Liebe Geschwister, das Treffen zwischen den Präsidenten Trump und Putin in Alaska ist zu Ende gegangen – nach zweieinhalb Stunden, ohne konkrete Ergebnisse, aber mit großen Worten auf beiden Seiten. Und während die beiden Staatsmänner über Frieden sprachen, feuerte Russland in derselben Nacht 85 Drohnen auf die Ukraine ab. Ein Bild, das uns nachdenklich macht: Große Gesten, wenig Substanz. Reden vom Frieden, während der Krieg weitergeht.
Das erinnert mich an das, was Jacques Schuster in seinem Leitartikel in der „Welt am Sonntag“ schreibt, der Trump vorwirft, durch seine Großspurigkeit das Gegenteil dessen erreicht zu haben, was er wollte. Putin konnte sich als gleichberechtigter Partner inszenieren, ohne ein einziges Zugeständnis zu machen. Es ist, wie Schuster aus meiner Sicht treffend schreibt, ein Beispiel dafür, wie schnell Worte „wie Seifenblasen davonfliegen und in der Luft zerplatzen“.
Aber vielleicht können wir gerade von diesem ernüchternden Ereignis etwas über das lernen, was Paulus uns in seinem Brief an die Philipper sagt. Denn Paulus zeigt uns einen anderen Weg – einen Weg der Wahrhaftigkeit statt der Großspurigkeit, einen Weg des echten Wandels statt der hohlen Gesten.
Loslassen
Loslassen – „Was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Verlust gehalten.“ Philipper 3,7
Paulus hatte allen Grund, stolz zu sein. Er war ein Mann mit einem beeindruckendem Lebenslauf: beschnitten am achten Tag, aus dem Volk Israel, vom Stamm Benjamin, ein Hebräer von Hebräern, nach dem Gesetz ein Pharisäer, nach dem Eifer ein Verfolger der Gemeinde, nach der Gerechtigkeit im Gesetz untadelig. Wenn es einen religiösen Karriere-Katalog gegeben hätte, Paulus hätte alle Kästchen abhaken können.
Doch dann geschah etwas Revolutionäres: Paulus erkannte, dass all diese Vorzüge, diese religiösen Verdienste, diese menschlichen Sicherheiten „für Dreck“ (Philippper 3,8) waren – oder wie es in der Lutherübersetzung heißt: „für Schaden“. Was für ein radikaler Wandel! Was für ein Loslassen!
Und hier liegt die erste Herausforderung für uns: Sind wir bereit, unsere falschen Sicherheiten loszulassen? Unsere Selbstgerechtigkeit? Unsere Rechthaberei? Oder klammern wir uns wie Trump an das äußere Bild, an die große Inszenierung, an das, was uns wichtig erscheinen lässt?
Der Krieg in der Ukraine zeigt uns, wie schwer dieses Loslassen ist. Jede Seite hält an ihren Positionen fest, an dem, was sie für Gewinn hält: Territorium, Macht, Ehre. Aber Paulus lehrt uns: Echter Friede beginnt mit dem Loslassen dessen, was wir für unseren Gewinn halten.
Das gilt auch für uns persönlich: Welche menschlichen Vorzüge, welche Verdienste, welche scheinbaren Sicherheiten halten uns davon ab, wirklich frei zu werden? Was müssen wir loslassen, damit Christus in uns Raum gewinnen kann?
Ergreifen.
Ergreifen – „…damit ich Christus gewinne und in ihm gefunden werde“ Philipper 3,9
Nach dem Loslassen kommt das Ergreifen. Paulus will nicht in der Leere stehen bleiben. Sein Ziel ist klar: „dass ich Christus gewinne und in ihm gefunden werde“. (Philipper 3,9) Er will nicht mehr seine eigene Gerechtigkeit haben, „die aus dem Gesetz“, sondern „die durch den Glauben an Christus kommt, nämlich die Gerechtigkeit, die von Gott kommt durch den Glauben“ (Philipper 3,9).
Was für ein Unterschied zu dem, was wir gerade in Alaska erlebt haben! Während dort jeder seine eigene Gerechtigkeit, seine eigene Position, seine eigenen Interessen durchsetzen wollte, geht Paulus einen völlig anderen Weg: Er vertraut nicht mehr auf seine eigene Leistung, sondern auf Gottes Gnade.
Das ist keine Schwäche, sondern echte Stärke. Denn wer auf Gottes Gnade vertraut, der muss sich nicht mehr permanent selbst beweisen, der muss nicht mehr großspurig auftreten, der kann ehrlich sein – auch über die eigenen Grenzen.
