Pfr. Martin Dubberke

Durst

„Gott spricht: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.“

In unseren Breiten fällt es leicht, seinen Durst zu stillen. Einfach den Wasserhahn aufdrehen, Glas runterhalten und schon kommt das frische Nass. Das ist nicht überall in der Welt so. Jedes Jahr sterben rund drei Millionen Menschen weltweit, weil es keine ausreichende Wasserversorgung gibt. Wasser ist Leben. Ohne Wasser ist alles Leben nichts.

Ist aber an der Stelle nur der Durst, den ich durch Trinken stillen kann, gemeint? Ich bin mir da nicht so sicher. Durst kann viele Formen und Ursachen haben. Durst wird gerne als Bild genommen, z.B. als Durst nach Leben.

Und ich finde es in diesem Zusammenhang auch interessant, dass wir in unserer Sprache kein Wort für nicht-mehr-durstig haben. Wenn wir keinen Hunger mehr haben, dann sind wir satt. Das gleiche gilt auch für den Lebenshunger. Denken wir nur an Hiob, der alt und lebenssatt starb.

Mein Vater, der vor knapp zweieinhalb Jahren mit 85 Jahren gestorben ist, sagte kurz vor seinem Tod zu mir: Weißt Du, ich bin jetzt älter geworden als mein Vater, älter als jeder andere Mann in meiner Familie. Es ist jetzt Zeit zu gehen. Mein Leben ist wie ein voller Krug. Jeder Tropfen, der jetzt noch in den Krug fällt, läuft über.“

Mit diesem Bild wurde mir deutlich, dass mein Vater nicht nur lebenssatt war, sondern auch keinen Lebensdurst mehr hatte.

Anderen Menschen geht es anders. Sie haben Durst und werden aus dem Leben herausgerissen und manche ertrinken vor lauter Durst in ihrem Leben oder haben einen über den Durst getrunken, was mit Sicherheit in der vergangenen Nacht bei vielen Menschen der Fall gewesen sein wird.

Bei Durst fallen mir auch meine beiden Söhne ein. Wenn wir unterwegs sind, kann es passieren, dass sie plötzlich sagen, dass sie Durst haben und jetzt und sofort etwas zu trinken haben wollen. Und wenn ich dann sage: „Na, wir sind doch gleich zu Hause,“ bricht zuweilen die reinste Panik aus und ich bekomme das Gefühl, dass meine Söhne kurz vor dem Verdursten sind. Durst wird unterschiedlich wahrgenommen.

Manche Menschen halten ihn einfach aus und bei anderen löst er Panik aus, so als würde man vielleicht keine Luft mehr bekommen.

„Verdursten“ – ist dabei auch so ein spannendes Wort. Man kann Durst haben. Man kann verdursten. Aber, man kann nicht entdurstet sein. Durst kann nur gestillt werden.

Durst ist also wie ein Sturm, wie eine Naturgewalt. Durst ist Unruhe. Erst wenn der Durst gestillt ist, kehrt wieder Ruhe ein.

Ist ein Volk durstig, kann es aufbegehren.

Gleichzeitig wissen wir, dass es eigentlich gar keinen Durst geben müsste, weil Gott am Ende seiner Schöpfung erkannte, dass alles gut war, ja sogar sehr gut. Aber, er hat uns Menschen, die Verantwortung für seine Schöpfung übertragen. Also, tragen wir die Verantwortung für den Durst in der Welt. Doch wie kommt es dann dazu, dass es Orte in dieser Welt gibt, wo es nicht genug Wasser gibt? Weil – um im Bild zu bleiben – manche Menschen zu viel Durst haben und den anderen nichts gönnen.

Und das gilt nicht nur für Wasser, das der kostbarste Rohstoff unserer Welt ist. Und die zunehmende Knappheit dieses Rohstoffs, dieses wichtigen Lebensmittels, wird mehr und mehr zu einer Machtfrage in unserer Welt.

Genauso verhält es sich mit dem Durst nach Freiheit, nach Frieden, nach Glück und Liebe. In Äthiopien müssen die Menschen viele Kilometer gehen, um an einem Brunnen Wasser zu holen, während wir einfach den Wasserhahn aufdrehen und zum Teil bedenkenlos das Wasser einfach laufen lassen, nur damit es etwas kälter wird…

Der Durst nach Frieden und Sicherheit lässt Menschen tausende von Kilometern gehen, um an einen Ort zu kommen, wo der Durst nach Sicherheit gestillt werden kann.

Gottes Versprechen, dem Durstigen von der Quelle des lebendigen Wassers zu geben, macht uns deutlich, dass es nicht nur um das körperliche Erleben von Durst geht, sondern auch um das seelische.

Auch die Seele kann Durst haben. Die Quelle des lebendigen Wassers ist der Glaube. Der Glaube schafft Visionen und eröffnet neue Dimensionen. Was kann es Besseres zu Beginn eines neuen Jahres geben als ausgerechnet das?  Und das Großartige daran ist, dass Gott uns das Wasser dieser Quelle umsonst gibt. Er knüpft das lebendige Wasser nicht an Bedingungen. Er gibt es uns, wenn wir durstig sind. Er bietet es uns an, wie ein Gastgeber etwas zu trinken anbietet. Niemand muss durstig sein und bleiben.

Wir müssen das Glas nur in die Hand nehmen und daraus trinken. Und wenn wir ehrlich sind, schmeckt diese Quelle sehr gut. Und wenn wir davon trinken, wird unser Durst nach Frieden, Freiheit, Liebe und Glück gestillt.

Ich bin gestern, als ich für meine Neujahrswünsche für meine Familie und Freunde geschrieben habe, über Psalm 65 gestolpert. Und ich finde, er passt wunderbar genau an diese Stelle:

Du suchst das Land heim und bewässerst es
und machst es sehr reich;
Gottes Brünnlein hat Wasser die Fülle.
Du lässt ihr Getreide gut geraten;
denn so baust du das Land.
Du tränkst seine Furchen und feuchtest seine Schollen;
mit Regen machst du es weich und segnest sein Gewächs.
Du krönst das Jahr mit deinem Gut,
und deine Spuren triefen von Segen.

Psalm 65, 10-12

Und das, was ich meiner Familie und meinen Freunden gewünscht habe, dass sage und wünsche ich auch Ihnen, liebe Schwestern und Brüder:

Glücksschwein, Schwein gehabt – Zum Jahreswechsel verschenken wir gerne Marzipanschweine, Blumentöpfe mit Glücksklee, dekorieren die Töpfe mit kleinen Schornsteinfegern, weil ja Schornsteinfeger Glück bringen sollen. Wir ziehen an Knallbonbons, aus denen kleine Figuren, Ringe, Glücksbringer rausfallen und kleine Spruchweisheiten. Wir wünschen einen guten Rutsch und um Mitternacht vertreiben wir mit Raketen und Böllern die bösen Geister.

All das steht für unsere Sehnsucht nach Frieden, Gesundheit, Liebe und Glück.

Doch Psalm 65 macht sehr deutlich, dass es ohne Gottes Segen weder Glücksklee noch Glücksschweine gäbe.  Es ist eben Gott, der mit seinem Segen das Jahr mit Gutem krönt.

Du krönst das Jahr mit deinem Gut, und deine Spuren triefen von Segen.

Psalm 65, 12

Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass Gottes Segen Ihr neues Jahr krönen möge.

Amen.

Predigt am Neujahrstag 2018 in der Königin-Luise-Gedächtniskirche und zugleich Auftakt der Predigtreihe „Bei dir ist die Quelle des Lebens“