Pfr. Martin Dubberke

Verantwortung annehmen

Wann haben Sie sich in der letzten Zeit mal ins stille Kämmerlein zurückgezogen, um in Ruhe mit dem lieben Gott zu plaudern?

Überlegen Sie ruhig einen Moment. – Könnte es sein, dass das viel zu selten vorkommt? Zu selten, weil immer irgendetwas anderes in den Vordergrund tritt? Weil man noch dort hin muss oder noch das machen muss oder man einfach zu müde ist oder einfach keinen Raum findet?

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Ich stelle bei dieser Frage fest, dass ich hier zuweilen etwas schlampig mit meinem besten Freund umgehe. Ich nehme mir zu wenig Zeit mit dem lieben Gott. Ich bin immer irgendwie auf Achse: Im Job, in der Familie, am Abend, wenn ich noch was anderes schaffen möchte und dann beschleicht einen irgendwann bleierne Müdigkeit, so dass ich mich kaum noch auf dem Stuhl halten kann. Dann liege ich irgendwann im Bett. Der erste ruhige und ungestörte Moment des Tages. Alles ist ruhig. Ich habe endlich Ruhe und noch bevor ich anfange darüber nachzudenken, worüber ich mich jetzt noch mit dem lieben Gott unterhalten könnte, bin ich schon eingeschlafen.

Es ist auch nicht immer so einfach, einen Ort zu finden, an dem man seine Ruhe hat, um abzuschalten. Ich lebe mit meiner Familie zusammen und in einer Familie ist immer etwas los. Da kommen die Kinder. Da kommt die Frau. Jeder will etwas. Papi hier, Schatzi da. Es ist nicht einfach in einer Familie zur Ruhe zu kommen.

Unser Leben – egal wie alt oder jung wir sind – besteht den ganzen Tag aus Unruhe und Dingen, die man im Laufe eines Tages schaffen muss. Man hetzt von einer Verantwortung zur nächsten. Von einer Aufgabe zur nächsten. Das sehe ich selbst bei meinen beiden Eltern, die mittlerweile über achtzig sind. Da muss man zum Arzt, zum Einkaufen, vielleicht auch noch aufs Amt. Der Haushalt muss gemacht werden. Es ist nicht mehr so viel, das ansteht. Aber es geht einem auch nicht mehr so schnell von der Hand, weil der Körper nicht mehr so flink ist und alles ein wenig länger dauert. Und wenn man sich dann in den Sessel fallen lässt, geschieht das aus Erschöpfung und nicht, weil man besinnliche Ruhe sucht, um mit Gott ins Gespräch zu kommen.

Das ist nicht gut. So pflegt man keine Beziehung. Da ist man schlecht miteinander in Kontakt. Wie sehr freue ich mich da immer, wenn ich eine Andacht oder eine Predigt vorbereite. Dann bin ich mit ihm im Gespräch. Aber es ist dann eher wie ein Fachaustausch. So nach dem Motto: Interpretiere ich Dich falsch, wenn ich es so oder so sage?

Ich mag Andachten. Für einen Moment bin ich dann aus dem Tagesgeschehen rausgenommen und denke dann an Gott. Was ist eine Andacht anderes als ein Denken an Gott. Ich denke an Gott und schon ändert sich etwas. Ich bekomme eine andere Aufmerksamkeit und ich merke dann, dass ich mir viel zu wenig Zeit mit ihm gönne.

Habe ich deshalb aber ein schlechtes Gewissen, weil ich ihm weniger aktive Zeit schenke als meiner Familie, meiner Arbeit? Ich weiß nicht so recht. Ich spüre eher einen Mangel. Und ich merke, dass es mir nicht gut tut, zu lange nicht mit Gott ins Gespräch zu kommen.

Früher, als ich noch regelmäßig beruflich nach Köln musste, plante ich meine Rückfahrt immer so, dass ich mich noch eine Stunde in den Dom setzen konnte. Das war meine Verabredung mit Gott. Die habe ich mir immer in den Kalender eingetragen. Ja, das ist so. Und diese Verabredung habe ich nie abgesagt. Dieser riesige Dom hat etwas ganz besonderes. Ich sitze da irgendwo in einer Reihe und die Geschäftigkeit des Lebens da draußen ist plötzlich weg. Sie ist da draußen. Die vielen Touristen, die in den Dom kommen, fallen mir nach wenigen Augenblicken nicht mehr auf. Im Dom ist es angenehm kühl. Das Licht ist von die vielen bunten Fenstern gedämpft. Die Größe des Domes lasst mich die Hoheit Gottes spüren. Ich komme zur Ruhe und je mehr ich zur Ruhe komme, spüre ich Gott in meiner Nähe und dann beginnt von ganz alleine das Gespräch, die Unterhaltung mit ihm.

Und weil es in Berlin keinen Ort gibt, wo man sich so schön zum Rendezvous mit Gott treffen kann, habe ich für mich etwas anderes gefunden. Ich nehme mir Zeit für einen Kaffee. Ich gehe manchmal nach der Arbeit, bevor ich mich wieder in den Zug nach Berlin setze, im Bahnhof einfach zu Tchibo, bestelle mir einen Kaffee, setze mich dann an die Scheibe und beobachte die Menschen, die an mir vorbeieilen, weil sie noch rasch einkaufen wollen oder einen Termin haben. Für mich bleibt jetzt für eine kurze Weile die Zeit stehen. Ich bin jetzt gerade aus der Zeit genommen, obwohl ich mitten unter Menschen bin und, weil ich alleine bin, unterhalte ich mich dann manches Mal mit Gott. Ich kann bei einer Tasse Kaffee, die ich alleine trinke, wunderbar abschalten und dann rede ich mit Gott über das, was mich gerade beschäftigt.

