Pfr. Martin Dubberke

Aller Anfang ist schwer

Was ist für Sie ein Übeltäter? Wann haben Sie selbst das Wort zum letzten Mal in den Mund genommen? Eigentlich ist das doch ein absolut altmodisches Wort. Gibt man das Wort „Übeltäter“ bei Google ein, erscheinen ungefähr 1.080.000 Ergebnisse in 0,25 Sekunden.

Ich denke bei Übeltätern zuerst an die Männer, die ich einmal in der Woche abends für zwei Stunden berate. Jetzt werden sie sich fragen: Mit wem verbringt der Dubberke denn so seine Freizeit? Neben Familie, LAFIM, Kirche engagiere ich mich auch gesellschaftlich. Dafür habe ich vor vielen Jahren mit zwei Freunden zusammen einen Verein gegründet. Und hier beraten wir Männer und Frauen, die gewalttätig sind. Also, Menschen, die anderen Übles getan haben.

Da sind Männer dabei, die ihre Frauen geschlagen haben, die andere Menschen auf der Straße verprügelt haben, da sind Frauen dabei, die einen Mann niedergestochen haben. Es kommen Menschen von nebenan und Menschen aus dem Knast zu uns.

Und nun stelle ich mir mal vor, ich würde am Abend die Runde mit folgendem Satz beginnen: „Ihr Übeltäter, lasst von Euren Gedanken und bekehrt Euch zum Herrn, denn bei ihm ist viel Vergebung!“

Da könnte es mindestens zwei Reaktionen geben. Die einen würden vielleicht sagen: „Spinnt der Typ, will der uns jetzt missionieren?“ oder sie könnten auch sagen: „Was, so einfach ist das Ganze? Und warum soll ich dann ein halbes Jahr zu Ihnen kommen?“

In dem Fall würde ich antworten: „Stimmt, es ist eigentlich ganz einfach. Aber es ist ein langer Weg, um von den Gedanken zu lassen.“

Und damit bin ich schon beim Lehrtext. Hier ist die Rede von einem Sünder, der Buße tut. Und was heißt nun Buße? Buße ist die vollkommene Neuausrichtung seines Lebens, nachdem man erkannt hat, dass man selbst etwas Übles – um bei dem Wort zu bleiben – getan hat und es nicht so einfach über einen gekommen ist. Und mehr noch, man hat auch erkannt und eingestanden, warum man das Üble getan hat. Erkennen, Bekennen und Umkehr – also Neuausrichten – bedeutet Buße tun. Und natürlich sind dem lieben Gott solche Menschen lieber als die neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen, denn wer seine Sünde bekennt, hat auch verstanden, warum das, was er getan hat, schlecht war. Er hat die Folgen seines Handelns erkannt und hat vor allem auch die Ursachen seines Handelns erkannt, also das, was ihn – sagen wir es mal so – getrieben hat. Und deshalb kann er sich vom alten Leben abwenden, also umkehren und mit Gott einen neuen Weg gehen.

Also, wenn wir noch einmal einen Blick auf meine gewalttätigen Menschen werfen, ändert das auch noch einmal die Perspektive, mit der ich diese Menschen wahrnehme. Jeder dieser Männer oder Frauen, trägt und bewegt etwas, was auch ich oder Sie oder Sie in und mit sich tragen, wo es aber nicht zum Ausbruch kommt, weil wir an den lieben Gott glauben und versuchen mehr oder minder uns an seine Spielregeln zu halten. Hier werden Erfahrungen gewissermaßen durch den Glauben eingekapselt. Das muss nicht bedeuten, dass es uns dadurch besser geht. Das kann genauso gut auch heißen, dass wir wie ein Hund leiden, aber wir ziehen andere Konsequenzen für unser Leben.

