Pfr. Martin Dubberke

Ich bin, was ich bin

Die Bühne ist ganz dunkel. Nur ein Spot fällt auf den Protagonisten. Es ist so still, das man eine Stecknagel auf den Boden fallen hören könnte. Und in diese Stille hinein, sagt der Protagonist – nein – singt er zögernd Wort für Wort, als wenn er allergrößte Angst hätte, das zu sagen, was nun aus ihm raus muss. Es wird ein Geständnis, eine Offenbarung:

I am what I am

I am my own special creation

Ich bin, was ich bin.

Ich bin meine eigene spezielle Schöpfung.

Und erst nach dem letzten Wort setzt noch etwas zögerlich das Orchester ein und der Protagonist wird immer mutiger. Es bricht geradezu aus ihm heraus. Es ist ihm nun ganz egal, was jetzt passieren wird:

So come take a look,

Give me the hook or the ovation.

Komm, und wag‘ einen Blick,

Gib mir einen Haken oder Applaus.

It’s my world that I want to have a little pride in,

My world, and it’s not a place I have to hide in.

Life’s not worth a damn,

‚Till you can say,

„Hey World, I am what I am.“

Es ist meine Welt, dass ich in ihr ein wenig Stolz habe,

Meine Welt, und das ist kein Ort, wo ich mich zu verstecken habe.

Das Leben ist keinen Pfifferling wert,

bis du nicht sagen kannst:

„Hey, Welt, ich bin was ich bin.“

Ich kann mich noch ganz genau daran erinnern, wie ich diese Nummer vor 32 Jahren zum ersten Mal im Radio gehört habe, damals beim RIAS „Die Lange Nacht des Musicals“. Da wurden immer die neuesten Musicals vom Broadway vorgestellt. Und ich werde nie vergessen, wie mir die Nummer – gesungen von George Hearn, der besten Zaza überhaupt, unter die Haut ging und auch noch heute unter die Haut geht.

Wie jemand hörbar zum ersten Mal in seinem Leben versucht, sich selbst zu sein, authentisch zu sein und zu sagen: Ich bin, was ich bin. Und am Ende des Songs steht er stolz da und ruft es selbstbewusst in die ganze Welt hinaus: Ich bin, was ich bin.

Warum erinnere ich mich gerade heute, an diese Musical-Nummer? Wer heute schon einen Blick in die Losung geworfen hat, könnte es ahnen. Es ist der zweite Vers: „Ich bin meine eigene spezielle Schöpfung.“ Eigentlich ein Skandal. Wie kann man seine eigene Schöpfung sein? Kann nicht Gott allein der Schöpfer sein?

Ich zitiere die Losung aus Jesaja 29, 16:

Wie kehrt ihr alles um! Als ob der Ton dem Töpfer gleich wäre, dass das Werk spräche von seinem Meister: Er hat mich nicht gemacht! und ein Bildwerk spräche von seinem Bildner: Er versteht nichts!

Ich konnte gestern Abend nicht anders, ich musste mir noch einmal die alte Aufnahme mit George Hearn anhören. Und wie ich mir noch ein paar mal den Song anhöre und er mich wieder nicht aus seinem Sog entlässt, merke ich, dass sich mein Blick auf die Losung noch einmal ändert.

Why not try to see things from a different angle

Warum nicht mal die Dinge von einem anderen Blickwinkel aus sehen?

Mein Augenmerk fällt nämlich jetzt auf den zweiten Teil der Losung: „Und ein Bildwerk spräche von seinem Bildner: Er versteht nichts!“

Was ja nichts anderes heißt, als dass das Geschöpf Mensch über seinen Schöpfer Gott sagt: Der versteht nichts.

Das sind dann auch die Geschöpfe, die über andere Geschöpfe sagen, sie seien missraten oder nicht richtig. Und wenn ich das tue, dann sage ich nichts anderes als dass der Schöpfer nichts versteht. Dann stelle ich ihn aber in Frage.

Damit stelle ich aber das ganze Kunstwerk, das Gott geschaffen hat, in Frage. Und wenn ich jetzt im Bild bleibe – im wahrsten Sinne – im Bild, ist die Schöpfung wie ein großes Gemälde. Und was machen Sie, wenn sie sich ein Gemälde anschauen. Sie stehen mal direkt davor oder sie setzen sich mal auf die Bank, die davor steht. Sie gehen auch manchmal ganz dicht dran, so ganz kurz vor die Grenze der Lichtschranke. Und immer wieder nehmen Sie neues wahr, weil Sie den Blickwinkel ändern. Und sie werden immer wieder zu dem gleichen Schluss kommen: Es ist ein Kunstwerk.

Und so ist jeder Mensch ein Kunstwerk. Und mit jedem Menschen eröffnet sich ein anderer Blickwinkel auf die Schöpfung.  Jeder Mensch ist eine eigene spezielle Schöpfung Gottes, ein individuelles Kunstwerk, das dazu einlädt, Dinge auch einmal aus einem anderen Blickwinkel zu sehen.

Und Gottes Liebe zu den Menschen, lädt uns dazu ein, seine Kunstwerke, seine Geschöpfe zu achten und nicht zu verachten, weil sie anders geschaffen worden sind als ich es bin.

Und weil Gott mich nicht nur geschaffen hat, sondern auch angenommen hat, kann ich mich auch selbst annehmen und zu mir stehen und  den Mut haben, zu sagen: Hey Welt, ich bin, was ich bin – nämlich ein Geschöpf Gottes.

Amen.

Morgenandacht im LAFIM am 19. März 2015 über die Tageslosung Jesaja 29, 16