Pfr. Martin Dubberke

Das Licht in der Finsternis

Liebe Geschwister, ich zünde mal diese Kerze an, denn wer im Finstern wandelt, tastet sich nur Schritt um Schritt vorwärts, ohne die Gefahren zu sehen. Doch im Licht dieser Kerze sehen wir etwas, das die anderen, die im Finstern wandeln, nicht sehen.

So ist es auch mit dem Licht, das von Jesus ausgeht. Ich sehe nun den Gefahren ins Licht, so wie es einst auch Dietrich Bonhoeffer tat, und erkenne dabei auch die Ursachen für die Gefahren, denen ich mich als Christenmensch entgegenstelle, den Gefahren, die aus der Dunkelheit der Gottvergessenheit heraus erwachsen.

Das Licht der Heiligen Nacht macht mich also auf besondere Weise sehend. Das Licht Jesu leuchtet in die die Ecken und Herzen, die die im Finstern wandeln nicht sehen können. Wer im Finstern wandelt, ist ganz auf sich selbst konzentriert und achtet auch nur auf sich selbst, weil er nicht sehen kann, was wirklich von Bedeutung ist. Wer im Lichte Jesu diese Welt sieht, hat nicht nur sich selbst im Blick, sondern auch den Nächsten und damit die Gemeinschaft, die gelingende Gemeinschaft, die zum Frieden auf Erden führt, die gelingende Gemeinschaft von Mensch und Kreatur.

Im Lichte Jesu erkenne ich aber auch meine eigenen dunklen Stellen, Ecken, Winkel in meinem Herzen und meiner Seele, die mich auch zutiefst erschrecken können. Und in diesen Ecken befindet sich alles, was mich daran hindert, meinen Nächsten wirklich zu lieben, in den Rechten Gottes zu wandeln und seine Gebote zu halten und – ACHTUNG – danach zu tun. Ein Christenmensch zu sein, bedeutet nicht allein, alles zu kennen zu wissen, den Katechismus, die Gebote und Bekenntnisse oder das Vaterunser aufsagen zu können, sondern und vor allem in erster Linie danach zu handeln. Die Glaubwürdigkeit eines Christenmenschen beginnt im Handeln.

Und so findet der eigentliche Gottesdienst nicht hier in dieser oder einer anderen Kirche statt, sondern da draußen, wohin uns das Licht der Heiligen Nacht hinschickt. Jesus setzt die Menschen in Bewegung, weil sie eine so große Sehnsucht haben.

So, wie damals die Hirten die Hirten zum Stall nach Bethlehem aufgebrochen sind, so seid auch Ihr heute von zu Hause hierher aufgebrochen, um das unfassbare Wunder dieser Nacht wieder zu erleben und sich davon davontragen zu lassen.

Wir tragen, so wie wir hier sind, die gleiche Sehnsucht in uns, wie die Hirten. Uns ein aber noch etwas mit den Hirten: Unsere scheinbare Machtlosigkeit. Auch die Hirten haben um ihr Lagerfeuer herumgesessen, so wie wir heute um unsere Stammtische und Tablets herumsitzen, uns über die da oben echauffieren und zugleich resignieren: Naja, was sollen wir schon dagegen tun können? Das fängt bei den hohen Mieten an, die dazu beitragen, dass junge Familien in unserer Region genauso weiterziehen müssen, wie einst Josef und Maria, um eine Bleibe zu finden. Dann kommt das Klima und dann dauert es nicht mehr lange, dass wir beim Bürgerkrieg in Syrien, den Uiguren, dem Hunger in der Welt, dem Hunger nach Brot und Frieden ankommen. Das war im alten Israel zu Jesus Zeiten auch nicht anders.

Ein guter Moment, um den Predigttext aus Hesekiel 37, 24-28 vorzulesen:

Und mein Knecht David soll ihr König sein und der einzige Hirte für sie alle. Und sie sollen wandeln in meinen Rechten und meine Gebote halten und danach tun.

Und sie sollen wieder in dem Lande wohnen, das ich meinem Knecht Jakob gegeben habe, in dem eure Väter gewohnt haben. Sie und ihre Kinder und Kindeskinder sollen darin wohnen für immer, und mein Knecht David soll für immer ihr Fürst sein. Und ich will mit ihnen einen Bund des Friedens schließen, der soll ein ewiger Bund mit ihnen sein. Und ich will sie erhalten und mehren, und mein Heiligtum soll unter ihnen sein für immer. Meine Wohnung soll unter ihnen sein, und ich will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein, damit auch die Völker erfahren, dass ich der Herr bin, der Israel heilig macht, wenn mein Heiligtum für immer unter ihnen sein wird.

Lasst uns doch mal den Anfang des Predigttextes genauer anschauen. Der nennt nämlich ein wichtiges Detail, das gerne übersehen wird:

…und mein Knecht David soll ihr König sein.

