Pfr. Martin Dubberke

Die Geschichte Jesu mit den Menschen ist nicht vorbei

Das Evangelium nach Johannes schließt im 20. Kapitel mit den Worten: Noch viele andere Zeichen, die in diesem Buch nicht aufgeschrieben sind, hat Jesus vor den Augen seiner Jünger getan. Diese aber sind aufgeschrieben, damit ihr glaubt, daß Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen. Man müßte meinen, daß damit das Buch endet. Aus und vorbei. Aber dem ist nicht so. Gleich an dieses Buchende schließt sich eine weitere Ostergeschichte an:

1Danach offenbarte sich Jesusabermals den Jüngern am See Tiberias. Er offenbarte sich aber so: 2 Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger. 3Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich will fischen gehen. Sie sprechen zu ihm: So wollen wir mit dir gehen. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts. 4 Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wußten nicht, daß es Jesus war. 5 Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. 6 Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten’s nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische. 7 Da spricht der Jünger, den Jesus liebhatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte, daß es der Herr war, gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich ins Wasser. 8 Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen. 9 Als sie nun ans Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer und Fische darauf und Brot. 10 Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt! 11 Simon Petrus stieg hinein und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriß doch das Netz nicht. 12 Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wußten, daß es der Herr war. 13 Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt’s ihnen, desgleichen auch die Fische. 14 Das ist nun das dritte Mal, daß Jesus den Jüngern offenbart wurde, nachdem er von den Toten auferstanden war.

In dieser Geschichte scheint nichts wirklich zusammenzupassen. Da fahren sieben Jünger auf den See hinaus, um zu fischen. Und ich frage mich, wo sind die anderen? Sie tauchen hier nicht auf. Sie kommen mit leeren Netzen zurück und da steht dann irgendeiner am Ufer, den die Jünger nicht erkennen. Vom Evangelisten wissen wir, daß es der Auferstandene ist. Warum erkennen die Jünger nicht den, der mit ihnen die letzten Jahre verbracht hat, dem sie gelauscht haben und gefolgt sind. Kann man so blind sein? Und dann sagt er einfach zu ihnen, daß sie nach einer Nacht erfolglosen Arbeitens noch einmal trotz aller Erschöpfung auf den See rausfahren sollen und das Netz auf der rechten Seite auswerfen sollen. Und sie tun es einfach. Blind gehorchen oder vertrauen sie diesem geheimnisvollen Mann am Ufer. Tun sie es, weil sie so vertrauensselig sind oder, weil sie die innere Autorität des Mannes da am Ufer spüren, die in ihnen vielleicht sogar eine Erinnerung an vergangene Zeiten auslöst. Sie tun es einfach, ohne zu wissen wieso und warum und weshalb, ohne jede Erkenntnis und sie haben einen enormen Erfolg. Das Netz ist so voll, daß sie es nicht ins Boot ziehen können. Ist hier ein Wunder geschehen. Es wird uns nicht als Wunder verkauft. Und plötzlich flüstert der Jünger, den Jesus lieb hatte, dem Petrus ins Ohr, daß das Jesus sei, der da am Ufer stünde. Es hält Petrus nichts mehr. Er, der ,wie wir es von Bauarbeitern kennen, sich das Gewand zum Arbeiten ausgezogen hatte, kleidet sich nun wieder an und springt in voller Montur ins Wasser, um zu Jesus zu schwimmen. Nichts kann ihn mehr halten zu Jesus zu kommen. Dann kommen die anderen mit dem Boot hinterher und da brennt am Ufer schon ein Kohlefeuer, auf dem Brot gebacken wird und Fische brutzeln. Wo kommen die plötzlich her? Wenn es sie schon vorher da gewesen wären, hätten die Jünger doch nicht noch mal auf den See hinaus gemußt? Also, warum das Ganze? Wieder ein Wunder? Und dann sind in dem Netz, das Petrus dann bezeichnender Weise alleine ans Land zog, nachdem es sechs Männer nicht schafften, gemeinsam das Netz ins Boot zu hieven. Ein echt starker Typ. Ist ja ganz klar. Petrus kommt wie immer die Sonderrolle zu. Er hat alles fest im Griff. Und dann sind in diesem Netz 153 Fische. Niemand weiß so recht, warum es 153 waren. Jede Menge Theologen haben sich darüber den Kopf zerbrochen. Die einen sagen, daß es sich hierbei um die Völker der Erde gehören und sich hier eine Art Missionsbefehl dahinter verbirgt, eine Erinnerung an das Wort: Ihr seid Menschenfischer. Dann sagen welche, daß Jesus hier seine Allmacht zeigt, die es möglich macht, das Fehlende beschaffen zu können. Andere sagen wieder, daß sich in den vielen Fischen die Vielfalt und Vielheit der Menschen widerspiegele die in Liebe und gegenseitigem Respekt mit- und zueinander in Frieden leben können. Diese Zahl gehört mit zu den ganzen Ungereimtheiten in dieser Geschichte. Es müssen jedenfalls ziemlich große Fische gewesen sein, die sie da im See Tiberias gefischt haben. Schließlich sind 153 durchschnittlich große Fische nicht so schwer, als daß sie von sechs Männern nicht ins Boot gezogen werden könnten. Und schließlich gibt es am Ende ein Frühmahl. Brot und Fisch. Beim Fisch muß ich unweigerlich an das Fischsymbol denken: Ιησούς Χριστός Θεού Υιός Σωτήρ (Jesus Christus Gottes Sohn Erretter), das wohl älteste Glaubensbekenntnis.