Der gewalttätige Mensch hat in den meisten Fällen sehr frühe Erfahrungen als Opfer von Gewalt oder seiner Ohnmacht gemacht. Kein Mensch erlebt gerne Ohnmacht, gerade in einer Welt, in der wir alles unter Kontrolle halten wollen, damit uns nichts und niemand gefährlich werden können. Jeder Mensch hat Erfahrungen in seinem Leben gemacht, die Verletzungen und Narben hinterlassen haben. Für solche Menschen ist es verdammt schwierig, jemandem zu vertrauen, also ein Stück weit die eigenen Ängste loszulassen. Da so einfach mal als Allheilmittel das Doppelgebot der Liebe in die Runde zu werfen, ist kein angemessener Weg Und auch nicht besonders schlau. Das wäre ein Wort, das wohl auf steinigen Boden fiele.

Diese Menschen, diese Übeltäter, die manchmal über ihre Tat zerknirscht sind, manches Mal sich mit ihr brüsten und oft nicht zugeben können, dass sie es gewesen sind, die es getan haben, haben eine lange Geschichte hinter sich, die sich zuweilen über Generationen hinwegzieht, wo sich bewahrheitet, was im 2. Buch Mose 20, 5 steht:

Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen.

Die Gedanken der Übeltäter haben sich zum Teil über Generationen in deren Sinne eingefressen, eine Generation gab es an die nächste weiter und so braucht es lange, um hier neue Perspektiven zu eröffnen. Das kann gelingen, wenn ich dem Übeltäter auf der Grundlage des Doppelgebots – also „liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ – begegne und ihn als Geschöpf Gottes annehme. Auch er wurde geschaffen als Gottes Ebenbild. Das ist eine große Herausforderung. Aber anders geht es nicht. Das ist nämlich die Anforderung, die Gott an die neunundneunzig Gerechten stellt. Und weil auch der Mensch, der Übles tut, nach dem Bilde Gottes geschaffen wurde, muss in ihm ein guter Kern sein. Sie glauben gar nicht, auf wie viele durchaus sympathische Menschen ich hier treffe. Ich kann den Menschen nicht verurteilen, sondern nur seine Tat. Und die Tat hat für den Übeltäter Konsequenzen: Trennung, Schmerzensgeld, Bewährungsauflagen, Knast, Sicherheitsverwahrung, was auch immer. Ich habe in den vergangenen zwanzig Jahren viele Männer erlebt, die im Knast sind oder waren. Sie alle eint in der Regel der Wunsch, nie wieder in den Knast zurückgehen zu müssen.

Und genau hier liegt nicht nur die Chance, sondern auch das Problem. Sie haben den Wunsch. Aber der Wunsch allein reicht nicht aus. Es gehört eine vollkommene Abkehr vom alten Leben dazu und vielfach auch von den Menschen, mit denen man sein Leben bis dahin verbracht hat. Ich muss etwas aufgeben. Wenn der Übeltäter von seinen Gedanken lassen soll, muss er etwas aufgeben, was sein Leben bislang in einer gewissen Weise deutlich einfacher gemacht hat. Er ist durch Gewalt einfacher an sein Geld rangekommen, hat einfacher seinen Willen durchsetzen können, u.s.w.

Sich stattdessen zum Herrn zu bekennen, macht die Sache nicht unbedingt einfacher, weil das Doppelgebot die größte Herausforderung Gottes an den Menschen ist, – weil der Mensch nun einmal ein Mensch ist.

Auf der anderen Seite wird durch das Loslassen der üblen Gedanken und der Zuwendung zu Gott etwas möglich, nämlich Vergebung, ohne die kein wirklicher Neuanfang möglich wird. Und niemand hat gesagt, dass ein Neuanfang leicht fällt oder einfach ist. Aller Anfang ist schwer.

Amen.

 


Losung & Lehrtext

Der Übeltäter lasse von seinen Gedanken und bekehre sich zum Herrn, denn bei ihm ist viel Vergebung.

Jesaja 55,7

Christus spricht: Es wird Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.

Lukas 15,7