Irgendwie ist die Bleibtreustraße gerade im Wandel. Die kleine Baguetterie hat einen neuen Besitzer – mal wieder. Das Mey scheint auch raus zu sein. Sah es zuerst noch so aus, als würde es nur renoviert, ist vor ein paar Tagen auch der Schriftzug von der Scheibe gekratzt worden. Noch hängt die letzte Speisekarte im Schaukasten. Ich lese sie und frage mich, warum ich eigentlich nie hier essen gegangen bin. Die Speisekarte macht mir Appetit und preislich ist es auch ok. Tja, zu spät. Es gibt aber noch mehr Veränderungen. Auch das Hemdengeschäft kurz vor dem Kurfürstendamm schließt seine Pforten.
Aber der eigentliche Hammer kommt erst.
Als ich heute zur Post gehe, sehe ich am Kaiser’s ein Plakat hängen.
Erst denke ich, dass sie den Laden endlich mal umbauen und modernisieren wollen. Der kleine Kaisers war schließlich ziemlich in die Jahre gekommen. Er hatte nichts von dem Schick, den heute eine Kaiser’s-Filiale hat. Er war alt und abgeranzt. Doch dann lese ich, was auf dem Plakat steht und will es nicht glauben. Am Samstag um 18:00 Uhr wird er für immer seine Pforten schließen. Das hat er nun nicht verdient, der kleine Laden. Hier war doch immer was los? Er war morgens der erste, der seine Ladentür öffnete und abends der letzte, der sie wieder schloss.
Mich verbindet mit dem Laden eine Hassliebe. Auf der einen Seite war ich immer dankbar, zwei Minuten zu Fuß von meiner Wohnung entfernt, noch bis 22:00 Uhr einkaufen gehen zu können, doch auf der anderen Seite fand ich den Laden furchtbar.
Er wirkte immer ungepflegt und schmuddelig, und damit meine ich nicht nur die Einrichtung und die Fußböden, sondern auch das Personal. Man sah den Filialleitungen immer irgendwie an, dass sie weder den kleinen Laden liebten, noch die Kunden, die in den Laden strömten.
Gott, was habe ich immer geflucht, wenn ich mit dem Einkaufswagen in den ersten Gang einbog und kaum durchkam, weil er durch die ganzen Sonderflächen so eng wurde, dass man nicht aneinander vorbeikam.
Schlimmer noch, ich kam nie an das Brot ran, was ich wollte, weil nicht genug Platz war um sich zu bücken, ohne den Warenstapel einer Sonderfläche zum Einstürzen zu bringen.
Es war der erste Laden, in dem ich erlebte, dass man für den Erwerb eines Pfund Kaffees eine V erkäuferin brauchte, die einem den Kaffeesafe aufschloss. Es ärgerte mich jedes Mal, dass ich hier keinen Kaiser’s-Kaffee bekam, die eigentliche Kernkompetenz von Kaisers. Ach, und in den Zeiten, als ich noch eine Colorado-Freek war, konnte ich mich stundenlang darüber aufregen, dass Laden diesen Standard-Artikel nicht im Regal hatte.
Ach, es gab dergleichen so viel mehr.
Aber es gibt auch so viele schöne Erinnerungen, wenn z.B. meine Frau vom Wohnzimmer aus rief: „Schatzi, ich habe so einen Durst! Kannst Du mir nicht noch eine Cola light ohne Koffein besorgen?“ Dann bin ich losgegangen und habe andere Nachtversorger getroffen. Da war dann schon mal Hans Neuenfels dabei, der sich noch Zigaretten besorgt hat oder Alt-Bundespräsident Köhler mit seiner Frau, die sich noch etwas geholt haben.
Hier konnte man am Abend Promis, Touris und Nachbarn treffen… Alle darin vereint, dass sie noch etwas brauchten.
Tja, kleiner Kaiser’s, und nun schlägt um 18:00 Uhr Deine letzte Stunde. Mal sehen, wer in Deine Fußstapfen treten wird. Ich werde Dich vermissen!
Update 22. Juni 2013 | 10:00 Uhr
Kurz nachdem ich den Text auf Facebook gepostet habe, schrieb mir ein Freund, dass das Haus abgerissen wird und an gleicher Stelle ein Neubau entstehen wird.
Update 22. Juni 2013 | 20:00 Uhr
Nebenbei gesagt, als wir kurz vor Ladenschluss noch einen Abschiedseinkauf machten, erfuhren wir, dass es einen neuen Kaiser’s geben wird. Er wird in der Knesebeckstraße eröffnet und soll etwa achtmal so groß sein, wie der alte Laden. Und dann hat er auch bis Mitternacht geöffnet. Als wir dann den Laden verließen, frage ich den Mann, der schon seit Jahren vor dem Laden steht und seine Zeitung verkauft, was er denn nun machen würde: „Naja, ick werde dann ooch in die Knesebeckstraße umziehen. Is ja meene zweite Existenz. Vormittags mache ick ja für einsfuffzig Kinderspielpätze sauber.“