Pfr. Martin Dubberke
Impuls zu Losung und Lehrtext am Montag 20230403 | Bild: Martin Dubberke

Aug in Auge

Ich habe den Herrn allezeit vor Augen.
Psalm 16,8

Lasst uns aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete.
Hebräer 12,2

Das mit den Losungen ist ja immer so eine Sache. Mein alter Griechischlehrer an der Uni sagte immer, dass die Losungen wie ein Orakel seien, aus denen man ersehen möchte, wie der Tag wird. Tja, wie könnte ein Tag werden, der mit dieser Losung beginnt?

Heute könnte das so gesehen ganz einfach sein, weil die Losung die Aufforderung ist, den Herrn allezeit vor Augen zu haben. Das wäre doch mal ein spannendes Experiment, ob ich andere Entscheidungen treffe, Menschen anders begegne, wenn ich das tue?

Wie verändert sich mein Reden über andere Menschen, wenn ich Gott vor Augen habe oder mir vorstelle, was würde er denken? Wie würde er jetzt handeln? Wie würde er jetzt entscheiden? Würde ich das durchhalten?

Den Herrn allezeit vor Augen zu haben, bedeutet, mit ihm in Kontakt zu sein. Wenn ich ihn vor Augen habe, dann sehen wir auch einander in die Augen und können in den Augen des anderen lesen. Und dann kann er auch sehen, was ich im Schilde führe und ich, dass er das gut oder nicht gutheißt.

Wir kennen doch die Übung, die wir mit unseren eigenen Kindern gemacht haben, wenn wir das Gefühl hatten, dass sie uns anlügen. Schau mir mal in die Augen! – Ja, und dann hat es nicht lange gedauert, bis sie lachen mussten, weil sie die Lüge nicht länger durchgehalten haben. Das funktioniert nebenbei gesagt auch wunderbar zwischen Eheleuten. Und zwischen Gott und Mensch sieht es nicht anders aus. Er kann mir bis auf den Grund meiner Seele sehen. Und? Ändert das etwas an meinem Handeln, Reden, Denken?

Ich kann auch einen Schritt weitergehen. Was geschieht, wenn ich meinem Gegenüber in die Augen schaue? Er ist ja wie auch ich ein Abbild Gottes, weil wir beide nach seinem Bilde geschaffen sind. Ich glaube, dass wir uns viel zu wenig in die Augen schauen. Wir sehen uns an, aber schauen wir dem anderen auch wirklich in die Augen. Ich gebe ehrlich zu, dass die Zeit des Maskentragens in der Beziehung hilfreich fand. Ich war in der Kommunikation vor allem auf die Augen konzentriert, weil der Mund mit seinem Lächeln oder seinen missbilligenden, nach unten gezogenen Mundwinkeln verborgen war. Es ändert sich viel, wenn ich dem anderen Menschen in die Augen schaue. Und die Kommunikation, der Kontakt mit dem anderen wird intensiver. So ist es auch mit Gott.

Heute Morgen hat die Karwoche begonnen. Für uns Christenmenschen ist das eine besondere Woche, eine Woche, in der wir des Leidens Jesu Christi gedenken, uns vor Augen halten, was er auf sich genommen hat, damit wir einen Neustart im Leben und im Verhältnis zu Gott haben können. Ich weiß, dass es Menschen gibt, die das anders sehen, denen das nichts sagt, die damit nichts anfangen können. Aber wenn ich mich mal für einen Moment darauf einlasse und mich da hineinfühle, was es bedeutet, dass jemand Folter, Diffamierung, körperliche und seelische Demütigung und Schmerzen auf sich genommen hat, nur damit es mir besser gehen kann, ich in Freiheit leben kann – was macht das mit mir?

Was das mit Menschen macht, können wir fast jeden Tag in den Medien sehen oder nachlesen, was Menschen auf sich nehmen, um menschenverachtende Systeme zu verändern, wieviel sie bereit sind, auf sich zu nehmen und welchen Gefahren sie sich aussetzen, um Freiheit zu erlangen. Sie nehmen selbst den Tod in Kauf.

Jesus hat das vor zweitausend Jahren auch gemacht. Und so ist die Karwoche eine Zeit, in der wir uns genau daran erinnern können und uns auch klar darüber werden können, wie wir mit dieser Freiheit umgehen, die einzig und allein ihren Urgrund in Jesus Christus hat, und dass Freiheit keine Selbstverständlichkeit ist, sondern etwas, das wir jeden Tag neu als ein Geschenk verstehen dürfen, mit dem wir aufmerksam und wertschätzend umgehen sollten, weil es eben nicht selbstverständlich ist. Auch in unserem Land haben sich Menschen dafür eingesetzt und auf den Weg gemacht, sei es in der Zeit zwischen 1933 und 1945, sei es zwischen 1949 und 1989.

Den Herrn allezeit vor Augen zu haben, bedeutet auch, meine Freiheit und die Freiheit meines Nächsten im Blick zu haben und zu bewahren und sich die Frage zu stellen, was ich selbst bereit bin, dafür einzusetzen. Freiheit heißt nicht frei von Verantwortung zu sein, sondern die Herausforderung, die Verantwortung für die Freiheit an- und wahrzunehmen.

Pfarrer Martin Dubberke, Gedanken zu Losung & Lehrtext vom 3. April 2023

Pfr. Martin Dubberke
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