Zu Hause mache ich es anders. Da schreibe ich Tagebuch. Und mein Tagebuch ist nichts anderes als ein Gespräch mit Gott. Im Schreiben finde ich die Konzentration und auch die Kontemplation. Ich bin mitten im Dialog und weil Gott ja alles weiß, habe ich auch keine Geheimnisse vor ihm. Das ist anders als bei Menschen. Da muss man ja zuweilen vorsichtig sein mit dem, was man sagt, weil man nicht weiß, ob es mal gegen einen verwendet werden kann. Aber bei Gott ist das anders. Er weiß ja schon, was in mir vorgeht. Denn er kann in mein Verborgenes reinschauen und weiß zuweilen Dinge von mir, die ich noch nicht weiß. Und genau deshalb ist es wichtig, dass ich mit Ihm ins Gespräch komme, um mehr über mich zu erfahren, mich selbst auch besser zu verstehen. Aber auch um zu erkennen, wo ich Mist gebaut habe und ihn ausräumen muss. Das ist in der Regel das Schwierigste. Weniger das Erkennen oder Einsehen vor und mit Gott, sondern das Wegräumen. Und damit wir das nicht vergessen, hat uns Jesus ein Gebet mit auf unseren Lebensweg gegeben, das uns erdet, das uns einbindet und nicht über anderen stehen lässt. Es ist ein Gebet, das deutlich macht, dass unser Gebet nicht eine Wunschliste ist, die wir dem Erfüllungsautomaten Gott vorlegen, sondern dass wir alles, was wir tun mit Gottes Hilfe machen und auf seine Hilfe auch angewiesen sind.

Es hat also wenig Sinn, vor dem Ausfüllen des Lottoscheins in Andacht zu verfallen und Gott innigst darum zu bitten, einem doch den Stift beim Ausfüllen zu führen, damit man am Sonnabend oder am Mittwoch die richtigen Zahlen für den Millionengewinn hat.

Vielleicht sollte ich mal an dieser Stelle mal den Predigttext lesen:

6 Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten. 7 Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. 8 Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet. 9 Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt. 10 Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. 11 Unser tägliches Brot gib uns heute. 12 Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. 13 Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.1 [Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.] 14 Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben. 15 Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.
Matthäus 6, 6-15 (Reihe V)

Es ist Gottes Wille, der geschehen soll. Das bedeutet, dass wir im Gebet nach seinem Willen fragen können, wenn wir nicht sicher sind, ob wir wirklich noch das tun, was seinem Willen entspricht.

Wenn wir um das Brot beten, wissen wir, dass es nicht selbstverständlich ist, dass wir etwas zu essen haben. Das Brot muss gebacken werden. Und bevor es gebacken wird, muss irgendwo das Korn wachsen. Damit das Korn wachsen kann, braucht es guten Ackerboden, gutes Wetter und Hände, die den Acker pflegen und das Getreide einholen. Also bitten wir darum, dass wir mit Gottes Schöpfung so umgehen, dass niemand verhungern muss. Und wenn wir wissen, dass irgendwo Hunger ist, ist es sein Wille, dass wir an der Stelle helfen. „Brot für die Welt“ ist damit nichts anderes als Gott dabei zu helfen, dass das tägliche Brot da ist.

Unseren Schuldigern zu vergeben, wie Gott uns vergibt. Das ist der Part, in dem man erfährt, dass Gott einem vergibt und wir deshalb auch dem vergeben können, der an uns schuldig geworden ist. Denn erst mit dem Vergeben wird die Sache beendet. Allein das wäre Thema für eine eigene Predigt. Wie schwer es fällt, zu vergeben.

Na, und dann gibt es noch die menschlichste Seite an dem Gebet: Und führe mich nicht in Versuchung, sondern erlöse mich von dem Bösen. Im Gebet, im Gespräch mit Gott ist dies der Part der Beichte, dem Eingestehen, wo man selbst Mist gebaut hat. Es ist nicht einfach sich selbst einzugestehen, wo man Mist gebaut hat. Es ist auch nicht einfach, dem anderen, der Opfer meines Mistes geworden ist, es einzugestehen. Aber bei Gott habe ich keine andere Wahl, weil er ja mein Verborgenstes kennt. Da habe ich keine andere Chance als es einzugestehen. Und wenn ich es erst einmal Gott gegenüber ausgesprochen habe, dann kann ich es auch dem Betroffenen gegenüber aussprechen und darauf hoffen, dass er mir vergibt und damit die Sache ein Ende findet und die Beziehung nicht weiter stört oder am Ende gar zerstört.

Und dann endet das Gebet mit den Worten: Denn Dein ist ist Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.

Das ist ein Bekenntnis. Ich schließe das Gebet mit einem Bekenntnis, mit meinem Bekenntnis zu Gott, mit dem Bekenntnis, dass er die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit ist. Er ist ewig – unfassbar ohne Ende. Sein ist die Kraft und die Herrlichkeit. Er ist es, der die Macht hat und damit auch die Macht über mich. Und ich bin es, der Gott dient.

Mit dem Vater unser hat uns Jesus einen Gebetsleitfaden an die Hand gegeben, der deutlich macht, das Beten kein Wunsch-Erfüllungsautomatismus ist, sondern bedeutet, dass ich selbst ganz viel tun muss und dabei nicht allein gelassen werde. Denn Beten bedeutet nicht, die Verantwortung abzugeben, sondern sie anzunehmen.

Amen.