Pfr. Martin Dubberke
Eine Rosamunde-Pilcher-Geschichte

Eine Rosamunde-Pilcher-Geschichte

Sir Peter war seit mehr als dreißig Jahren glücklich mit seiner Lady Anne verheiratet. Die Ehe war kinderlos geblieben. Das tat ihrer Liebe aber keinen Abbruch. Sie lebten auf einem schönen, alten Landsitz, waren fleißig und genossen ihr Leben und die mit ihrem Wohlstand verbundenen Privilegien. Sie hatten sich gut eingerichtet in ihrem Leben – bis zu jenem Tag, der als der Schwarze Sonntag in die Geschichte derer von Renderton eingehen sollte. Es war der Tag, als Lord James – der Bruder von Sir Peter – mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen bei einem tragischen Unfall ums Leben kamen, so dass nun Sir Peter der neue Lord of Renderton wurde. Und damit musste nun der nicht mehr ganz junge Lord für Nachkommen sorgen, damit das alte Geschlecht derer von Renderten, das auf eine mehr als achthundertjährige Geschichte zurückblicken konnte, nicht ausstirbt.

So sehr nun Lord Peter und seine Lady Anne es versuchten, den ersehnten Stammhalter zu zeugen, so wenig gelang es ihnen. Mehr und mehr zog sich Lady Anne zurück, als ihr die Sinnlosigkeit dieses Unterfangens immer bewusster wurde.

Und so fasste sie einen einfachen und auch pragmatischen Plan. Sie hatte eine junge, irische, attraktive Kammerzofe mit wundvollen roten Haaren und grünen Augen. Linda konnte mit einen Mann mit einem sanften Augenaufschlag den Verstand rauben.

Und so schlug Lady Anne ihrem Lord beim Fünf-Uhr-Tee – während Sie ihm den Teller mit einem Stück Glenfiddich Highland Wisky Cake reichte – vor, mit Linda ein Verhältnis anzufangen.

Und da der Lord seine Frau nicht nur sehr liebte, sondern auch immer das tat, was sie ihm auftrug, fing er mit der Kammerzofe ein Verhältnis an. Es dauerte auch nicht lange und Linda wurde von seiner Lordschaft schwanger.

Linda hingegen spürte nun die Gunst der Stunde, schließlich hatte Lord Peter die Annehmlichkeiten mit ihr sehr genossen und fühlte sich in ihrer Nähe wohl. Und, sie trug unter ihrem Herzen sein Kind, von dem sie spürte, dass es ein Junge würde. Linda nutze das. Sie empfand sich immer weniger als Zofe, sondern immer mehr als die eigentliche Herrin von Renderton.

Diese Veränderungen in Lindas Wesen blieben Lady Anne nicht verborgen, so dass sie eines Tages ihren Mann – wieder einmal beim Fünf-Uhr-Tee – vor die Wahl zwischen Ihr und der Kammerzofe stellte. Lord Peter zog sich – elegant wie immer – aus der Affäre und meinte, nachdem er sich noch einen Scotch aus der Hausbar genehmigt hatte – das Linda doch ihre Kammerzofe sei und sie hier freue Hand hätte.

Linda hatte das Gespräch von der Spiegelkammer aus mitbekommen. Es war ihr schon vor langer Zeit zu einer lieben Gewohnheit geworden, während der Teezeit von der Spiegelkammer aus – also einem kleinen Raum, der sich hinter dem halbdurchlässigen Spiegel des Teesalons befand, die Gespräch ihrer Herrschaft zu verfolgen.

Und so kam sie der Demütigung durch ihre Herrin zuvor, packte ihre Sachen und zog im Old Dragon in ein kleines Zimmer ein.

Als sie dort abends an einem fast verborgenen Tisch saß, ihren Stew aß, setzte sich ein fremder Mann an ihren Nebentisch. Die beiden kamen miteinander ins Gespräch. Er war ein sehr verständnisvoller Mann in einem Maßanzug. Er hatte etwas von einem Pfarrer und konnte sehr gut zuhören. Nach zwei Stunden sagte er: „Schauen Sie, sie sind schwanger und werden einen Sohn auf die Welt bringen. Vertrauen Sie Gott. der hält schon schützend seine Hand über sie.“

Und so ging Linda noch am gleichen Abend wieder zurück. Lady Anne war darüber nicht glücklich, aber sie wusste, dass Linda unter ihrem Herzen das Kind Lord Peters trug. Und als das Kind geboren wurde, nannte es Lord Peter im Andenken an seinen Bruder James.

So lebten Sie gut viele Jahre zusammen, bis vollkommen überraschend Lady Anne eines Tages schwanger wurde und ebenfalls einen Sohn gebar, der nun als legitimer Sohn der zukünftige Lord sein würde. Auch das ging eine Weile gut. Doch als der zukünftige Lord abgestillt war, hatte Lady Anne Angst darum, dass der Sohn, den seine Lordschaft mit Linda hatte, einmal alles erben könnte oder das Erbe geteilt werden müsste und so forderte Sie mit ihren Mann – wieder beim Fünf-Uhr-Tee – auf, dass Linda und James Haus und Hof verlassen müssten.

