Pfr. Martin Dubberke

Allein aus Glauben

Also, meine Lieben, – wie ihr allezeit gehorsam gewesen seid, nicht allein in meiner Gegenwart, sondern jetzt noch viel mehr in meiner Abwesenheit, – schaffet, daß ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern.

Denn Gott ist’s, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen. (Philipper 2, 12-13)

So, liebe Gemeinde, lautet der Predigttext aus Philipper 2 für den Reformationstag.

Allein aus Glaube soll unser Handeln geschehen. Der Glaube lässt uns keine andere Wahl, als danach zu leben; zu erkennen, daß niemand einen anderen Grund legen kann, als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.

Es ist also wie immer: Es ist ganz einfach. Ich glaube, also handele ich auch so. Doch ganz so einfach scheint es ja dann wohl auch wieder nicht zu sein.

Viel zu sehr leben wir in einer Zeit, in der es immer wieder heißt: Du musst! Das sagt nicht nur die Gesellschaft. Das sagt auch immer wieder unsere Kirche. Du musst, jetzt einfach mal zwölf Gemeinden leiten. Du musst! Du mußt nach der Ordnung leben. Schwule Lebensgemeinschaften darfst Du nicht segnen, auch wenn sich ihre Beziehung auf Liebe und Verantwortung gründet.

Du musst! Diese Formulierung kennt Gott nicht. Diese Formulierung kennt der Glaube nicht.  Der Glaube kennt nur ein: Ich kann nicht anders.

Gottes Werk besteht nämlich darin, daß sein Wille sich in unserem Handeln verwirklicht. Das Eingreifen Gottes in unser Leben bewirkt unser Tun.

Um nach Gottes Willen zu handeln, brauchen wir nämlich kein Gesetz, das uns etwas vorschreibt. Aus dem Glauben erkennen wir, was zu tun und was nicht zu tun ist. Und dann haben wir keine andere Wahl. Das zu leben ist jeden Tag eine neue Herausforderung und dann auch mit Furcht und Zittern verbunden, weil wir damit auch unbequem werden können.

Die Errettung eines jeden Einzelnen von uns geschieht nicht, weil wir irgendwelche Gesetze – und seien sie auch noch so gut – erfüllen, sondern weil wir so handeln, wie es nun einmal aus Glaube geschieht. Unser Handeln soll nicht durch Gesetze oder Vorschriften oder Verordnungen bestimmt werden, sondern durch unseren Glauben. Denn unser Handeln kann nicht von Gesetzten bestimmt werden, sondern durch Gott, der unser Wollen und Vollbringen in uns wirkt.

Nun feiern wir ja heute den Reformationstag, der ja immer wie ein protestantischer Geburtstag behandelt wird. Das ist der Tag, an dem besonders kluge und besonders theologische Predigten gehalten werden und an die Leistung Martin Luthers erinnert wird.

Luthers Werk, war nichts anderes als eine Revolution. Das, was er tat, war das, was der Glaube im übrig ließ. Sein heute noch immer gerne zitiertes „Hier stehe ich und kann nicht anders!“ heißt nichts anderes als: „Ihr Lieben, mein Glaube lässt mir keine andere Wahl!“

Laßt uns einen Blick auf den Begriff „Reformation“ werfen. Was heißt das Wort eigentlich? „Reformo“ heißt umgestalten, verwandeln. Zu Luthers Zeit beschrieb man Reformation mit folgenden Begriffen:

  • Erneuerung
  • Erquickung
  • Wiederherstellung
  • in den alten Stand wieder zurückversetzen
  • beginnen
  • wieder aufleben
  • wieder erregen
  • wieder entstehen
  • aufbrechen

Wieder in den alten Stand versetzen, in dem der Glaube und nicht die Macht als solche, die Geschicke der Kirche lenkte. Nicht verzweifelte Reaktion, sondern Aktion aus dem Glauben heraus geboren.

Was ist aus dieser Vitalität geworden, die das Wort Reformation ausstrahlt? – Nichts. Stillstand.

Wie ist unsere protestantische Kirche heute? Eine – wie mir scheint – im negativen Sinne konservative. Unsere Kirche findet nur schwer oder gar nicht Antworten auf unsere Zeit. Vor manchen Antworten drückt sie sich, wie in der Frage der Segnung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften und anderen Fragen ist sie sofort präsent, wenn es um Genforschung und Abtreibung geht.

Seien wir ehrlich. Unsere Kirche ist ein zahnloser Tiger geworden, der eigentlich nur noch nach innen seine Zähne zeigt.

Aber wo bleibt nun die Erneuerung, allem voran die geistliche Erneuerung? In unserer Kirche regiert nicht der Glaube, sondern der Mangel des Geldes.

Unsere Kirche verweigert sich zu recht dem Zeitgeist. Diese Verweigerung ist so stark, daß sie nicht einmal mehr Kirche in der Zeit ist und somit keine helfenden und aufrichtigen Antworten auf die Zeit findet. Und damit wird unsere Kirche immer mehr ein Kirche, die niemandem mehr etwas zu sagen hat, weil sie wie ihre ältere Schwester, die römisch katholische Kirche immer mehr auf Glaubenssätzen und Dogmen – auch wenn wir als evangelische Kirche offiziell eigentlich keine Dogmen kennen – beharren und Angst bekommt vor der befreienden Kraft des Evangeliums und deshalb sagt, wie das Evangelium zu verstehen sei und das Evangelium nur noch wörtlich nimmt und nicht mehr nach dem eigentlichen Sinn fragt, der Intention. Jesus sagte einmal der Sabbat ist um des Menschen willen da und nicht der Mensch um des Sabbats willen. Das Evangelium ist für die Menschen da.

