Pfr. Martin Dubberke

Die Versuchung der Macht

Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde. Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. Und der Versucher trat zu ihm und sprach: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden. Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben: »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.«Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben: »Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.«

Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.«

Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.

Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben: »Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.« (Matthäus 4,1-11)

Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm.

Drei Versuchungen, liebe Gemeinde:

  • Die Versuchung durch Hunger
  • Die Versuchung durch Sensation.
  • Die Versuchung durch Macht.

Ich habe im Gegensatz zu den meisten von Ihnen nie Hunger, richtigen, schmerzhaften Hunger erlebt. Ich weiß nicht, was richtiger Hunger aus einem Menschen machen kann, wozu richtiger Hunger einen Menschen treiben kann. Das werde ich auch nicht nachvollziehen können, wenn ich sieben Wochen ohne Alkohol oder Süßigkeiten oder Kaffee oder Fleisch lebe. Ich werde höchstens am Ende der sieben Wochen neu, sensibler oder heftiger schmecken, wenn ich zum ersten Mal wieder davon esse oder trinke. Ich würde aber für ein Stück Schokolade nicht irgend etwas besonderes tun.

Ich weiß nicht, wozu sie für ein Stück Brot bereit gewesen wären.

Ich kenne aber einen anderen Hunger. Den nach Anerkennung, nach Erfolg, nach Bestätigung, nach existentieller Sicherheit. Einen Hunger, der manche Kröte bei zugehaltener Nase schmackhaft werden lässt. Ich weiß auch, wie schmerzhaft es ist, wenn man sich selbst dabei treu bleibt und dem widersteht. Da ist nicht als erstes das gute Gefühl, es dem anderen, dem Versucher, dem Teufel gezeigt zu haben. Da kommt zu erst ein ganz anderes Gefühl auf. Verdammt noch mal, Du hättest nur einmal mit den Wölfen heulen müssen und dann nie wieder. Aber wenn ich einmal mit den Wölfen geheult habe, ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann ich bereit bin, das nächste Mal mit ihnen zu heulen, mit ihnen gemeinsame Sache zu machen. Es dauert manchmal Tage, ja Monate oder Jahre, bis man sich sicher ist, das Richtige getan zu haben und sich nicht irgendeinen Weg verbaut zu haben.

Da ist es gut, wenn man dem Versucher entgegenschmettern kann… Nein, nicht entgegenschmettern, sondern mit bebendem Herzen und größtmöglicher Ruhe in der Stimme sagen kann: »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.« Wenn man im Affekt nicht vergisst, worauf es wirklich ankommt.

Nein, ich lebe nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes kommt, auch wenn ich davon nicht meine Miete, mein Essen, meine Kleidung kaufen kann. Ich stehe diese Anfechtung durch, weil ich meine Werte aus dem Munde Gottes beziehe, weil ich mich von ihm in der Not getragen weiß, von ihm und denen, die mich bedingungslos lieben, so wie ich bin und so wie ich werde, weil ich bin, der ich bin.

Die Versuchung durch Sensation. Wer möchte nicht einmal in seinem Leben etwas besonderes sein, etwas besonderes machen? Ich glaube Joseph Beuys war es mal, der gesagt hat, daß jeder Mensch das Recht hat, für eine Minute berühmt zu sein. Auffallen! Einmal aus der grauen oder bunten Masse hervortreten, der Star, der Superstar zu sein. Von dieser Sehnsucht lebt das Fernsehen. Millionen Menschen verfolgen seit Monaten im Fernsehen „Deutschland sucht den Superstar“. Nahezu jeder Mensch, der für 49 Cent die Minute anruft, um seine Stimme seinem Superstar geben zu wollen, will Anteil am Ruhm der Kandidaten haben. Ich habe mit an Deinem Ruhm gestrickt, weil ich für dich votiert habe. Ich bin ein Teil von Dir. Da sind einfache Leute – zum Teil nicht ganz unbegabt – , die dem Wunsch, ein Superstar zu sein, mit aller Kraft und Energie nachjagen, es aus zum Teil einfachsten Verhältnissen schaffen, ins Rampenlicht zu kommen. Wenn Der das kann, dann kann ich das doch auch. Was für eine Perspektive in einer Zeit, in der wir die höchste Jugendarbeitslosigkeit aller Zeiten haben, wo junge Menschen, keine Ausbildungsplätze bekommen? Wie einfach war es da doch für mich. Ich habe mich einfach an der Uni eingetragen und studiert. Gut, der Kampf kam später. Aber es gab immer irgendwie eine Perspektive.

