Liebe Geschwister, wie kann man nur auf so eine verrückte Idee kommen, über die Ameise zu predigen? Das klappt nur, wenn man denkt, besonders originell sein zu müssen. So, und nun haben wir den Salat.
Wieso konnte ich nicht über den Löwen predigen, so wie mein Kollege Josias Hilbert Hegele heute bei mir zu Hause in der Johanneskirche? Ich weiß es nicht. Es geschah aus einer inneren Eingebung heraus. Als ich überlegte, über welches Tier ich predigen könnte, dachte ich zuerst an die Ameise. Und dann sagte ich mir, dass ich mich nicht daran erinnern könnte, auch nur je eine Bibelstelle mit einer Ameise gelesen zu haben. Und was macht man da? Früher hat man sich so eine dicke Schwarte in die Hand genommen. Die nannte sich Bibelkonkordanz. Da waren alphabetisch geordnet alle notwendigen Begriffe drin. Heute nimmt man seine digitale Bibel und tippt mal rasch das ein, was man sucht und siehe da, ich wurde fündig. Und ich hatte nicht einmal die Wahl der Qual, weil es nur zwei Bibelstellen mit einer Ameise in der ganzen Bibel gibt und die dann auch noch ausgerechnet in einem meiner Lieblingsbücher der Bibel stehen, dem Buch der Sprüche:
Geh hin zur Ameise, du Fauler, sieh ihre Wege an und werde weise!
Sprüche 6,6die Ameisen – ein schwaches Volk, dennoch schaffen sie im Sommer ihre Speise;
Sprüche 30,25
Es geht um Weisheit. Ich liebe die Weisheitsliteratur des Alten Testaments. Und ich dachte, dass das mit Sicherheit kein Zufall sein kann, dass ich ausgerechnet zuerst an die Ameise gedacht habe.
Und ehrlicherweise muss ich gestehen, dass ich nicht daran gedacht hätte, dass wenn die Ameise in der Bibel vorkommt, sie so eine revolutionäre Kraft und Bedeutung hätte. Ich hätte vielmehr gedacht, dass es vielleicht darum gehen könnte, sie irgendwie aus dem Haus zu bekommen.
Ich hatte nämlich mal eine Wohnung in Berlin, wo mit einem Male im Badezimmer lauter Ameisen rumliefen. Meine Frau und ich hatten keine Ahnung, wo diese herkamen, weil sie nicht über die Tür zum Garten in die Wohnung gekommen sind. Also setzte ich mich ins Badezimmer und beobachtete die Wege, die die Ameisen gingen. Und natürlich hatte ich das gemacht, was mir damals schlaue Menschen geraten hatten. Ich hatte kleine Backpulver-Barrieren auf den Boden gestreut. Und dann habe ich sie wieder beobachtet. Denn nachdem ich das Backpulver in Linien verstreut hatte, liefen mit einem Male nur ganz wenige Ameisen durch die Gegend und ich hatte schon die Hoffnung, dass das mit dem Backpulver wirklich helfen würde. Diese wenigen Ameisen wagten den Gang auf diesen Backpulverdeich. Und dann verschwanden sie wieder und ich sah, dass diese zwei oder drei Ameisen unter meiner Dusche verschwanden. Und mit einem Male waren sie wieder da, die ganzen Heerschaaren von Ameisen. Ich saß da und schaute fasziniert auf die Wege, die die Ameisen nahmen und sah, wie sie alle unter einer kleinen undichten Stelle hervorkamen, da, wo sich der Silikonstreifen ein wenig vom Boden gelöst hatte. Also machte ich genau an diese Stelle noch einmal Backpulver hin. Aber es half nichts. Die Information, dass es sich nur um Backpulver handelt, hatte sich beim Ameisenvolk rumgesprochen.
Ich wusste nun, dass diese Ameisen unter meiner Dusche leben mussten. Und so ging ich ins Wohnzimmer, wo die Revisionsklappe für die Dusche war, nahm eine Taschenlampe, öffnete die Klappe und was ich dann sah, erschrak mich. Hinter dieser Klappe war ein millionenfaches Gewusel. Dort lebte eine Ameisengroßstadt, in der alle Einwohnerinnen und Einwohner emsig unterwegs waren.
