Pfr. Martin Dubberke

Simon Petrus

Hat Sie schon mal jemand, verraten? Ich meine: So richtig verraten. Jemand, dem Sie total und vollkommen und absolut vertraut haben?

Können Sie sich noch daran erinnern, wie Sie sich damals gefühlt haben? Spüren Sie noch die Enttäuschung? Die Wut? Die Leere in Ihnen? Erinnern Sie sich noch an die Fragen, die sie sich damals gestellt haben? Und wie ist das mit den Verwünschungen und Verfluchungen, die Sie ausgesprochen haben? Was haben Sie dem anderen alles auf die Pelle gewünscht? Wo sind Sie damals mit Ihrem Ärger, Ihrer Wut und Enttäuschung hin? Und vor allem: Konnten Sie dem anderen verzeihen? 

Ich habe einmal zum Ende meines Studiums so eine Situation erlebt, als ich feststellte, dass mich meine damalige Freundin mit einem anderen Mann betrog. Wir wollten heiraten, eine Familie gründen, gemeinsam alt werden. Und trotzdem: Sie verriet mich, unsere Pläne, die wir geschmiedet hatten. Alles, was wir gemeinsam wollten, war mit einem Mal in Frage gestellt. Es war, als zöge mir jemand den Boden unter meinen Füßen weg. Ich empfand Wut gegenüber dem anderen Mann, der sich zwischen uns drängte. Ich war verzweifelt, am Boden zerstört. Ich war enttäuscht über meine Freundin. Es war eine Enttäuschung, die sich wie ein Hieb in meinen Magen anfühlte. Wo eben noch Schmetterlinge flogen, war ein Vakuum.

Konnte ich nach dem Verrat noch vertrauen? Gab es noch eine gemeinsame Basis? War das noch das Fundament, auf dem man ein gemeinsames Leben aufbauen konnte, auf dem noch Zukunft möglich war – oder war auch das Fundament pulverisiert?

Kennen Sie das Gefühl? Haben Sie sich vielleicht schon mal die Frage gestellt, ob auch Jesus dieses Gefühl gekannt haben könnte? Jesus war auch verraten worden. Und er war nicht einfach nur von irgendjemandem verraten worden, sondern von dem Mann, der der Fels sein sollte, zu dem Jesus gesagt hat:

Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. (Matthäus 16, 18)

Dieser Petrus, dieser Fels, hielt nicht stand. Dreimal leugnete er Jesus zu kennen und ihm anzuhängen. Dreimal verriet er Jesus, stand nicht zu ihm. Wie konnte dieser Petrus noch der Fels sein, auf dem Jesus seine Gemeinde bauen wollte?

Jesus starb seinen Tod am Kreuz, wurde begraben und ist auferstanden. Der Auferstandene steht eines Morgens am See Tiberias, während seine Jünger zum Fischfang auf den See hinausgefahren sind. Als sie vom Fischfang zurückkommen, erkennen sie, dass der Mann am Ufer Jesus ist und so frühstücken sie miteinander. Hier beginnt der Predigttext. Er steht bei Johannes im 21. Kapitel:

15 Als sie nun das Mahl gehalten hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieber, als mich diese haben? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Lämmer! 16 Spricht er zum zweiten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe! 17 Spricht er zum dritten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Petrus wurde traurig, weil er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb?, und sprach zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe! 18 Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hinwolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hinwillst. 19 Das sagte er aber, um anzuzeigen, mit welchem Tod er Gott preisen würde. Und als er das gesagt hatte, spricht er zu ihm: Folge mir nach!

Johannes 21, 15-19

Ist Ihnen was aufgefallen? – Da fällt kein böses Wort. Jesus schreit Petrus nicht an. er beschimpft ihn nicht als Verräter, als miese Ratte und was einem in einer solchen Situation einfallen könnte. Er fängt auch nicht gleich beim Essen an. Hier kann man lernen, dass man Konflikte nicht beim Essen lösen sollte. Denn beim Essen erhält man nie die ganze Aufmerksamkeit des Gegenübers.

Sie haben also gefrühstückt und dann spricht Jesus Petrus an: „Sage mal Simon, Sohn des Johannes, hast Du mich lieber als alle anderen hier in unserer Runde?“

Und was antwortet Petrus? – „Ja, Herr, du weißt, dass ich die lieb habe.“

Spricht Jesus zu ihm: „Weide meine Lämmer!“

Und das Ganze macht Jesus dreimal. Fällt Ihnen dabei was auf?