Schweren Herzens fügte sich der alte Lord dem Wunsch seiner Frau und traf ein entsprechendes Arrangement.

Linda und James kamen aber mit dem Geld, dass er ihnen mitgegeben hatte, nicht weit. Sie hatten eine kleine Sozialbauwohnung und Linda war arbeitslos und kurz davor aufzugeben. Sie konnte die Miete nicht mehr bezahlen und auch Lebensmittel konnte Sie nicht mehr kaufen. James ging es mittlerweile so schlecht, dass sie fürchtete, er würde bald sterben. Als der Junge schläft, geht Sie für einen Moment vor die Tür, wo ihr wieder jener Mann im Maßanzug begegnet, der so verständnisvoll zuhören konnte. Und der Mann sagte zu ihr: „Was ist Dir, Linda? Fürchte dich nicht, denn Gott hat die Stimme Deines Sohnes gehört, der oben in seinem Bett liegt. Steh auf, nimm Deinen Sohn an die Hand, denn er soll doch Karriere machen.“

Irgendwie spürte sie nun eine besondere Kraft und Energie in sich. Als sie wieder ins Haus ging, sah sie, wie der Postbote einen Brief in Ihren Briefkasten legte. Als sie den Umschlag öffnet, kann sie es kaum fassen. Es ist keine Jobabsage, sondern eine Zusage. Sie hat wieder einen Job.

Linda ist heute längst im wohlverdienten Ruhestand und James ist Präsident einer global agierenden Holding.

Ich hoffe, Ihnen kommt diese kleine Geschichte von Liebe, Eifersucht, einer Leihmutterschaft, Vaterschaft und Vaterschaftsanerkennung, spätem Glück, einer alleinerziehenden Mutter nicht deshalb so bekannt vor, weil sie ein wenig nach Rosamunde Pilcher oder Hedwig Courths-Mahler klingt, sondern, weil es eigentlich die Geschichte von Abraham, seiner Frau Sara und deren Magd Hagar ist, die ihm den Ismael geboren hat.

Hagar ist eine spannende Frau. Sie ist eine verstoßene Leihmutter, alleinerziehende Mutter, die vom Kindsvater – auch das kennen wir heute noch immer – nicht unterstützt wird. Abraham hat sie nur mit einem Wasserschlauch und etwas Brot vertrieben und damit dem sicheren Tod ausgesetzt. Es ist eine Geschichte extremer emotionaler Belastungen. Denn Abraham schickt seine Nebenfrau mit seinem erstgeborenen Sohn ja nicht freiwillig in die Wüste, sondern, weil seine Frau es von ihm fordert. Abraham lebt mit seinen beiden Frauen und Söhnen in einer Patchworkfamilie, stets zwischen allen Bedürfnissen hin- und hergerissen, wie es halt so in Patchwork-Familien zugehen kann. Und Abraham muss eine Entscheidung treffen. Und er kann sich hier nicht auf eine seiner beiden Frauen verlassen. Da steht er ganz alleine. Wirklich ganz alleine? Nein, es gibt da noch Gott und der sagt ganz klar, dass er auf seine Frau hören soll. – meine Frau würde jetzt wahrscheinlich sagen: Gott ist eben schlau. Gott weiß, dass die Frauen schlauer sind als die Männer. Und dann nimmt Gott Abraham die Angst, dass es seinem Erstgeborenen zum Nachteil gereichen würde. Er sagt, dass das Geschlecht Abrahams nach Isaak, also dem zweitgeboren Sohn, benannt werden soll und, dass Ismael, also der Erstgeborene zu einem Volk werden soll, weil er Abrahams Sohn ist.

Und Hagar ist eine starke Frau. Sie flieht nicht aus der Verantwortung, die sie als unverheiratete Schwangere und dann schließlich als alleinerziehende Mutter hat, und dennoch ist die Situation zum Schluss so furchtbar, dass es beide fast das Leben kostet. Und da kommt Gott wieder ins Spiel und Hagar findet dann eine Quelle und damit wieder die Kraft zum Leben.

Und hier nun noch einmal die Losung im Klartext:

Der Engel Gottes rief Hagar vom Himmel her und sprach zu ihr: Was ist dir, Hagar? Fürchte dich nicht; denn Gott hat gehört die Stimme des Knaben, der dort liegt. Steh auf, nimm den Knaben und führe ihn an deiner Hand; denn ich will ihn zum großen Volk machen. 1. Mose 21,17-18

Neben vielen anderen Dingen macht diese Geschichte zwei Dinge deutlich: Es gibt Entscheidungen, die ich nicht ohne Gottes Hilfe treffen kann und ohne Gott finde ich nicht die Quelle, die mir die Kraft zum Leben gibt.

So, und wenn Sie das nächste Mal Rosamunde Pilcher sehen oder lesen, können Sie ja mal überlegen, welche biblische Geschichte Sie uns hier vielleicht von hinten durch die Brust ins Auge erzählen will.

Amen.

Wochenandacht im LAFIM am 17. September 2014