Pfr. Martin Dubberke

Die Sache mit der Gottesebenbildlichkeit

Ein Taxi hatte an der Bushaltestelle gehalten und so den Bus blockiert, dass wir nicht an die Haltestelle kamen und der Busfahrer den Taxifahrer beschimpfte. Als dann mehrere junge Frauen mit Kopftuch aus dem Taxi aussteigen, sagt der ältere Mann neben mir mit Verachtung im Blick: „Das war doch klar. Schon wieder diese Frauen mit Kopftuch.“

Ich blicke ihn scharf an, um ihm die Möglichkeit zu geben, sein Verhalten zu kommentieren. Er spürt den Blick und ich halte seinen aus. Schließlich sage ich: „Es gibt auch ziemlich komische Menschen ohne Kopftuch.“

Seine Antwort ist so undeutlich, dass ich sie nicht verstehe. Und ich frage ihn, ob er Christ sei, worauf er zu meiner Überraschung mit „Ja“ antwortet.

„Katholisch oder evangelisch!“

„Evangelisch.“

„Na, da haben Sie aber Glück“, strahle ich ihn an.

Verunsichert fragt er zurück: „Warum?“

„Weil Sie sonst gleich ohne Umweg zur Beichte gehen müssten.“

Irritiert, sich keiner Schuld bewusst, schaut er mich gleichsam mit einem Fragezeichen im Gesicht an.

„Sie haben soeben eine große Sünde begangen.“

Sein Blick wird immer ungläubiger.

„Sie haben sich soeben über andere Menschen erhoben und Hochmut kommt vor dem Fall. Sie haben sich selbst für wertvoller erachtet als diese fünf jungen Frauen. Mit welchen Recht?“

Seine Verunsicherung will noch nicht weichen, aber er positioniert sich auf Gegenangriff:

„Weil das islamistisches Gesocks ist.“

„Sind Sie dann rechtes Gesocks?“

Der ältere Herr läuft allmählich rot im Gesicht an und weiß nicht so recht, was er darauf antworten soll.

„Guter Mann“, sage ich nun mit versöhnlichem Ton: „Wenn Sie andere Menschen als Gesocks bezeichnen und behandeln, dann dürfen Sie sich nicht wundern, wenn Sie selbst als Gesocks behandelt werden. Sie sind genauso, wie alle anderen Menschen von Gott nach seinem Ebenbild geschaffen. Wenn Sie also einen anderen Menschen herabwürdigen – und das haben Sie gerade getan – dann würdigen Sie Gott herab und das ist eine schwere Sünde.“

„Aber die haben doch einen ganz anderen Gott als wir“, versucht er nun mich zu überzeugen.

„Na, dann schauen Sie mal in die Bibel. Da heißt es: Und Gott schuf den Menschen als Mann und Frau. Er unterschied nicht zwischen Jude oder Christ oder Moslem oder gar nichts, sondern er unterschied einzig und allein zwischen Mann und Frau. Und das aus guten Grund. Weil beide einander bedürfen, um Gottes Schöpfung, die uns Menschen anvertraut worden ist, zu erhalten. Gott macht darin deutlich dass wir als Mann und Frau aufeinander angewiesen sind. Und Jesus unterstreicht das noch einmal durch sein Wirken, indem er sagt:

»Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt« (5. Mose 6,5). Dies ist das höchste und größte Gebot. Das andere aber ist dem gleich: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (3. Mose 19,18). (Matthäus 22, 37-39)

Dabei zitiert er beide Male aus dem Alten Testament, aus den Büchern Mose, sprich der Thora.

„Aber…“, sucht der ältere Mann nach einer Antwort.

„Genau: Aber. Diese fünf jungen Frauen mit Kopftuch, sind Ihre Nächsten. Und vielleicht erinnern Sie sich noch an das, was Paulus den Galatern geschrieben hat:

»Da ist nicht Jude noch Grieche, da ist nicht Sklave noch Freier, da ist nicht Mann noch Frau; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.« (Galater 3,28)

Als Christen glauben wir, dass wir als Menschen alle einer in Christus Jesus sind. Es gibt niemanden, der mehr oder weniger ist, der besser oder schlechter ist, weil wir alle als Geschöpfe Gottes zum Guten angelegt sind. So wie Sie, die fünf jungen Frauen mit dem Kopftuch oder ich oder jeder andere Mensch auch. Uns eint, dass Gott uns in Vielfalt nach seinem Bild geschaffen hat. Und welches Recht hätten wir, das in Frage zu stellen?“

Der ältere Mann schaut mich an und weiß nicht so recht, was er darauf noch antworten soll. Er steigt aus dem Bus aus, weil er an seinem Ziel angekommen ist. Ob ich an meinem Ziel angekommen bin und eine Veränderung bei ihm bewirkt habe oder ihn nur tot geredet habe… Ich weiß es nicht. Aber er bleibt vor meinem Fenster stehen und schaut mich an. Als der Bus anfährt, lächelt er und hebt seine Hand zu einem dezenten Winken.

Ich lächle zurück, hebe meine Hand ebenfalls zum Gruß und denke, dass ich noch gar nicht über die Rolle des Taxifahrers in dieser Geschichte nachgedacht habe.

 

Die Geschichte hat heute im X34 so angefangen, aber als der ältere Mann mit einem unverständlichen Satz aus dem Bus ausstieg, ging irgendwie die Geschichte danach in meinem Kopf weiter…

7. Mai 2016