Jesus nennt Petrus an keiner Stelle Petrus, sondern bei seinem Geburtsnamen Simon. Er spricht mit dem Menschen Simon, mit dem einfachen Menschen, der eben nicht perfekt ist, der Fehler hat und Fehler macht. Jesus spricht nicht mit Petrus. Simon ist in dieser Situation erst einmal nicht mehr Petrus, der Fels, auf dem Jesus seine Gemeinde aufbauen wird. Noch hat Simon nicht das mit dem Namen Petrus verbundene Hirtenamt zurückbekommen.

Und fällt Ihnen noch etwas auf? – Petrus antwortet nicht mit dem überschwänglichen Bekenntnis: „Ja, ich habe Dich lieber als alle anderen hier.“ Nein, das tut er nicht. Er antwortet eher tastend, vorsichtig, abwartend. Er wagt nicht, nicht von sich aus, Jesus seiner Liebe zu versichern. Er weiß, was er getan hat. Er weiß, dass das, was er getan hat, nicht ok war. Und er weiß, dass ihn das seine hervorgehobene Position gekostet hat. Er musste ins Glied zurücktreten. Er wusste, dass er sich selbst überschätzt hatte, nachdem er Jesus dreimal verleugnet hatte und dreimal der Hahn das Leugnen bestätigt hat.

Und dann fällt auf, dass Jesus ihn an keiner einzigen Stelle beschuldigt oder verurteilt. Er geht mit keiner einzigen Silbe auf den Verrat ein. Er führt Petrus vor den anderen nicht vor. Ganz im Gegenteil. Er holt sich von Petrus dreimal das Bekenntnis zu ihm ab und dreimal bestätigt er den Auftrag: Weide meine Lämmer! Hüte meine Lämmer! Dreimal macht er ihm die Größe und Verantwortung seines Amtes bewusst, ruft sie ihm ins Gedächtnis zurück, ohne ihm seine Schwäche vorzuhalten. Das ist Seelsorge auf höchstem Niveau. Das muss man erst einmal nachmachen.

Petrus erhält eine weitere Chance, sich zu beweisen und seiner Rolle und Aufgabe, seiner Berufung durch Jesus gerecht zu werden. Und Jesus setzt noch eins drauf.

Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hinwolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hinwillst. 19 Das sagte er aber, um anzuzeigen, mit welchem Tod er Gott preisen würde. Und als er das gesagt hatte, spricht er zu ihm: Folge mir nach!

Ganz klar zeichnet Jesus den Weg vor, den Petrus gehen wird. Er wird nie wieder Jesus leugnen. Sein Schicksal steht fest. Sein Bekenntnis wird ihn sein Leben kosten. Wenn er alt ist, wird er seine Hände ausstrecken und ein anderen wird ihn gürten, ihm die Fesseln anlegen und ihn dahin führen, wo er nicht hinwill – in den gewaltsamen Tod. Und mit den Worten „Folge mir nach!“ Setzt Jesus ihn wieder offiziell in sein Hirtenamt ein. Aus Simon ist wieder Petrus geworden.

Und darin wird etwas fassbar, was wir heute auch noch gut kennen. Jeder von uns ist ein Simon Petrus. Der Simon steht für den Menschen in uns und der Petrus für die Aufgabe die wir haben, die Aufgabe, die wir als Christ haben, nämlich offen und öffentlich zu bekennen. Doch leider trennen wir die beiden gerne voneinander. Wir Menschen sind sehr gerne Simon und haben Angst vor der Aufgabe des Petrus, weil sie im schlimmsten Fall bedeuten könnte, dass wir dahin geführt werden, wo wir nicht hinwollen. Jesus macht aber auch deutlich – und so verstehe ich den Predigttext von heute – , dass wir uns dieser Aufgabe nicht entziehen können. Wir können nicht Simon oder Petrus sein, sondern wir sind immer beides. Und das sollte uns vor Hochmütigkeit und Selbstüberschätzung bewahren, weil wir als Simon Petrus um unsere eigenen Ängste wissen und wie sehr uns diese Ängste im Leben steuern können. Jesus macht aber auch deutlich, dass wir wieder an den Start gehen können, wenn eines klar ist, dass wir Jesus lieben und bereit sind seine Schafe zu weiden. Und das bedeutet nichts anderes als unsere Verantwortung als Christinnen und Christen in dieser Welt ernst- und wahrzunehmen.

Amen.