Heute habe ich mal etwas ganz anderes gelesen. Ich war neugierig, wie eine Graphic Novel über Dietrich Bonhoeffer aussehen könnte und so habe ich mir von Moritz Stetter sein Bonhoeffer-Buch geholt und in einem Zug gelesen, was ja bei 113 Seiten und wenig Text kein Thema ist.
Ganz ehrlich? Ich bin ziemlich hin- und hergerissen, was das Buch betrifft. Auf der einen Seite habe ich mir die Frage gestellt, ob man das mit Bonhoeffer so machen kann. Und ich muss sagen: Ja, kann man. Doch dann kommt das kleinkarierte „aber“, das man nur hat, wenn man ein wenig mehr in der Materie steckt. Grundsätzlich ist es gut gemacht. Es gefällt mir auch, dass im wesentlichen Bonhoeffer selbst zu Wort kommt. Auch die gesamte Komposition des Buches ist gelungen. Es ist zu merken, dass der Autor Trickfilme macht. Die Graphic Novel ist sehr intelligent geschnitten, mit Rückblenden und allem anderen, was der Film so zu bieten hat. Die Dramaturgie stimmt.
Über weite Strecken hatte ich das Gefühl, dass der Autor mal eine Führung im Bonhoeffer-Haus mitgemacht hat und fleißig skizziert oder fotografiert haben muss und eigentlich auch ganz gut die Dramaturgie einer normalen Führung durch das Haus übernommen hat. Dafür spricht, dass er auf Seite 15, das Bonhoeffer-Haus und auch das Haus der Schleichers – also der Schwester und des Schwagers – in der jetzigen Gestalt darstellt. Also, drei statt einem Dachfenster und das Schleichersche Haus mit dem Dach, das nach dem Treffer durch eine Fliegerbombe nur noch ein flaches Dach hat und nicht mehr das gleiche Walmdach, wie es das Bonhoeffer-Haus hat.
Oder auf Seite 41 sieht man den Salon im Erdgeschoss des Bonhoeffer-Hauses mit seiner aktuellen Einrichtung, die nicht historisch ist.
So hat Moritz Stetter im Detail auch einen guten Blick auf das Laster von Dietrich Bonhoeffer: Das Rauchen. Es gibt im Buch sehr viele Momente, in denen sich Dietrich Bonhoeffer eine Zigarette anzündet. Und ganz interessant finde ich dabei, dass es Stetter gelingt, dem Ganzen das Selbstverständliche zu geben. Er zündet sie sich einfach an, wie auf Seite 57.
Großartig finde ich auch, wie es Stetter gelingt, die psychologische Seite mit seinen Bildern zu vermitteln. All die depressiven Momente, die der Angst und Gefahr. Er findet Bilder von einer einmaligen Intensität. Im Grunde genommen erinnern mich die einzelnen Seiten des Buches an die Panele der Ausstellung im Bonhoefferhaus, die auch Geschichten und Geschichte erzählt haben. So bringt Stetter mit seinen Mitteln auf beeindruckende Weise die Entwicklung seiner Haltung zur Kirche in drei Bildern auf einer Seite zum Ausdruck. Da wo Theologen große Abhandlungen schreiben, schafft er es auf einer Seite, mit wenigen Bonhoeffer-Worten und einer klaren Ikonographie:
Stetter fängt ungemein gut alles Atmosphärische ein. Gut gemacht ist auch der Wechsel der Schriften, mit denen er es dem Leser sehr einfach macht, sich zu orientieren. Dabei erinnert mich natürlich die Schreibmaschinenschrift für die historischen Fakten schon ein wenig an die Ausstellungstafeln im Bonhoeffer-Haus in Berlin.
Großartig auch die Seite 44, wie aus Hitlers Mund die ganzen SA-Fackelträger und Trommler kommen, die ganzen zum Hitlergruß erhoben Arme und Hände. So wie einige wenige Seiten später auf Seite 49, dann alle evangelischen Pfarrer samt der Kreuze in den Mund von Hitler fliegen. Das sind Bilder, die ganz viel erzählen, die Metaphern sind, die wirken.
Was mich allerdings immer wieder ein wenig irritiert, ist die zeichnerische Darstellung von Bonhoeffer. An vielen Stellen ist das Foto wiederzuerkennen, das dem Bild zugrunde liegt. Dann sieht Bonhoeffer auch wie Bonhoeffer aus. In der Regel aber hat Stetter einen sehr einfachen Bonhoeffer gezeichnet und ihn mit einigen wenigen Charakteristika ausgestattet. Und das ist auch sehr gut gelungen. Was mich dann aber – wie gesagt irritiert – ist, dass Dietrich Bonhoeffer dann nicht immer gleich aussieht. So erinnert er mich im Prolog auf Seite 7 doch eher ein wenig an Mao Tse Tung.
Das Lächeln passt auch nicht zu dem, was in dieser Szene gerade erzählt wird. Dankenswerterweise ist das eine der wenigen Ausnahmen. Gleichzeitig gibt es aber auch Momente in diesem Buch, die mich verstören. Dazu gehört insbesondere die Seite 22. Hier steht folgender Satz auf dem Bild: „Am schlimmsten von allem: Das Schreien der Tag und Nach gefesselten Todeskandidaten.“ (Stetter, 2010, S. 22) Und dann zitiert Stetter ein Foto von Bonhoeffer, das 1942 in Zürich aufgenommen wurde und so gar nicht in die Situation und Szene passt.
Was ich schade finde, ist, dass am Ende einfach ein Verzeichnis der Zitate fehlt. Schade ist es auch, weil Stetter im wahrsten Sinne des Wortes in der Regel Bonhoeffer selbst mit seinen eigenen, historischen Worten zu Worte kommen lässt.
Also, lange Rede kurzer Sinn. Ich habe ja eingangs die Frage gestellt, ob man so etwas machen darf. Ja, darf man, wenn man es so gut wie Moritz Stetter macht. Im Grunde genommen ist das ganze Buch ein Collage des Lebens von Dietrich Bonhoeffer. Die Szenen und biographischen Momente sind sehr gut ausgewählt, um das Leben und Denken von Dietrich Bonhoeffer mit verschiedenen Sinnen zu erfassen, etwas, was sonst nur der Film in dieser intensiven Weise kann. Stetter macht deutlich, dass das auch in einer Graphic Novel gelingen kann, in der er wie im Film mit der Totale oder auch der absoluten Nahaufnahme arbeitet.
Also, wer schnell auf gute Weise einen ersten Eindruck von Dietrich Bonhoeffer haben möchte, ist mit diesem Buch, das man in weniger als einer Stunde lesen kann, bestens bedient. Wer sich dann noch die Zeit nimmt, die Bilder genauer anzuschauen, hat noch mehr. Und ganz ehrlich: Dieses Buch ist besser als jeder Wikipedia-Artikel, um neugierig auf Dietrich Bonhoeffer zu machen, der einfach so viel mehr ist als nur der Dichter der guten Mächte.
Literaturangaben:
Titel: Bonhoeffer
Autor*in: Stetter, Moritz
Verlag: Gütersloher Verlagshaus
ISBN: 9783641050504
Pfr. Martin Dubberke, 26. August 2021
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