Mal Hand aufs Herz: Was hat nun auf den ersten Blick die Geschichte von Israels Durchzug durch das Schilfmehr mit Ostern zu tun? Für einen Moment habe ich überlegt, ob ich nicht lieber auf das Markus-Evangelium ausweiche. Ist doch die Geschichte vom offenen Grab viel schöner. Und ich bin sofort im Thema drin. Das leere Grab, der Jüngling mit dem langen weißen Gewand, der den Frauen sagt, dass Jesus auferstanden ist.
Also, sitze ich an meinem Schreibtisch und lese ein weiteres Mal den eigentlichen Predigttext aus dem 2. Buch Mose, als meine Aufmerksamkeit auf den 30. Vers fällt:
So errettete der Herr an jenen Tage Israel aus der Ägypter Hand.
Auf einmal fliegen mir lauter Fragen durch den Kopf:
- Was brauche ich auf dem Weg aus der Knechtschaft, der Unterdrückung durch die Ägypter?
- Was brauche ich auf dem Weg aus der Knechtschaft durch die Sünde?
Die Antwort darauf? So naheliegend wie einfach: Orientierung. Ich brauche Orientierung, Wegweisung. Und mit einem Male sehe ich die Verbindung zu Ostern. So, wie Gott den Israeliten als Wolken- und Feuersäule den Weg in das gelobte Land, die Freiheit gewiesen hat, so weist uns das Kreuz, der am Kreuz Gestorbene und wieder Auferstandene den Weg in die Freiheit.
Schaut Euch einfach nur diesen kraftvollen Jesus hinten in unserem Kirchenfenster an, wie er aus dem Grab steigt und in der einen Hand die Fahne trägt, als wollte er uns signalisieren, wo es lang geht, dass wir dieser Fahne nur folgen müssten, dieser Fahne mit dem Kreuz.
Was aber bedeutet diese Freiheit für uns? Die Antwort wird niemanden überraschen: Verantwortung. Freiheit, Befreiung ist mit Jubel verbunden. Freiheit ist aber kein Spaß.
Ich habe gerade dieser Tage im Buch Josua gelesen, wie die Israeliten all die Städte wie Jericho und Co eingenommen haben, mit welcher Konsequenz und Brutalität sie das durchgezogen haben, eine Brutalität und Gewalt, die mich geradezu schockiert hat, mit der ich mich nicht identifizieren wollte und will, aber, ganz großes ABER, wenn ich das Ganze als einen inneren Kampf sehe, als ein Bild, dass ich die Dinge anders machen muss, wenn ich in Freiheit leben möchte, wenn ich den Willen Gottes in die Tat umsetzen möchte, wird mir klar, dass das alles kein Spaß ist, sondern harte Arbeit bedeutet, das in dieser Welt umzusetzen, dass ich mich ganz und gar mit meiner ganzen Existenz dafür einsetzen muss.
Der Pharao – und damit komme ich wieder auf den Predigttext zurück – wollte die arbeitsamen Sklaven nicht ziehen lassen. Wollte er doch seine Macht mit prächtigen Pyramiden nicht nur mehren, sondern für alle Zeiten manifestieren.
Das ist doch heute nicht anders. Wir lassen unsere Güter in Billiglohnländern fertigen, um mehr Güter zu haben und möglichst wenig dafür zu bezahlen oder möglichst viel daran zu verdienen. Im vergangenen Jahr hat mal „Die Welt“ recherchiert, was einige deutsche Markenprodukte kosten würden, wenn Sie in Deutschland produziert würden und nicht in China. So würde der Kopfhörer einer bekannten Deutschen Firma statt 199,00 Euro 600,00 Euro kosten oder eine Damenstrumpfhose statt 10,00 Euro 23,78 Euro. (Quelle: Welt)
Welchen Preis wir dafür bezahlen, haben wir gerade in dieser Woche feststellen dürfen, als im Suezkanal eines der größten Containerschiffe dieser Welt havarierte und 422 weitere Containerschiffe im Stau standen. Die deutsche Autoindustrie geriet in Unruhe, weil wichtige Teile aus Asien festhingen.
So ein einfacher Vorfall wie diese Havarie macht uns deutlich, wie sehr wir von anderen abhängig geworden sind, wie sehr wir selbst mehr und mehr zu Ägyptern geworden sind.
Es gab also einen Grund, weshalb der Pharao die Israeliten nicht ziehen lassen wollte. Die Israeliten waren ein wesentlicher Faktor für den Wohlstand seines Landes und seiner Macht. Was bedeutet es für diese Welt, wenn wir als Christinnen und Christen aufstehen und losziehen, aus dem System ausziehen, das Knechtschaft schafft? Das würde vielen Menschen nicht gefallen. Es würde den gleichen Widerstand auf den Seiten der vermeintlich Mächtigen in Politik und Wirtschaft geben, wie damals beim Pharao. Wir würden uns nicht unbedingt beliebt machen.
Gott zeigte seinem Volk durch Mose den sicheren Weg aus der Knechtschaft der Ägypter, so wie uns Jesus Christus den Weg in die Freiheit gezeigt hat.
Es ist aber kein leichter Weg, weil er nicht so bequem ist, wie das satte, sichere Rundum-sorglos-an-den-Fleischtöpfen-Ägyptens-Paket. Mose musste schon eine ganze Weile mit seinem Volk diskutieren, bis er sie so weit hatte, dass sie aufbrechen. Jesus musste am Kreuz sterben und wieder auferstehen, damit uns deutlich wird, wie ernst es Gott mit uns meint.
Ostern stellt uns die gleiche Frage wie sie einst den Israeliten gestellt wurde: Wollen wir Sklaven in einem Leben bleiben, das uns vertraut ist oder wollen wir es riskieren, uns auf die Verantwortung fordernde Freiheit einzulassen?
Ostern ist der Tag, an dem uns Gott von unserer Schuld befreit hat. Durch Jesu Tod sind wir gewissermaßen schuldenfrei, aber es bleibt dabei, dass wir Menschen diejenigen waren, die die Schulden gemacht haben, weil wir Gott weniger vertraut haben als uns selbst. Weil wir mehr sein wollten als Gott, schlauer, weiser, mächtiger. Es ist noch immer unsere Schuld, die Gott dazu gebracht hat, seinen Sohn zur Vergebung unserer Sünden am Kreuz zu opfern. Das dürfen wir nie vergessen. Auch, wenn uns vergeben ist, so war es doch unser Verhalten, unsere Gottesferne im Kopf, in der Seele, im Handeln, die zu seinem Tod geführt haben.
Mit Jesu Tod und Auferstehung hat Gott erneut und ein letztes Mal Vertrauen in uns Menschen investiert. Mit Ostern stellt uns Gott auch die Vertrauensfrage. Er streckt uns die Hand entgegen, um uns auf dem Weg in die Freiheit mit all ihren Herausforderungen und Anfechtungen zu begleiten, wie er es einst mit den Israeliten getan hat.
„So errettete der Herr an jenem Tage Israel aus der Ägypter Hand.“
Christ ist erstanden von der Marter alle;
Wär er nicht erstanden, so wär die Welt vergangen.
Also, lasst uns mutig sein! Oder, um es mit den Worten des großartigen Mutmachlieds von Paul Gerhardt zu sagen: „Auf, auf mein Herz mit Freuden!“ Amen.
Pfarrer Martin Dubberke, Gottesdienst am Ostersonntag 4. April 2021 über 2. Mose 14,8–14.19–23.28–30a;15,20f. Perikopenreihe III in der Johanneskirche Partenkirchen