Was bedeutet das für uns? – Es bedeutet, dass wir aufhören können, uns ständig zu rechtfertigen. Es bedeutet, dass wir zugeben können, wenn wir nicht weiterwissen. Es bedeutet, dass wir Vertrauen lernen – nicht auf unsere eigenen Fähigkeiten, sondern auf die Kraft dessen, der uns durch Jesus Christus angenommen hat.
Und es bedeutet auch: Echte Versöhnung wird nur möglich, wenn alle Beteiligten bereit sind, nicht mehr auf die eigene Gerechtigkeit zu pochen, sondern Gottes Barmherzigkeit zu vertrauen.
Dranbleiben.
Dranbleiben – „Ich jage nach dem vorgesteckten Ziel…“ Philipper 3,14
Der dritte Schritt ist vielleicht der schwerste: Das Dranbleiben. Paulus ist ehrlich:
„Nicht, dass ich’s schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei“.
Er ist noch nicht am Ziel. Aber er gibt nicht auf. Er jagt dem Ziel nach.
Und was ist dieses Ziel?
„dem Siegespreis der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus“. Philipper 3,14
Es ist die Vollendung dessen, was Gott in ihm und durch ihn wirken will.
Das ist so ganz anders als das politische Geschäft, das wir gerade erleben. Dort geht es oft um schnelle Erfolge, um kurzfristige Deals, um das nächste Foto für die Presse. Aber christlicher Glaube ist ein Langstreckenlauf. Es geht um kontinuierliche Verwandlung, um beständiges Wachstum, um das tägliche Ja zu Gottes Weg.
Paulus sagt:
„Eins aber sage ich: Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich aus nach dem, was da vorne ist“. Philipper 3,13
Das ist echte Hoffnung – nicht das Verharren im Gestern, nicht das Klammern an alte Erfolge oder das Grübeln über vergangene Fehler, sondern der entschlossene Blick nach vorn.
Für uns bedeutet das: Auch wenn der Weg schwer ist, auch wenn wir immer wieder scheitern, auch wenn die Welt um uns herum chaotisch erscheint – wir bleiben dran. Wir geben nicht auf. Wir lassen uns nicht entmutigen.
Und für die großen Konflikte unserer Zeit bedeutet es: Echter Friede ist nicht ein einmaliger Deal, den man in ein paar Stunden aushandelt. Friede ist ein Weg, den man täglich neu gehen muss. Friede braucht Geduld, Ausdauer und die Bereitschaft, auch dann dranzubleiben, wenn es schwierig wird.
Die Kraft der Verwandlung
Liebe Geschwister, die Ereignisse in Alaska haben uns gezeigt, wie schnell große Worte zu leeren Versprechungen werden können. Aber Paulus zeigt uns einen anderen Weg: Den Weg der echten Verwandlung durch Jesus Christus.
Dieser Weg führt uns durch drei entscheidende Schritte: Loslassen, Ergreifen, Dranbleiben. Es ist ein Weg, der nicht mit großen Gesten prahlt, sondern in der Stille des Herzens beginnt. Es ist ein Weg, der nicht auf die eigene Stärke vertraut, sondern auf Gottes Gnade. Es ist ein Weg, der nicht nach schnellen Erfolgen sucht, sondern bereit ist für den langen Atem der Liebe.
In einer Welt voller Spannungen und Konflikte brauchen wir Menschen, die diesen Weg gehen. Menschen, die bereit sind loszulassen, was sie für ihren Gewinn halten. Menschen, die Christus ergreifen und sich von seiner Liebe verwandeln lassen. Menschen, die dranbleiben, auch wenn der Weg steinig wird.
So können wir zu Friedensstiftern werden – nicht durch große politische Gesten, sondern durch die stille Kraft der Verwandlung, die von Christus ausgeht und durch uns in die Welt hineinwirkt.
Es gilt das, was uns der Wochenspruch aus dem Lukas-Evangelium mit auf den Weg gibt:
Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern. Lukas 12, 48b
Lasst uns diese Verantwortung, diese Herausforderung annehmen, gemeinsam diesen Weg zu gehen: Loslassen. Ergreifen. Dranbleiben. Für uns selbst und für den Frieden in dieser Welt.
Amen.
Pfr. Martin Dubberke
Predigt am 9. Sonntag nach Trinitatis in der Markuskirche zu Farchant und der Heilandkirche zu Oberau am 17. August 2025, Perikopenreihe I, Philipper 3,7-14
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