Nun wollt Ihr sicherlich auch wissen, wie die dahin gekommen sind. Die Erklärung ist ganz einfach. Bevor wir in diese Wohnung eingezogen sind, hatte der Besitzer der Wohnung das Badezimmer vergrößern lassen. Alte Wand raus und neue Wand rein. Das Dämmmaterial für die neue Wand hatte man damals im Garten gelagert, wo sich dann die Ameisen eingenistet hatten, so dass sie im Sommer drauf dann mein Badezimmer bevölkert haben.
Ihr merkt es schon, eine hübsche und auch etwas humorvolle Geschichte. Ich habe im Grunde genommen nichts anderes gemacht, als das, was in den Sprüchen vorgeschlagen wird, nämlich die Wege der Ameisen zu beobachten und weise zu werden.
Aber, meine Geschichte ist am Ende vollkommen harmlos, denn die beiden Verse zur Ameise haben – wie schon gesagt – eine absolut revolutionäre Kraft. Ich weiß nicht, ob Ihr es wisst, aber das Buch der Sprüche ist gewissermaßen ein Erziehungsratgeber, ein Vater-Sohn-Buch. Ein Vater erklärt seinem Sohn die Welt und möchte ihn vor vielen Dingen bewahren und so gibt er die Weisheit und Erfahrung weiter, die sich über Generationen angesammelt hat. Und so, wie er von seinem Vater, die Weisheiten gehört und erfahren hat, so gibt er diese nun an seinen Sohn weiter.
Und da gibt es natürlich etliche Dinge und Themen, die wir in unserer Erziehung vermitteln wollen. Zum einen wollen wir unsere Kinder ja vor schlechten Erfahrungen bewahren und zum anderen wollen wir ja auch, dass unsere Kinder irgendwann mal selbständig leben können. Ich erlebe das auch gerade eigenen Leib. Unsere Söhne, sind nun auch in der Lebensphase, wo sie ausziehen. Der eine unserer Zwillinge ist im April ausgezogen und der andere zieht am Dienstag aus.
Also, mit welchen Themen haben wir unsere Kinder gequält? Na klar, Ordnung halten, Aufräumen, im Haushalt helfen, den Tisch abräumen, die Spülmaschine beladen, die Schmutzwäsche in den Keller zu bringen oder gar selbst ihre Wäsche zu waschen, Kochen und vieles, sehr vieles andere mehr. Und natürlich haben wir auch immer wieder versucht, zu aktivieren, damit sie nicht faul auf der Haut rumliegen. Das Thema kennen wir doch alle.
Und so ist es auch hier in der Geschichte über die Ameisen.
Geh hin zur Ameise, du Fauler, sieh ihre Wege an und werde weise!
Sprüche 6,6
Wenn ich mir die Wege der Ameisen anschaue, werde ich von ganz allein weise. Ich beobachte, wie sie auf ihren Ameisenlinien unterwegs sind, wie sie aus dem Ameisenhaufen rausgehen und wo sie wieder reingehen. Ich sehe, dass Ameisen Teamworker sind, sie gemeinsame Gegenstände in den Bau bringen oder auch Hindernisse gemeinsam aus dem Weg räumen. Und ich kann mit der Zeit auch erkennen, wie sie allem Anschein miteinander kommunizieren. Ich finde, dass Ameisen total faszinierend sind. Und sie sind noch etwas: Sie sind nicht faul, sondern sowas von fleißig, dass sie zum Sinnbild des Fleißes geworden sind. Nicht umsonst sagen wir, wenn jemand fleißig unterwegs ist, dass er emsig sei. Emse ist ja die alte Bezeichnung für Ameise.
Der Abschnitt, aus dem der Vers stammt, ist in der Luther-Bibel mit den Worten überschrieben: Warnung vor Bürgschaften, vor Faulheit und Falschheit. So, und nun lese ich Euch mal den ganzen Zusammenhang vor und dann ahnt ihr vielleicht, warum ich vorhin gesagt habe, dass diese Stelle eine revolutionäre und politische Dimension hat:
6 Geh hin zur Ameise, du Fauler, sieh ihre Wege an und werde weise!
7 Wenn sie auch keinen Fürsten noch Hauptmann noch Herrn hat, 8 so bereitet sie doch ihr Brot im Sommer und sammelt ihre Speise in der Ernte. 9 Wie lange liegst du, Fauler! Wann willst du aufstehen von deinem Schlaf? 10 Ja, schlafe noch ein wenig, schlummre ein wenig, schlage die Hände ineinander ein wenig, dass du schläfst, 11 so wird dich die Armut übereilen wie ein Räuber und der Mangel wie ein gewappneter Mann.