Ist eine Kirche wie die unsere, in der der Mangel des Geldes regiert und sich alles in diese Geißel nehmen lässt, noch eine, die in der Lage ist, den Glauben zu wecken?

Laßt mich das an einem alltäglichen Beispiel aus dem Leben unserer Kirche verdeutlichen. Kürzlich hat mich ein Pfarrer, den ich schon lange kenne angerufen. Wir haben uns lange miteinander unterhalten und er schilderte mir seine Not. Mußte er vor ein paar Jahren noch zwei Gemeinden in einer Brandenburgischen Stadt versorgen, sind es heute mittlerweile zwölf Gemeinden. Es sind einfach noch eine Reihe von Dörfern hinzugekommen. Überall Gottesdienste, überall GKR-Sitzungen, überall baufällige Kirchen und Pfarrhäuser.

Es gibt keine Küsterin kein gar nichts. Der Mann muß alles allein machen. Und das ist kein Einzelfall. Das ist die Regel. In Königin-Louise-Silas sind wir für heutige Verhältnisse noch Gold ausgestattet.

Was ist die Folge? – Unsere Pfarrerinnen und Pfarrer rennen nur noch ihren Aufgaben, dem Tagesgeschäft nach, statt der Gemeinde entgegenzugehen. Sie sind Bauherren, Gebäudemanager. Sie stehen in der Not, dem Zwiespalt zwischen Haus oder Mensch. Sollte man diese Dorfkirche aufgeben oder nicht? Bräuchten wir das Geld nicht eher um ein Arbeitslosenprojekt für Jugendliche aufzuziehen?

Es bleibt keine Zeit mehr für Seelsorge, die Geistliche Erneuerung, wenn man Gebäude erneuern muß, wenn man nur noch verwalten muß und kaum noch einer einem den Rücken freihält. Das macht dann auch irgendwann der Ehepartner nicht mehr mit. Es ist kein Zufall, daß der Berufsstand des Pfarrers mittlerweile zu denen mit der höchsten Scheidungsrate gehört.

Es ist auch kein Zufall, daß in unserer Kirche die Pfarrerinnen und Pfarrer immer öfter zum Alkohol greifen, weil der Druck auf sie so groß ist, daß sie auch keine Zeit, keine Luft mehr für die eigene Erneuerung, Erholung, die eigene Seele haben.

Die Pfarrerinnen und Pfarrer arbeiten bis zum Umfallen und haben am Ende eines Tages doch nicht alles geschafft. Sie arbeiten, arbeiten, arbeiten als fleißige Bauern im Weinberg Gottes, predigen: „Ohne Sonntag besteht die Woche nur aus Werktagen!“ und arbeiten selbst sieben Tage in der Woche. Da macht irgendwann der beste Körper nicht mehr mit und bricht zusammen.

Wir dürfen als Kirche den Mangel des Geldes nicht mit Ausbeutung beantworten. Neue Konzepte dürfen nicht den Duft der Halbherzigkeit haben. Sie dürfen sich nicht vom Geld abhängig machen. Sie dürfen nicht vermitteln: Wir tun das jetzt, weil wir kein Geld mehr haben. Sondern, sie müssen deutlich machen, daß uns der Glaube keine andere Wahl lässt.  Wir müssen uns als Kirche, wie man heute so schön sagt, neu aufstellen. Mit heißem Herzen.  Nichts anderes heißt Reformation. Es ist die Zeit einer neuerlichen Reformation angebrochen, weil es der Glaube fordert. Und unser Glaube fordert auch die Klärung des Selbstverständnisses unserer Kirche in unserer Zeit.

Daß so viele Menschen uns verlassen, uns zum Teil im Zorn und zum Teil aus Enttäuschung vor allem aber, weil wir ihnen nichts mehr zu sagen haben, den Rücken zuwenden, sollte uns endlich deutlich machen, daß wir mit unserer Kirche nicht mehr auf dem richtigen Weg sind.

 

1. Vertraut den neuen Wegen,

auf die der Herr uns weist,

weil Leben heißt: sich regen,

weil Leben wandern heißt.

Seit leuchtend Gottes Bogen

am hohen Himmel stand,

sind Menschen ausgezogen

in das gelobte Land.

 

2. Vertraut den neuen Wegen

und wandert in die Zeit!

Gott will, daß ihr ein Segen

für seine Erde seid.

Der uns in frühen Zeiten

das Leben eingehaucht,

der wird uns dahin leiten,

wo er uns will und braucht.

 

3. Vertraut den neuen Wegen,

auf die uns Gott gesandt!

Er selbst kommt uns entgegen.

Die Zukunft ist sein Land.

Wer aufbricht, der kann hoffen

in Zeit und Ewigkeit.

Die Tore stehen offen.

Das Land ist hell und weit.

 

Also, meine Lieben, schaffet, daß ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern. Denn Gott ist’s, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen.

Philipper 2, 12-13

Amen.

 

Gottesdienst am Reformationstag 2002

31. Oktober 2002

Silas-Kirche zu Berlin-Schöneberg

Predigttext: Philipper 2, 12-13

Perikopenreihe: VI