Pfr. Martin Dubberke

Erntedank II

Wir befinden uns in der Erntedankwoche. Und über dieser Woche steht ein Vers aus Psalm 145, 15:

Aller Augen warten auf dich,
und du gibst Ihnen Speise zur rechten Zeit.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich habe sofort ein kleines Vogelnest vor Augen. Die frisch geschlüpften Vögelchen sitzen eng beieinander, piepsen, recken ihre Schnäbelchen der Mutter entgegen, wenn sie mit dem Futter kommt und jedem etwas in seinen weitaufgerissenen Schnabel stopft.

Diese kleinen Vögelchen piepsen und recken sich nach der Mutter als hätten sie Angst, nicht abzubekommen.

Mit diesem Bild im Kopf fällt mein Blick auf die beiden nächsten Verse (Psalm 145, 16-17):

Du tust deine Hand auf
und sättigst alles, was lebt, mit Wohlgefallen.
Der HERR ist gerecht in allen seinen Wegen
und gnädig in allen seinen Werken.

Und mir wird mit einem Male deutlich, wenn das alle beherzigen würden, fest daran glauben würden, müsste doch jedem Menschen klarwerden, dass es keinen Grund für Futterneid gibt, wie er in dieser Zeit immer wieder zu schüren versucht wird.

Und es geht mir ein weiterer Gedanke durch den Kopf: Auch eine Flucht erfolgreich zu vollbringen, ist demnach Teil des göttlichen Handelns, weil es den Menschen aus dem Hunger in das Land führt, wo es Lebensmittel gibt, wo man keinen Hunger leiden muss.

Wir erinnern uns gerne mit den biblischen Geschichten von Flucht und Exil an das rettende und bewahrende Wirken Gottes. Ich kann mich nicht erinnern, in der Bibel jemals etwas von der Angst der wohlhabenden, satten Ägypter gelesen zu haben, , dass diese Hungerleider aus Israel ihnen etwas wegessen könnten. Ganz im Gegenteil. Die Flüchtlinge aus Israel haben zum Wohlstand der Ägypter beigetragen, so sehr sogar, dass Sie Angst um ihren Wohlstand bekamen, als diese dann wieder zurück in ihr eigenes Land gehen wollten.

Die Ägypter hatten nicht das Gefühl, als ein ganzes Volk, das auch noch einen ganz anderen Gott hatte und vor allem nur einen Gott hatte, zu ihnen kam, dass sie überfremdet würden.

Natürlich ist die biblische Situation nicht eins zu eins übertragbar auf die Gegenwart. Natürlich war es nicht das Paradies auf Erden. Aber man hatte sich irgendwie mit der Situation arrangiert und ja, natürlich hatten sich die Israeliten an die Fleischtöpfe Ägyptens gewöhnt, für die sie natürlich auch arbeiten mussten, wie jeder andere auch.  Und natürlich hatten sie nicht den gleichen Status, mit den gleichen Rechten wie die Ägypter. Aber die verdienten sich ihr Geld, glichen in so mancher Branche den Fachkräftemangel aus.

Ja, es stimmt auch, dass die Israeliten in eigenen Bereichen lebten und sich nicht überall niederlassen konnten, wo sie wollten. Sie konnten aber auch durchaus am Hofe des Pharao Karriere machen, wie die Biographien von Josef und dem Migranten in xter Generation Mose erzählen. Aber wirklich integriert waren sie nicht. Und natürlich konnte das auf Dauer nicht gut gehen.

Tja, und als Gott dann Mose den Auftrag gab, sein Volk in das gelobte Land zu führen, also aus Ägyten heraus, hatte er mit seinen Leuten heftige Argumentationsrunden mit seinen Leuten hinter sich, weil die eigentlich nicht gehen wollten. War eben alles zu vage, zu unsicher, zu unbequem. In Ägypten wusste man eben, woran man war, und man hatte sein Auskommen. Und irgendwie war die Fremde zur Heimat geworden, auch wenn man nach wie vor kein Ägypter war, obwohl man schon seit Generationen hier gelebt und gearbeitet hat. Es ist gewagt und theologisch auch nicht ganz astrein, aber der Auszug aus Ägypten scheint mir auch ein Beispiel misslungener Integration zu sein.

Tja, aber mit Gottes Hilfe hat Mose seine Leute überzeugen können, sich auf dieses Wagnis zusammen mit Gott einzulassen. Und das Ganze musste auch noch heimlich geschehen, weil die Ägypter die Israeliten nicht ziehen lassen wollten. Das hatte nicht nur was mit Macht zu tun, sondern auch mit dem Wissen um die Gefahr für die ägyptische Wirtschaft. Wenn soviele Arbeitskräfte ein Land verlassen, kann die Wirtschaft eines Landes zusammenbrechen.

Und darum wollte der Pharao den Exodus mit aller Gewalt – und das ist wörtlich zu nehmen – unterbinden und schickte ihnen sein Herr auf die Fersen. Wie das geendet hat, wissen wir.

In unserem Europa von heute, in dem Millionen von geflohenen Menschen leben, die der ägyptische Wohlstand unserer Gesellschaft tragen kann, wäre das eine unvorstellbare Situation. Stellen Sie sich mal vor, alle geflohenen Menschen würden vom Militär daran gehindert, in ihr Land zurückzugehen… Das ist schon ein irrer Gedanke, oder?

Erntedank erinnert uns daran, dass Gott allen Menschen ihre Speise zur rechten Zeit gibt und deshalb alle Augen auf ihn warten. Er tut seine Hand auf, und sättigt alles, was lebt, mit Wohlgefallen (Psalm 145,16).

Wer sind wir Menschen, dass wir es ihm darin nicht alle gleichtun?

„Der Herr ist gerecht in allen seinen Wegen, und gnädig in allen seinen Werken.“ Psalm 145, 17

Wer sich das in sein Herz schreibt und und sich daran erinnert, dass Gott ihn in seinem Leben trotz mancher Nackenschläge auch so begegnet ist, dann kann er sich vor der Sklerocarditis, der Hartherzigkeit einigermaßen sicher fühlen.

Und dann wird es leichtfallen, das zu tun, was im Predigttext aus Jesaja für den Erntedank steht:

Brich dem Hungrigen dein Brot, und
die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus!
Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn,
Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst
und nicht mit Fingern zeigst
und nicht übel redest,
sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt
und den Elenden sättigst.

Das wäre dann gelebter Erntedank.

Amen.

Wochenandacht über den Wochenspruch aus aus Psalm 145, 15 im LAFIM am 5. Oktober 2017.