Als Vater hatte ich mir viel von diesem Buch versprochen, doch irgendwie kam ich mit dem Buch nicht vorwärts. Es entfaltete nicht den gleichen Sog wie alle anderen Bücher, die ich bislang von Lelord gelesen hatte. Zu stark wirkte das Buch auf mich wie ein kleiner Erziehungsratgeber mit lauter kleinen Sentenzen, auch wenn es in seiner Grundstrukur wie alle andern Hector-Bücher war – Pardon – ist. Es entwickelte sich keine Geschichte, sondern war eine Sammlung einzelner Episoden, die sich nicht immer automatisch aus der vorhergehenden ergeben wollten. Das Gefühl, dass hier eine Episode um der Sentenz willen erzählt wurde, überwog.
Also brauchte ich lange, bis ich dieses Buch ausgelesen hatte. 2009 – gleich nach seinem Erscheinen hatte ich es gekauft und auch sofort angefangen zu lesen.
Damals waren meine Kinder drei Jahre alt. Heute sind sie fünf. Ich versuchte es auf vielerlei Art, mit diesem Buch vorwärts zu kommen. Es wollte einfach nicht meine Liebe und Begeisterung wecken. Dann versuchte ich tapfer, jeden Abend vorm Einschlafen, eine Episode zu lesen. Das ging mal ein paar Tage gut und dann wieder nicht.
Doch dann passierte heute, am 12. Juni 2011 – also Pfingstsonntag – etwas ganz Wunderbares. Es war draußen noch hell und ich war mit meinen Sachen im Hause fertig, so dass ich endlich mal wieder abends im Garten lesen konnte. Ich machte mir einen Kaffee, holte mir das Buch, um mich wieder ein paar Seiten meiner Pflicht zu entledigen. Doch dann passierte etwas ganz seltsames. Ich nahm bei Seite 140 wieder den Lesefaden auf und das Buch gewann mich. Ich las es nun in einem Zug bis zum Schluss. Es nahm mich mit und begeisterte mich wie alle Lelords, die ich bislang gelesen hatte. Es entstand eine Geschichte. Eines baute auf das andere auf und zog mich mit. Wollte ich erst ein Stündchen bis zur Dunkelheit lesen, holte ich mir irgendwann eine Buchlampe und las das Buch bis zum Schluss in einem Zug. Es bewegte mich und die kleinen Dramen der Kinder berührten mich, waren es doch eigentlich auch die großen Dramen, die mir in meiner Kinderzeit nicht fremd waren. Die Ängste, die Freuden, Träume und Verliebtheiten. Grandios endet die Geschichte.
Es ist verrückt, aber irgendwann kam ich an den Punkt, dass ich wissen wollte, was eigentlich mal aus dem Petit Hector werden würde. Und im Epilog tut mir Lelord auch diesen Gefallen, aber in einer überraschend anderen Weise, nicht einfach, indem er erzählt, was nun aus dem Kleinen heute geworden ist, sondern er steckt es wieder in das gleiche Verhältnis wie in der Kindheit. Und mit einem Male mit wird man mit dem Alter und dem Verfall des Helden, der einen schon vier Romane begleitet hat, konfrontiert und ich wechsle die Perspektive. Habe ich die ganze Zeit das Buch aus der Sicht eines Vaters gelesen, wechsle ich nun in die Perspektive des Sohnes, der auf seinen Vater blickt und auf seine Mutter. Und große Gefühle kommen in mir auf. Ich bin mehr als nur sehr berührt. Und vermisse nur noch die Antwort auf meine Frage: Was ist aus Amandine geworden? Doch diese Frage lässt Lelord offen. Und das ist auch gut so.