Sprüche 6,6-11
Man hört es regelrecht, dass hier der Vater allem Anschein mit dem Verhalten seines Sohnes nicht ganz einverstanden gewesen sein muss, wenn er immer sagt „Du Fauler“. Der Vater konfrontiert ihn mit den Konsequenzen seiner Faulheit. Er wird ein Mensch sein, der in Armut leben wird, wenn er seine fünf Buchstaben nicht hochbekommt. Der Vater macht ihm deutlich, dass es eine selbstverschuldete Armut gibt. Und selbstverschuldet bedeutet, aus Faulheit, aus einem Nichthandeln heraus, aus einem weiter so, aus einem wird schon gut gehen aus Entscheidungsfaulheit
Wir erleben das doch auch in unserer Kirche. Wir wissen schon lange, dass wir immer weniger Gemeindemitglieder in unseren Gemeinden haben, dass wir dadurch auch immer weniger Geld von der Landeskirche bekommen und die Landeskirche erwartet, dass wir neue Wege gehen. Wie viel wurde da in den vergangenen Jahren gesagt und getan und entschieden. Aber an der Basis geschieht dann immer wieder das gleiche, die Landeskirche wird zum Buhmann. Die wollen uns etwas vorschreiben. Da wird der Protestant in einem wach. Das kenne ich noch aus Berlin, aber das habe ich auch hier in meiner eigenen Gemeinde erfahren. Da gibt es immer wieder Stimmen, die ein weiter so, es soll so bleiben wie es war, wollen. Menschen, die sich nicht bewegen wollen, sind nicht unbedingt faul. Sie bringen sich in vielfältiger Weise in ihre Gemeinde ein, helfen beim Gemeindebriefaustragen oder bei Gemeindefesten oder sie machen Hausbesuche. Aber sie sind veränderungsfaul. Und deshalb werde ich nicht müde, mir mit Menschen gemeinsam die Wege der Ameisen anzuschauen, damit sie erkennen, dass wir unseren Kopf, unsere Einstellungen, unsere Gewohnheiten in Bewegung setzen können und müssen, damit uns die Armut nicht wie ein Räuber übereilt. Wer schläft, ist blind für die Realität, der macht die Augen vor der Realität zu und hofft, wenn er aufwacht, dass die Realität nur ein böser Traum war, der dann wieder vorbei ist. Es ist – das kann ich Euch verraten – genau umgekehrt.
Nebenbei gesagt, das Predigen ist ja auch so eine Art von gemeinsamem Ansehen der Ameisenwege und gemeinsamem weise werden.
Und dann hebt der Vater noch etwas hervor, das gerade in diesen Zeiten sehr spannend ist, wenn wir uns anschauen, wie sehr unser Land in seiner Demokratie und seiner inneren Sicherheit gefährdet ist. Die Konstituierung des Thüringer Landtags hat uns das dieser Tage eindrücklich vor Augen gehalten. Und das, was aus dieser politischen Richtung kommt, gibt es nicht, die sogenannten einfachen Lösungen und das macht uns auch die Geschichte von den Ameisen deutlich. Der Vater sagt:
7 Wenn sie auch keinen Fürsten noch Hauptmann noch Herrn hat, 8 so bereitet sie doch ihr Brot im Sommer und sammelt ihre Speise in der Ernte.
Und der Vater wiederholt sich ja 24 Kapitel später, wenn er sagt:
…die Ameisen – ein schwaches Volk, dennoch schaffen sie im Sommer ihre Speise; Sprüche 30,25
Das ist doch spannend, oder? Es gibt gewissermaßen keine Regierung. Es ist ein Volk, das gemeinsam die Verantwortung trägt und gemeinsam bedeutet, dass jeder seinen Anteil am Erfolg hat. Bei den Ameisen muss also niemand hungern und alles andere stimmt auch.