Diese von irgendeinem Redaktor hinten angepappte im Dunkeln beginnende, von Erfolglosigkeit gezeichnete, verworrene Geschichte endet mit einem Bekenntnis und einem Mahl. Sie endet mit der Gewißheit von Hoffnung, die sich erfüllen kann. Warum hat dieser Redaktor eine solche Geschichte noch angefügt? Weil sie ihm einfach einfiel, weil er sie kannte? Ich glaube nicht. Er hat sie angefügt, weil sie ihm wichtig gewesen ist, nicht, weil er sich wichtig machen wollte. Die Frage ist nur: Warum war sie ihm so wichtig? Was machte sie für ihn so unverzichtbar?

Was kann ich heute mit dieser Geschichte anfangen, der ich doch in recht verworrenen Zeiten lebe, so wie Sie, liebe Gemeinde. Unser Land befindet sich im Krieg mit einem anderen, Es geschah so einfach über Nacht. Wie die Geschichte einmal angefangen hat, weiß keiner mehr so recht von uns. Irgendwann vor zehn Jahren fing es mal an im Balkan zu brodeln und weit mehr… Wer gehört wirklich zu den Guten und wer gehört wirklich zu den Schlechten? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß mal die Albaner und mal die Serben sich gegenseitig vertrieben und massakriert haben. Ich weiß nur, daß Christen dort Menschen vertreiben, vergewaltigen, foltern, entwürdigen, die wie sie Geschöpfe Gottes sind. Da spielt Glaube keine Rolle. Wenn er nämlich eine spielen sollte, gäbe es nicht diesen Rassismus. Das ist Gottvergessenheit.

Was kann ich mit einer solchen Geschichte in einer Zeit anfangen, in der die Kirche verhungert. Wo sich Resignation breit macht, weil man die Botschaft des Geldes öfter hört als die des Evangeliums, in einer Zeit, da man sich der Mission besinnt, in der Folge als eine Notwendigkeit auf die Kirchenaustritte und die damit weniger werdenden Mittel. Das ist die falsche Motivation.

Zwischen all dem leuchtet mir ein Satz von Gollwitzer auf, den er einmal zu dieser Geschichte gesagt hat: „Jesus ist tot. Jesus ist nur noch Erinnerung. Das ist die Nacht, in der man nichts fängt, in der man nicht Menschen in Verbindung mit dem lebendigen Gott bringen kann.“ Was kann ich in dieser Nacht, in der Krieg herrscht, in der Menschen umgebracht werden, Menschen heimatlos werden, vertrieben werden, Familien auseinandergerissen werden, Söhne vor den Augen ihrer Mütter erschossen werden, die Würde der Geschöpfe Gottes mit Füßen getrampelt und angespien wird, noch mit dem lebendigen Gott in Verbindung bringen? Was kann ich mit dem lebendigen Gott in Verbindung bringen, wenn sich Gottesebenbilder gegenseitig ausradieren und die Zeichen Gottes in dieser Welt immer weniger werden?

Was kann ich in dieser Nacht der Kirche noch mit dem lebendigen Gott in Verbindung bringen? In all die Verworrenheit und Dunkelheit kann nur durch einen einzigen Licht und Klarheit kommen. Sich auf ihn zu besinnen und ihn in unser Leben zurückzuholen, nein, ihn in unserem Leben wieder zuzulassen, das kann uns diese Geschichte lehren. Ohne ihn, bleibt unser Netz leer. D.h. nichts anderes, als das ohne ihn unser Leben erfolglos ist, wir innerlich verhungern.

Mir scheint, der Redaktor hat deshalb diese Ostergeschichte, diese Auferstehungsgeschichte an das Ende des Johannes-Evangliums rangehängt, um zu sagen: Die Geschichte Jesu mit den Menschen hat noch lange kein Ende. Wir begegnen dem Auferstandenen immer wieder in der einen oder anderen Form und Weise. Und diese Begegnungen sind für uns, für uns alle, für jeden einzelnen und jede einzelne erhellend und klärend.

Die Geschichte, die so einfach drangehängt scheint, sagt schlicht und ergreifend: Die Geschichte Jesu mit den Menschen ist nicht vorbei, auch wenn es immer wieder, so wie heute, aussehen mag. Er lädt uns alle an einen Tisch um in Liebe und Frieden miteinander zu leben.

Amen.

 

Predigt über Johannes 21, 1-14
Sonntag Quasimodigeniti 1999
Evangelische Silasgemeinde zu Berlin-Schöneberg
Autor: Martin Dubberke
Text: Johannes 21, 1-14 (Reihe III)