Der Herrschende ist auch nur ein Knecht. König David war ein Knecht Gottes. Und das hat alles nicht mit dem Gottesgnadentum deutscher Könige und Kaiser oder irgendeiner Vorsehung zu tun, sondern wem der König gegenüber in der Pflicht ist, nämlich Gott gegenüber. Das bedeutet keine absolute Macht für den König, sondern der König hat hier das Hirtenamt und das bedeutet, dass er für sein Volk dieselbe Sorge trägt wie unsere Hirten in der Weihnachtsgeschichte für ihre Schafe.

Und was das Hirtenamt betrifft, so kennen wir aus Psalm 23 die Stellenbeschreibung:

Der Herr ist mein Hirte,
mir wird nichts mangeln.
Er weidet mich auf einer grünen Aue
und führet mich zum frischen Wasser.
Er erquicket meine Seele.
Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,
fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. Du bereitest vor mir einen Tisch
im Angesicht meiner Feinde.
Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein.
Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang,
und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.

Das ist die Messlatte für einen guten Hirten. Und nebenbei gesagt: Diese Stellenbeschreibung wurde nie außer Kraft gesetzt.

Aber das wirklich Spannende ist, dass das Bild des Hirten für jeden Christenmenschen gilt. Auch das macht die Heilige Nacht deutlich, denn sonst wären ja die Mächtigen der Welt zuerst an der Krippe gewesen. Aber es waren die Hirten, die als Erste von den Engeln eingeladen wurden. Und die Hirten standen ganz unten in der sozialen Hierarchie. Sie waren ein Nichts und ausgerechnet ihnen wurde die frohe Botschaft zuerst verkündet. Auch das ist eine Ansage an die Menschen und auch an die Mächtigen, die – nebenbei gesagt – auch heute in den Gottesdienst gehen. Und auch für sie wie für alle anderen gilt: Mit Religion kann man sich nicht schmücken, so wie man einen Weihnachtsbaum schmückt. So sind auch die Weihnachtsgottesdienste kein Schmuck, kein Accessoire, das wie der Weihnachtsbaum zu Weihnachten dazu gehört. Die Weihnachtsgottesdienste erinnern uns an unsere Verantwortung, die mit der Geburt Jesu, seinem Leben und Sterben für uns verbunden ist. So ist der Weihnachtsgottesdienst der Ort, der uns dringlich daran erinnert und auffordert, dass Weihnachten, das Religion, dass Glaube mit einem entsprechenden Handeln verbunden ist.

Wir brauchen Weihnachten mehr denn je, damit uns und der Welt ein Licht aufgeht und wir miteinander kapieren, was es wirklich heißt:

Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.

Der Nächste steht an erster Stelle dieses Gebots und das ist kein Zufall.

Aber wieder zurück zur Krippe: Die Hirten begegneten dem Knaben in der Krippe, der später auch als Agnus Dei – als Lamm Gottes – bezeichnet wird. Mit diesem Bild können wir auch erkennen, dass wir als Hirten auch die Botschaft Jesu behüten und bewahren müssen.

Und das wiederum bedeutet: Ich kann vielleicht nicht den Krieg in Syrien beenden und auch nicht den Krieg im Jemen. Darauf mag ich auf den ersten Blick keinen Einfluss haben, aber ich habe Einfluss auf das, was in meinem Ort geschieht, wo Menschen ausgegrenzt werden, wo die Richtlinie der Nächstenliebe ignoriert wird. Ich kann Frieden in meiner Familie schaffen. Und ich kann Euch sagen, dass ich viele hundert Geschichten über den Unfrieden in Familien kenne und auch die Sehnsuchtsgeschichten nach dem Frieden. Und ich kennen Geschichten, wo es gelungen ist und auch solche, wo es nicht gelungen ist. Das ist in Familien oder anderen Beziehungen nicht anders als in den Kriegen und Bürgerkriegen dieser Welt. Es fehlt der Mut zum ersten Schritt in die richtige Richtung. Aber, Ihr seid heute alle hierhergekommen, und damit habt Ihr schon den ersten Schritt gemacht. Und wenn Ihr nun nach diesem Gottesdienst die Kirche wieder verlasst und an Eure Orte zurückgeht, seid Ihr auch mit dem zweiten Schritt dran.

Auch das macht uns die Geschichte der Heiligen Nacht deutlich. Der Friede geht von der kleinsten Einheit aus: Der Familien, den Menschen, mit denen ich zusammenleben. Uns alle treibt diese Sehnsucht nach dem Frieden, den wir im goldenen Glanz des Lichtes der Krippe mit der Heiligen Familie sehen, am Heiligen Abend in die Kirche.

So, und nun lasst uns doch in Jesu Namen diesen Frieden angehen und leben.

Amen. So soll es sein.


Pfr. Martin Dubberke, Predigt in der Christvesper 2019 in der Johanneskirche Garmisch-Partenkirchen über Hesekiel 37, 24-28, Predigtreihe II