Komm, Jesus, spring, und Du wirst von den Engeln getragen, denn Du bist der Sohn Gottes. Du bist doch der Sohn Gottes, oder? Spring und sei Gott! Komm, na komm schon, spring! Ob ich den Sprung überlebe, das weiß ich nicht. Ob einer der Superstars den Sprung und vor allem den Fall in die sich anschließende Bedeutungslosigkeit überlebt, wer weiß das schon? Werden sie psychisch stark genug, gefestigt genug sein, um danach noch ein normales Leben führen zu können. Ich brauche nämlich auch den Rückhalt, den starken Rücken, die Persönlichkeit dafür und vor allem: Ich muß landen können. Landen kann ich aber auch nur, wenn ich das Ziel kenne. »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht um jeden Preis versuchen.«

Der Hunger nach Macht, die Versuchung der Macht ist schließlich der Hunger, in dem alles zusammenkommt. Die Sehnsucht nach Anerkennung und nach Sensation und Ruhm. Nur ein einziges Mal musst Du einen Kniefall machen. Wer wird den schon sehen, außer der, dem er gilt? Komm, hier schau, das alles wird dein sein, Du allein wirst darüber herrschen. Wer soll Dir da noch drein reden. Wer von uns hat nicht schon mal gesagt, wenn ich einmal was in Deutschland zu sagen hätte? Wer kennt das nicht, den Wunsch, einmal alle Hebel in der Hand zu haben.

Und dann kommt so einer, der meint, ich könnte es für einen kleinen Preis haben. Komm, komm, mach schon. Das tut doch nicht weh. Und was will der Teufel anderes von Jesus: Beweise mir, daß Du der Sohn Gottes bist. Tue Wunder, fliege, Bete an und herrsche.

Der Teufel provoziert ihn: Nun zeige mir doch mal, ob Du der bist, der du zu sein vorgibst. Wenn Du es nicht tust, dann bist du ein blutiger, elender Versager, ein Aufschneider, ein Schwächling, eine Pfeife, ein Wicht.

Das geht an die Ehre, ans Selbstbewusstsein, vor allem, wenn es nicht so gut um das eigene Selbstbewusstsein bestellt ist. Was hat unsereins wider besseren Wissens nicht schon alles getan, nur weil er Angst hatte, als Looser, als Verlierer dazustehen. Da hat uns dann irgendein Versucher, ein Vertreter – wovon auch immer -, ein Chef, ein Politiker manipuliert. Und was heißt manipulieren? Nichts anderes, als sich zur Marionette machen zu lassen, so daß man nur noch an den Spielfäden hängt und seine Unabhängigkeit, seine Selbständigkeit, Autonomie, Persönlichkeit aufgeben hat. Ich muß eine Lüge immer nur glaubhaft rüberbringen und wiederholen, wiederholen, wiederholen, wiederholen und nochmals wiederholen. Hören wir uns doch die Phrasen, die Parolen der Politiker, Gewerkschafter und Vertreter der Arbeitgeberverbände an. Sie wiederholen und wiederholen sich. Keine Hintergründe, nur einfache, populistische Parolen. Sie müssen nur lange genug wiederholt werden, dann werden schon genug Menschen das Ganze glauben. Schließlich wollen alle einen Arbeitsplatz oder mehr Geld.

Schließlich wollen alle Menschen Frieden. Also muß ich ihnen nur lange genug einreden, daß es da jemanden gibt, der besonders böse ist. Da muß ich nur lange genug die Achse des Bösen beschwören und von neuer Weltordnung reden und erpressen. Du Dienst mir nicht, Du stimmst im Sicherheitsrat nicht auf meiner Seite mit, dann werde ich Dir mal zeigen, was ein Handelsembargo ist, was Strafzölle sind! Komm, stimm für uns, und du kannst im Irak weiterhin Handel und Wandel treiben, dann bekommst Du ein kleines Stückchen vom Kuchen. Komm, morgen denkt schon keiner mehr dran, daß Du umgekippt bist. Du findest schon ein gutes Argument dafür.

Aber Jesus hat das nicht nötig. Er weiß was und wer er ist. Das muß er dem Teufel nicht beweisen, indem er sich auf falsche Macht einlässt, sich korrumpieren lässt. Nein, nicht Jesus. Der schmettert sich seiner selbst bewußt dem Satan entgegen: Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben: »Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.«

Das allein gilt es immer wieder vor Augen zu behalten. Der Teufel ist nichts anderes als der personifizierte Minderwertigkeitskomplex, den jeder einzelne von uns mit sich herumträgt. Denn jeder Mensch von uns, egal wie charakterstark und fähig er auch sein mag, hat seine schwache Stelle. Die Stelle, an der man ihn kriegen kann, wenn man ihn richtig packt. Und jeder Mensch hat vor nichts mehr Angst, als vor seiner eigenen Ohnmacht. Und so ist es nicht verwunderlich, daß wir manchmal von Gott das große Wunder erwarten, den Beweis seiner Allmacht. Aber ein wahrer Gott ist nicht auf den Nachweis seiner Autorität angewiesen, denn er hat ja uns, die wir ihm dienen und von seinem Worte leben, das stärker ist als alle weltliche Macht. Oder sollte ich da etwas falsch verstanden haben?

Amen.

Invokavit | 8. März 2003 | Matthäus 4, 1-11