Pfr. Martin Dubberke

Gott trauert um jedes seiner Kinder, das getötet wird

An jenem 15. Juli wurden – die Zahlen schwanken hier – zwischen 30.000 und 60.000 Juden und Moslems von christlichen Fundamentalisten erschlagen. Mit dem Ruf „Deus vult – Gott will es“ veranstalteten sie eines der schrecklichsten Massaker in der Geschichte der Stadt. Das Blut soll köchelhoch in den Straße gestanden haben.

Dem Massaker ging wenige Jahre zuvor auf dem Konzil von Clermont-Ferand eine Predigt Papst Urbans  voraus, in der er zur Befreiung der Heiligen Stadt aus den Hand der Ungläubigen aufrief. Die Predigt soll in der westeuropäischen Welt ein mörderisches Klima entfacht haben. Es entstand eine Armee religiöser Eiferer, die eine Spur der Verwüstung hinter sich her zog.

Dieses Massaker vom 15. Juli – und es sollte nicht das einzige oder letzte sein, das von christlichen Fundamentalisten begangen wurde – ereignete sich vor 916 Jahren in Jerusalem. Es waren damals zwei belgische Brüder, die den Auftakt für das Massaker gaben.

Am 7. Januar 2015 drangen zwei Brüder in die Redaktion des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo ein und veranstalteten dort ein beispielloses Blutbad, dem zwölf Menschen zum Opfer fielen. Als einer von den beiden Brüdern einen auf dem Boden liegenden, verwundeten Polizisten erschießt, sagt er: „Wir haben den Propheten Mohammed gerächt.“

88.000 Polizisten nehmen die Verfolgung auf. Zwei Tage später, werden die beiden mutmaßlichen Täter bei einer Schießerei getötet.

Das Wissen um die Geschichte religiös ideologisierter Gewalt, macht mir große Sorge. Wir wissen aus unserer eigenen christlichen Geschichte, wie weit religiöser Fanatismus gehen kann. Wir wissen, welche Gefahren und welche Weltenbrände damit verbunden sein können.

Die Medien sprechen in diesen Tagen immer wieder von einem europäischen 11. September. Der 7. Januar von Paris konfrontiert uns mit unserer allgegenwärtigen Verletzbarkeit. Der 7. Januar von Paris nimmt uns das Gefühl von Sicherheit. Der 7. Januar von Paris schürt Angst und Misstrauen.

Der Rat der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg erklärt:

„Ohne Zweifel versündigen sich die Täter gegen Gott und den Menschen. Sie rächen nicht den Propheten, sondern stehen mit ihrer Tat im hochgradigen Gegensatz zu der vom Propheten Muhammed … verkündeten Offenbarung Gottes. Mit ihrer Gewalt verleumden sie den Propheten Muhammed … und alle Muslime, die wahrhaftig glauben.“

Gewalt verleugnet Gott, denn nur Gott steht das Recht auf Gewalt zu. Damit haben wir Menschen kein Recht, Gewalt auszuüben. Er hat uns auf diese von der Gewalt befreit. Jeder Mensch ist ein Abbild Gottes. Er hat damit etwas Göttliches, weil Gott ihn nach seinem Bilde geschaffen hat.

Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau. 1. Mose 1,27

Tue ich einem anderen Menschen etwas an, tue ich damit zugleich Gott etwas an. Ich verletze Gott. Gewalt ist Sünde. Und Gewalt im Namen Gottes auszuüben, bedeutet, seinen Namen missbräuchlich zu führen. Daher verbieten uns die zehn Gebote jede Gewalt.

Und Gott trauert um jedes seiner Kinder, das getötet wird. Das hält uns eindrücklich die Geschichte von Kains Brudermord vor Augen:

Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot. Da sprach der HERR zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein? Er aber sprach: Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde. Und nun: Verflucht seist du auf der Erde, die ihr Maul hat aufgetan und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen. Wenn du den Acker bebauen wirst, soll er dir hinfort seinen Ertrag nicht geben. Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden. Kain aber sprach zu dem HERRN: Meine Strafe ist zu schwer, als dass ich sie tragen könnte. Siehe, du treibst mich heute vom Acker, und ich muss mich vor deinem Angesicht verbergen und muss unstet und flüchtig sein auf Erden. So wird mir’s gehen, dass mich totschlägt, wer mich findet. Aber der HERR sprach zu ihm: Nein, sondern wer Kain totschlägt, das soll siebenfältig gerächt werden.

Gott macht deutlich, dass derjenige, der einen Menschen tötet, daraus keinen Vorteil ziehen wird, sondern mit den Konsequenzen leben muss. Und die Betonung liegt auf „leben muss.“

Eigentlich steht ja heute die Taufe Jesu am Jordan auf dem Predigtplan:

Zu der Zeit kam Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, dass er sich von ihm taufen ließe. Aber Johannes wehrte ihm und sprach: Ich bedarf dessen, dass ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir? Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: Lass es jetzt geschehen! Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Da ließ er’s geschehen.

Und als Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser. Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über sich kommen. Und siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. (Matthäus 3, 13-17)

Mit der Taufe seines Sohnes zeigt sich Gott den Menschen in einem neuen Licht und Angesicht. Er ist Mensch geworden. Er hat sich anschaubar, unfassbar und verletzbar unter die Menschen begeben. Es ist aushaltbar geworden, ihm ins Angesicht zu schauen.

Mit der Taufe seines Sohnes mit dem Heiligen Geist macht Gott deutlich, dass das Wasser allein nur ein Symbol sein kann. Das Wasser der Taufe ist kein Zaubermittel. Die Bedeutung der Taufe muss ins Herz gehen und den Menschen verändern. Das kann kein Wasser schaffen, sondern nur der Heilige Geist.

Die eigene Taufe ist damit Beginn der gemeinsamen Biographie mit Gott.

Von der Taufe an lässt sich das eigene Leben nicht mehr von Gott lösen. Da kann ich zehnmal aus der organisierten Kirche austreten. Taufe ist Taufe. Sie bleibt bestehen als ein Versprechen, eine Zusage Gottes und lässt sich nicht durch einen Austrag beim Amtsgericht abwischen.

Durch die Taufe sind wir nicht mehr das Subjekt unseres eigenen Lebens. Durch die Taufe sind wir einer Macht überlassen, die größer ist als wir. Diese Macht gibt uns mit der Zusage „an dem ich Wohlgefallen habe“ eine ungeheure Freiheit. In diesen Worten wird das ungeheure Vertrauen deutlich, das Gott in uns setzt:

„Du bist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“

Das ist eine Liebeserklärung, die nicht einengt, sondern befreit. Er vertraut mir, jedem einzelnen von uns, dass wir uns nicht gegen ihn wenden, sondern als seine Kinder, nach dem streben, was das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene ist, deren Identität die Liebe ist.

Gott hat seinen Sohn Mensch werden lassen, damit die Liebe und der damit verbundene Friede die Welt durchdringt.

Herr, gib mir, gib uns die Kraft und den Mut, uns mehr von dieser Hoffnung als von der Angst leiten zu lassen.

Amen.

Predigt am 10. Januar 2015 in der Silas-Kirche in Berlin-Schöneberg