Kürzlich nahm ich mir bei Hugendubel mal wieder das hauseigene Magazin „bücher menschen“ mit, weil ich neugierig war, was es so alles Neues in den Regalen der Buchhandlungen gibt. Unter der Überschrift „Seelennot & Schicksalspakt“ stolperte ich über Michael Köhlmeiers Roman „Zwei Herren am Strand“ – gemeint sind Charlie Chaplin und Winston Churchill.
Chaplin und Churchill sollen Freunde gewesen sein? Meine Neugier ist geweckt. Und natürlich google ich mal rasch die beiden und finde sofort ein gemeinsames Foto von Chaplin und Churchill, der eine lässig in weiß mit seinem berühmten Lächeln und der andere im Dreiteiler mit Hut und Uhrkette mit einem verborgenen Lächeln in den Mundwinkeln.
Ich mag eigentlich nicht so recht Romane mit historischen Persönlichkeiten, wenn Realität in erfundene Realitäten übergeht. Aber ich bin ein alter Chaplin-Fan und frage mich, was der bis dato mir unbekannte Autor aus dieser Konstellation gemacht hat. Und natürlich reagiere ich auf die Stichworte Depression und Melancholie.
Ich besorge mir also das Buch und werde von der ersten Seite an in Bann gezogen. Es fällt mir schwer, das Buch aus der Hand zu legen. Köhlmeier gibt mir das Gefühl eine gute biographische Erinnerungen zu lesen und keinen Roman. Immer wieder würzt er sein Buch mit fingierten Literaturangaben. Habe ich am Anfang diese noch gegoogelt, weil ich mich diese Quellen interessierten und ich mich fragte, ob ich diese irgendwo bekommen könnte, gab ich es mit der Zeit auf, weil mich jede Google-Anfrage immer wieder zu einer Rezension dieses Buches führte.
Mehr und mehr bekam ich das Gefühl, dass eigentliche Autor dieses Buches nicht der Lehrer und Clown ist, der das Buch erzählt, sondern William Knott, dem privatesten Privatsekretär Churchills, der über sich selbst sagte, dass er mit dem Akzent der Lüge spräche. Allein dieses Bild gibt einen Hinweis auf die brillante Sprache und Erzählweise Köhlmeiers. Er lässt mich vergessen, dass die ganze Geschichte erfunden sein könnte oder ist. Ich habe auch keine Lust mehr zu googlen, sondern will nur noch wissen, wie das Buch der beiden erfolgreichen und machtbewussten Depressiven ausgehen wird. Die Depression machte beide Protagonisten sympathisch und lässt sie zugleich erden. Köhlmeier bringt mir beide Männer auf eine ganz eigene Weise nahe und macht wieder deutlich, wie nah beieinander Genialität, Ruhm, Erfolg und Depression beieinander liegen. Es entsteht sogar der Eindruck, dass wahre Größe und das Leben und Aushalten der Genialität oder treffender Vielfachbegabung nur mit der Gabe der Depression, des schwarzen Hundes möglich ist.
Von Seite zu Seite wird mir deutlich, wie geschickt die Paarung Chaplin – Churchill ist. Beide sind Generalisten. Der eine ist nicht nur einer der bedeutendsten Politiker des letzten Jahrhunderts, sondern auch Historiker, Maler, Autor und schließlich Literaturnobelpreisträger. Der andere ist einer, wenn nicht der erfolgreichste und bedeutendste Komiker der Filmgeschichte. Er ist Drehbuchautor, Regisseur, Produzent, Komponist und dreifacher Oscar-Preisträger. Das passt. Und Köhlmeier macht daraus eine tolle Geschichte, bei der es mir am Ende vollkommen egal ist, ob sie wahr oder erfunden ist, weil sie einfach von entwaffnender Emotionalität ist und die Geschichte einer möglichen idealen Freundschaft ist. Beide erkennen sofort, dass der andere den schwarzen Hund kennt, also die Depression. Die beiden erkennen einander und wer kann einen besser verstehen und gegebenenfalls retten als der, der die Macht des schwarzen Hundes kennt. Es scheint fast wie in der Mathematik: Minus und Minus ergeben Plus. Und so scheinen Depressiver und Depressiver einander die Depression aufzuheben. Beide schaffen es bei Köhlmeier miteinander zu überleben. Soviel sei hier verraten, aber auch nur, weil die biographischen Daten der beiden Romanhelden bekannt sind.
Köhlmeier hat mich mit seinen vielen kleinen Details und Interpretationen der beiden Protagonisten angefixt. Stellvertretend sei hier nur die kleine Geschichte aus der Clowns-Schule erwähnt, mit welcher Liebe zum Detail Köhlmeier schildert, warum Chaplin als Tramp seinen Spazierstock in der linken Hand hält und nicht in der Rechten. Diese Sequenz, auch weil sie eine der Stillen ist, die glatt einem Chaplin-Film entnommen sein könnte, gehört für mich zu den schönsten Momenten dieses Buches. Wie in der Clowns-Schule, Chaplin Kindern und Erwachsenen eine Lektion erteilt und ein Kind am Ende Churchill, der inkognito an dieser Lektion teilnimmt, Nachhilfe gibt.
Michael Köhlmeier hat mir große Lust gemacht, mich noch einmal mit Chaplin und Churchill auseinander zu setzen und schon bin schon auf der Suche nach der einen oder anderen guten Biographie der beiden…
Nebenbei gesagt, bei meinen lesebegleitenden Recherchen habe ich einen sehr schönen kleinen Schnipsel auf Youtube entdeckt, mit einem Stöckchen, das Chaplin in der linken Hand hält…
Martin Dubberke