch Anfang Dreißig. Wer älter ist, ist im Prinzip schon längst in der einen oder anderen Form tot oder abgeschrieben. Entweder sie nehmen sich das Leben oder spielen mit dem Gedanken daran oder verunglücken tödlich. Das Leben hat keinen wirklichen Wert mehr. Du machst Deinen Job, natürlich in der IT-Branche als Sinnbild der Geschwindigkeit sich wandelnder Werte.Sex ist nicht mehr als eine Ware oder das Entlüftungsventil eines Schnellkochtopfes. Und eigentlich ist Sex nur eine weitere Form, sich in eine wie auch immer geartete Abhängigkeit zu bringen, was unbedingt verhindert werden muß. Also masturbiert Mann, um sich den Frauen, die sich durch Methodologie entweder neutralisieren oder durch Psychoanalyse verselbständigen, zu entziehen, ihnen auch nicht mehr gewachsen zu sein und das aneinander gewiesen zu sein zu leugnen.

Jeder soziale Kontakt mündet in der Sprachlosigkeit. Tod der Kommunikation. Die Menschen haben einander nichts mehr zu sagen. Das Erleben sexueller Lust, purer Lust in der romantischen Verschmelzung, das bloße visuelle Erleben dessen ist so unglaublich, so unaushaltbar prächtig, dass Mann danach nur noch wahnsinnig werden kann oder, wie der junge Raphaël, in den Tod fahren kann. Bezeichnenderweise fährt er einem Lastwagen auf, weil er mit der Last, seine Männlichkeit niemals wirklich ausleben zu können, niemals wirklich geliebt zu werden, nicht mehr aushalten kann.

Die andere Möglichkeit, die bleibt, ist die Depression. Der wunderbare Weg in die Depression als Metapher einer abgespeisten Generation, die egal in welcher Richtung, ob nach oben oder unten auf der sozialen oder beruflichen Karriereleiter nur nach unten fallen kann.

Der Glaube spielt keine Rolle mehr, weil die Religionen, die Kirchen selbst gelähmt oder korrumpiert sind und so keine zuverlässige und vertrauenswürdige Orientierung und damit Alternative bieten kann.

Der Befund des Psychiaters lautet „verlangsamte Ideation“. Es ist der Befund für eine ganze Generation, die so gänzlich anders ist als die Generation des Übergangs, sprich die Generation der Enddreißiger.

Auch wenn der Drive, die Hektik, die durch die kurzen, meist nicht mehr als drei Seiten lang, beim Lesen entsteht, im letzten Drittel durch die länger und langatmiger werdenden Kapitel der Selbstbetrachtung arg retardiert und fast in Langeweile umschlägt, ist der Roman als Zeugnis einer Generation lesenswert.

Michel Houellebecq, Ausweitung der Kampfzone, erschienen bei rororo