Pfr. Martin Dubberke

Auftakt zur Zeitenwende

Ich kann mich noch gut daran erinnern, als meine Frau schwanger wurde. Wir waren beide schon über vierzig und empfanden das als großes Wunder und einen besonderen Segen. Und ich kann mich auch noch gut daran erinnern, wie wir in Stralsund in der großen, alten St.-Nikolai-Kirche eine Kerze anzündeten, einander an den Händen hielten und Gott dafür dankten und darum baten, dass alles gut gehen würde. Heute freuen sich die beiden – sie sitzen hier in der ersten Reihe – auf ihr mittlerweile achtes Weihnachtsfest und einer von beiden will sogar Pfarrer werden.

Anders als Maria wissen wir nicht, wie unsere Kinder einmal die Welt beeinflussen oder vielleicht ändern werden. Was uns mit Maria eint, ist die große Freude über die Gnade, Eltern zweier Menschen zu sein, die für uns die wichtigsten Menschen in unserem Leben sind.

Ich gebe es ehrlich zu. Mir fällt es als Mann unendlich schwer, über das Magnificat – also das Loblied der Maria – zu predigen. Es ist der Lobgesang einer schwangeren Frau, die mehr als nur schwanger war. Sie trug unter ihrem Herzen das Kind Gottes. Ihr Mann Joseph war da vollkommen außen vor. Maria stand in einer ganz besonderen Beziehung zu Gott. Sie war nicht von irgendeinem Mann schwanger, sondern vom Heiligen Geist.

Ich erinnere mich nicht nur an meine große Freude, als mir meine Frau sagte, dass sie schwanger sei, sondern ich erinnere mich ganz besonders an ihre Freude und an das Leuchten und den Glanz in ihren Augen.

Da passiert etwas, das wir als Männer nur erahnen können, aber niemals wissen oder fühlen können. Da sind wir als werdende Väter genauso außen vor wie Joseph bei Maria. Wir sind Zeugen des größten Wunders, das das Leben zu bieten hat. Und als Männer und werdende Väter haben wir den Auftrag, wie Joseph an der Seite unserer Frauen zu sein, sie zu begleiten, ihnen beizustehen und sie zu schützen. Und ich stelle mir die Frage, ob Joseph nicht vielleicht doch bei der Geburt dabei gewesen ist… Angesichts des Lobgesangs der Maria fällt die Schilderung der Geburt geradezu im Telegrammstil aus. In der aktuellen Luther-Übersetzung sind es inklusive Leerzeichen nur 89 Zeichen – weniger als eine SMS, geradezu ein idealer Twitter-Tweet:

Und sie gebar ihren ers­ten Sohn und wi­ckel­te ihn in Win­deln und legte ihn in eine Krip­pe.

Lukas 2, 7

Ohne jede Dramatik, ja geradezu beiläufig wird hier die Geburt aller Geburten geschildert.

Es war eine ganz normale Geburt. Achten Sie mal in den nächsten Tagen darauf, was Bach in seinem Weihnachtsoratorium aus der Geburt Jesu macht. Er zündet so manches Freuden-Feuerwerk in seinem Oratorium, aber die Geburt Jesu ist ein nüchternes Rezitativ.

Warum wird dieses großartige Ereignis so sachlich festgehalten? Soll ich Ihnen meine Vermutung verraten? – Weil es ein Doppelpunkt ist. Jetzt geht es los. Jetzt beginnt die Heilsgeschichte. Jetzt beginnt das, wovon Maria gesungen hat.

Ohne Marias Besuch bei Elisabeth, ohne den Lobgesang der Maria, ohne den Lobgesang des Zacharias, hätte dieser eine einzige Vers, der die Geburt Jesu nennt – wohlgemerkt nennt und nicht schildert – nicht diese Wirkung. Wir sind vorbereitet. Wir wissen, was jetzt kommen wird:

Und Maria sprach:

Meine Seele er­hebt den Herrn, 

und mein Geist freut sich Got­tes, mei­nes Hei­lan­des; denn er hat die Nied­rig­keit sei­ner Magd an­ge­se­hen. 

Siehe, von nun an wer­den mich selig prei­sen alle Kin­des­kin­der.

Denn er hat große Dinge an mir getan,

der da mäch­tig ist und des­sen Name hei­lig ist.

Und seine Barm­her­zig­keit währt von Ge­schlecht zu Ge­schlecht bei denen, die ihn fürch­ten.  

Er übt Ge­walt mit sei­nem Arm und zer­streut, die hof­fär­tig sind in ihres Her­zens Sinn.

Er stößt die Ge­wal­ti­gen vom Thron

und er­hebt die Nied­ri­gen. 

Die Hung­ri­gen füllt er mit Gü­tern

und lässt die Rei­chen leer aus­ge­hen. 

Er ge­denkt der Barm­her­zig­keit und hilft sei­nem Die­ner Is­ra­el auf, wie er ge­re­det hat zu un­sern Vä­tern, Abra­ham und sei­nen Kin­dern in Ewig­keit.

Lukas 1, 46-55

Es wird nicht mehr und nicht weniger passieren als ein Umdenken, das einer Revolution gleicht. Das herrschende System dieser Welt wird nicht nur in Frage gestellt werden, sondern von Grund auf umgekrempelt. Dieser Junge, der seine erste Nacht in einer Futterkrippe verbringen wird, wird diejenigen, die hochmütig und gewaltmächtig sind, vom Thron stürzen und die Macht denen geben, die heute noch nichts zu sagen haben, die aber Gott fürchten und ihm als der eigentlichen und einzig möglichen Macht folgen.

Den Hungrigen wird soviel geben, dass sie nicht mehr hungern müssen, während die Reichen mit leeren Händen dastehen werden.

Der Lobgesang der Maria macht deutlich, dass die Geburt Christi nichts anderes ist als eine Zeitenwende, als der Doppelpunkt zu einer neuen Zeitrechnung. Die Geburt ist der Auftakt, der im österlichen Geschehen seine Vollendung finden wird.

Amen.

Predigt zum 4. Advent 2014 in der Königin-Luise-Gedächtniskirche in Berlin-Schöneberg.