Pfr. Martin Dubberke

Du, Herr, bist gerecht, wir aber müssen uns alle heute schämen

Die Herrnhuther haben uns für heute eine dicke Nuss zu knacken gegeben:

Du, Herr, bist gerecht, wir aber müssen uns alle heute schämen.
Daniel 9,7

Der erste Teil ist ja kein Problem. Das wissen wir, dass Gott gerecht ist, auch wenn es immer wieder mal vorkommen kann, dass einzelne das temporär anders empfinden. Aber, was der Prophet Daniel hier schreibt, stimmt: Du, Herr, bis gerecht!Natürlich könnte man sich jetzt auch ansehen, in welchem, Zusammenhang der kleine Prophet geschrieben hat. Aber das ist gerade nicht so interessant.

Was aber deutlich schwieriger wird, ist der zweite Teil des Verses: „..wir aber müssen uns alle schämen.“

Gut, auch hier könnte ich mir jetzt mit Ihnen den Zusammenhang anschauen, aber auch das ist gerade nicht so interessant. Brennender ist im Moment die Frage, wie ich den Vers in die Gegenwart übertrage: Hier, heute Morgen, in dieser Runde, an diesem Ort. – Es ist doch ganz klar, dass damit die Frage an uns selbst verbunden ist:

Wofür müssen wir uns schämen?
Wofür muss ich mich schämen?

Ein heikles Thema. Ein Thema, das uns seit dem Sündenfall, dem Biss in die verbotene Frucht verfolgt: Scham. Das, wofür wir uns schämen, verdecken wir gerne, weil wir nicht wollen, dass man unsere Nacktheit sieht, unsere intime Seite.

Adam und Eva erkannten nach dem Genuss der verbotenen Frucht, dass sie nackt waren und machten sich einen Schurz aus Feigenblättern. Sie hatten ihre Unschuld verloren.

Womit haben wir unsere Unschuld verloren?
Was nehmen wir heute als Feigenblatt?
Woraus ist unser Schurz gemacht, mit dem wir unsere Scham, unsere Schuld, unser Verschulden verbergen?

Dazu gehören solche Strategien wie Leugnung oder Schuldverschiebung – sprich jemand anderes die Schuld zuzuschieben. Man selbst hat sich ja nichts zuschulden kommen lassen. Eine andere Strategie ist das Aussitzen: „Da muss erst einmal jemand drauf kommen, dass ich es gewesen bin.“

Lassen Sie es mich positiv sagen: Wer seine Schuld verbirgt, weiß, dass er Schuld auf sich geladen hat.

Und damit stellt sich die Frage: Welche Schuld hat jeder einzelne von uns auf sich geladen?

Das wäre die Frage nach der individuellen Schuld, der individuellen Scham. Diese Frage können nur Sie selbst Gott gegenüber beantworten. Und er lädt uns dazu ein.

Das andere aber ist die Frage nach der kollektiven Schuld. Diese Frage ist deutlich schwieriger zu beantworten, weil sie viel komplexer ist. Im Oktober 1945 hat sich die Evangelische Kirche in Deutschland bemüht, eine Antwort auf diese Frage zu finden, indem sie versucht hat, Verantwortung zu übernehmen. Mit der Stuttgarter Schulderklärung hat Kirche damals ihre Schuld erklärt. Berühmt geworden ist daraus der Satz:

…wir klagen uns an,
dass wir nicht mutiger bekannt,
nicht treuer gebetet,
nicht fröhlicher geglaubt und
nicht brennender geliebt haben.

Die Autoren der Erklärung, unter denen der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann, der Berlin-Brandenburgische Bischof Otto Dibelius und Martin Niemöller waren, lassen in diesem bekennenden Satz erkennen, dass aus individueller Schuld auch eine kollektive werden kann. Aus dieser Erkenntnis leitet sich die Frage ab, die wir uns als Christinnen und Christen in dieser Welt, in dieser Gesellschaft zu stellen haben: Was ist mein Auftrag? – Eines ist klar: Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst. Ich kann es nicht oft genug sagen: Liebe Deinen Nächsten wie dich selbst.

Wer sich solcherweise selbst liebt, wird keine Flüchtlingsheime anzünden.
Wer sich solcherweise selbst liebt, wird keine unschuldigen Menschen töten.
Wer sich solcherweise selbst liebt, wird keine Parteien wählen, die dieses Gebot vergessen haben oder leugnen.
Wer sich solcherweise selbst liebt, wird auf andere Menschen, auf andere Geschöpfe Gottes, egal welchen Glaubens, offen zugehen und ihnen in Nächstenliebe begegnen.

Ich habe gerade gesagt: Wer seine Schuld verbirgt, weiß, dass er Schuld auf sich geladen hat. Damit stellt sich nach allem, worüber ich gerade stellvertretend für Sie nachgedacht habe, die Frage: Was brauchen wir, damit unser Schämen zu einem Schuldbekenntnis wird? – Genau! Das, was Daniel im ersten Teil seines Verses sagt: „Du, Herr, bist gerecht.“

Wenn es jemanden gibt, der uns gerecht behandelt und nicht nach Gutdünken, dann ist es Gott, der HERR.

Wenn wir uns an jemandem orientieren, dann an Gott und nicht irgendeiner öffentlichen Meinung.

Wir können uns ihm gegenüber vorbehaltlos öffnen. Wir brauchen keine Angst zu haben, ihm alles zu gestehen und nach diesem Geständnis und Bekenntnis der Einsicht folgend zu handeln, damit das Schämen ein Ende hat.

Nebenbei gesagt: Die Losung ist Teil eines Schuldbekenntnisses, das Daniel spricht:

Und ich kehrte mich zu Gott, dem Herrn, um zu beten und zu flehen unter Fasten und in Sack und Asche.
Ich betete aber zu dem HERRN, meinem Gott, und bekannte und sprach:
Ach, Herr, du großer und heiliger Gott, der du Bund und Gnade bewahrst denen, die dich lieben und deine Gebote halten!
Wir haben gesündigt, Unrecht getan, sind gottlos gewesen und abtrünnig geworden; wir sind von deinen Geboten und Rechten abgewichen.
Wir gehorchten nicht deinen Knechten, den Propheten, die in deinem Namen zu unsern Königen, Fürsten, Vätern und zu allem Volk des Landes redeten.
Du, Herr, bist gerecht, wir aber müssen uns alle heute schämen, die von Juda und von Jerusalem und vom ganzen Israel, die, die nahe sind, und die zerstreut sind in allen Ländern, wohin du sie verstoßen hast um ihrer Missetat willen, die sie an dir begangen haben.
Ja, HERR, wir, unsre Könige, unsre Fürsten und unsre Väter müssen uns schämen, dass wir uns an dir versündigt haben.
Bei dir aber, Herr, unser Gott, ist Barmherzigkeit und Vergebung. Denn wir sind abtrünnig geworden und gehorchten nicht der Stimme des HERRN, unseres Gottes, und wandelten nicht in seinem Gesetz, das er uns vorlegte durch seine Knechte, die Propheten…
Daniel 9, 4-10

Soweit der Prophet Daniel.

Ostern macht es uns deutlich: Christus, der für unsere Sünden gestorben ist, ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden. Halleluja! Lobet den HERRN!

Lasst uns das Lob in unserem Handeln erkennbar werden.

Amen!