So ist es auch in unserem Leben. Es gibt keine einfachen Lösungen. Einfache Lösungen sind faule Lösungen. Ich mache Euch eine simple Rechenaufgabe auf: Wie viele Menschen, die aus ihrer Heimat geflohen sind, leben aktuell in unserem Landkreis? – Es sind nahezu dreitausend Menschen. Darunter sind viele Kinder, die in der Schule oder der Kita Deutsch lernen. Aber was ist mit den Erwachsenen? Was meint Ihr? Wie viele Plätze in Integrationskursen, in denen man auch Deutsch lernt, gibt es in unserem Landkreis pro Jahr? – 200. Das bedeutet, dass es zehn Jahre dauert, bis jeder die Chance hatte Deutsch zu lernen. So, und jetzt kommt die nächste Frage: Wie hoch ist die Arbeitslosenquote in unserem Landkreis und wie viele offene Stellen gibt es in unserem Landkreis? Ich mache es mal ohne Prozente. Wir haben etwa dreimal so viele freie Arbeitsstellen, wie wir Arbeitsplatzsuchende haben. Niemand nimmt jemanden den Arbeitsplatz weg, aber es gibt ganz viele, die nicht arbeiten und deshalb keine Steuern zahlen, die nicht arbeiten, weil sie kein Deutsch können oder ihre Ausbildung nicht anerkannt wird.
Und um dem noch eins drauf zu setzen, erzähle ich Euch eine kurze Geschichte, die ich dieser Tage auf dem Bahnhof in München-Trudering live erlebt habe. Da telefoniert ein junger Mann mit Migrationshintergrund neben mir. Der Mann spricht perfekt Deutsch mit einem leichten Akzent. Er regt sich gerade über das Ausländeramt auf, wo er gewesen ist. Er kam mit einem Arbeitsvertrag dorthin und brauchte nun die Arbeitsgenehmigung. Aber sie wollten ihm das alles nicht geben, weil es zu kurzfristig war. Er hätte doch schon vor zwei Monaten kommen sollen. Und da sagte er: „Aber vor zwei Monaten habe ich doch nicht gewusst, dass mir das Krankenhaus rechts der Isar, einen Vertrag als Arzt geben wird.“ Jeder von uns weiß, wie dringend wir Ärzte brauchen. Die Faulheit im Kopf und im System, ist das Problem.
An diesen Stellen sehen wir, was passiert, wenn wir faul im Kopf sind, wenn das System faul im Kopf ist. Und genau deshalb ist es wichtig, dass wir uns die Wege der Ameisen anschauen, damit wir weise werden und hinter die Kulissen schauen können. Wir müssen uns immer und immer wieder die Mühe machen, den Sachen auf den Grund zu gehen und nicht einfach faul ungeprüft nachzuplappern, was uns andere erzählen, nur weil es uns so leicht und bequem in den Kram passt.
Und das gilt für alles im Leben. Auch für das Leben in unserer Kirche und in unseren Gemeinden. Wenn wir den Dingen auf den Grund gehen, werden wir Lösungen für die Zukunft finden.
Von den Ameisen zu lernen, heißt weise zu werden und weise zu sein, heißt wissend zu sein, heißt erkannt zu haben, heißt Einsicht gewonnen zu haben und damit auch Erkenntnis zu haben.
Und als gläubige Menschen haben wir eine ganz einfache Erkenntnis, die uns Jesus Christus mit auf den Weg gegeben hat:
Das höchste Gebot ist das: „Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft“ Das andre ist dies: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ Es ist kein anderes Gebot größer als diese beiden.
Markus 12,29-31
Wir müssen nur zu diesen Werten, zu unserem Glauben in aller Öffentlichkeit stehen und sie aktiv leben. Dann wird sich alles andere in seinem Sinne bewegen und wir werden ernst genommen, weil wir ihn und seine Gebote selbst ernst nehmen, weil dann vielleicht doch viel mehr Menschen plötzlich erkennen, dass der Vers auch ganz anders verstanden werden kann, nämlich:
Geh hin zur Kirche, du Fauler,
sieh ihre Wege an und werde weise! Amen.
Euer
Pfr. Martin Dubberke
Predigt am 18. Sonntag nach Trinitatis, 29. September 2024, im Rahmen der Predigtreihe „echt tierisch“ in der Kreuzkirche zu Oberammergau
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