Pfr. Martin Dubberke
Palmarum | Bild: Martin Dubberke©

Aber Gott, der Herr hilft mir

Liebe Geschwister, ich glaube, wir sind den Menschen, die damals, als Jesus in Jerusalem eingezogen ist, „Hosianna!“ gerufen, geschrien und skandiert haben, heute näher als wir denken. Die Menschen hatten ihre Situation satt. Sie wollten diese römische Besatzung nicht mehr im Land haben. Sie wollten eine andere Regierung haben, sie wollten Jesus Christus als ihren König, als ihren Retter, als ihren Heiland haben. Ihm riefen sie ihr Hosianna, ihren Hilferuf „Hilf doch!“ zu.

Im Grunde genommen geht es uns doch nicht anders. Wir sind ermattet, ob der weltpolitischen Lage. Auf der einen Seite ein Zollkrieg, auch der anderen Seite ein sowohl heißer als auch hybrider Krieg. Beides zehrt an unseren Nerven und unserer Seele. Wir werden mit unserer eigenen Ohnmacht in diesen Zeiten konfrontiert. Haben wir doch über Jahrzehnte geglaubt, alles in unseren Händen zu haben. Und nun erleben wir, wie uns alles entglitten ist, dass wir im Wesentlichen zwei Mächten ausgeliefert sind, die uns mehr und mehr die Kraft rauben. Die Folgen dieser weltpolitischen Lage spüren wir an allen Ecken und Enden. Da sind die politischen Diskussionen. Da ist diese Orientierungslosigkeit, weil Kompasslosigkeit. Da ist wilder Aktionismus, der in Bettvorlegern endet. Da sind die Menschen, die vor den politischen Umständen in ihren Ländern fliehen. Da ist die Teuerung in unserem Land. Da sind die Unternehmen, die Tausende von Arbeitsplätzen abbauen. Und das sind nur einige wenige Beispiele der Umstände, die uns einerseits offen und andererseits unbewusst beeinflussen, Kraft kosten, ermatten, lähmen.

Mit anderen Worten: Wir waren wohl noch nie in unserem Leben so reif und bereit für Palmarum, für den Einzug Jesu in Jerusalem, um endlich das befreiende „Hosianna!“ aus voller Lunge aus uns herauszurufen: „Hilf doch!“

Es ist die beste Zeit, sich endlich wieder Gott anzuvertrauen. Es ist die beste Zeit, endlich wieder von Gott zu lernen. Es ist die beste Zeit, wie einst bei Jesaja, die Frage zu stellen, wie es mit der Gottesherrschaft weitergeht.

Versteht mich nicht falsch. Es geht nicht um die Frage, ob uns Gott alles abnimmt und wir ganz entspannt die Hände in den Schoß legen, weil er’s schon richten wird. Es geht darum, die Herrschaft Gottes in dieser Welt wieder zu akzeptieren, und das bedeutet auch die Gebote Gottes wieder zu leben, den Mut zu haben, sie wieder zu leben. Es geht um den Mut, loszulassen, und sich Gottes Walten anzuvertrauen.

Und wenn wir in dieser Zeit unsere Ohnmacht erleben, erleben wir zugleich wie weit sich diese Welt von Gott entfernt hat.

Ich glaube, dass das ein guter Moment ist, sich den Predigttext aus Jesaja 50, 4-9 vor Augen zu halten:

Gott der HERR hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, dass ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden. Er weckt mich alle Morgen; er weckt mir das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören. 5 Gott der HERR hat mir das Ohr geöffnet. Und ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück. 6 Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel.

7 Aber Gott der HERR hilft mir, darum werde ich nicht zuschanden. Darum hab ich mein Angesicht hart gemacht wie einen Kieselstein; denn ich weiß, dass ich nicht zuschanden werde. 8 Er ist nahe, der mich gerecht spricht; wer will mit mir rechten? Lasst uns zusammen vortreten! Wer will mein Recht anfechten? Der komme her zu mir!

9 Siehe, Gott der HERR hilft mir; wer will mich verdammen? Siehe, sie alle werden wie ein Kleid zerfallen, Motten werden sie fressen.

Jesaja 50,4-9

Da ist jemand, der sich zum Schüler Gottes macht. Und sich zum Schüler Gottes zu machen, heißt, verletzlich und gleichzeitig doch stark zu werden.

Da ist jemand, der fest zu seinem Glauben, der fest zu Gott steht, auch wenn die Welt um ihn herum ihn beschimpft und bedroht. Da ist ein Mensch, der sich nicht einschüchtern lässt von den Umständen in dieser Welt. Da ist ein Mensch, der angesichts der in jener Zeit vorherrschenden Ermattung und Kompasslosigkeit Haltung zeigt, der nicht zurückweicht, und doch zugleich auch seine eigene Verletzlichkeit zur Sprache bringt.

Ist das eine Leidenschaft und Leidensbereitschaft, von der wir noch etwas lernen können? – Der Mensch, der so zu Gott spricht, lässt bei mir den Eindruck zurück, dass die traumatisierenden Erfahrungen, die ihm die Umstände seiner Lebenswelt, die Zerstörung alles um ihn herum, was ihm wichtig ist, was ihn ausmacht, wo nach menschlich-irdischen Maßstäben kaum noch etwas übrig ist von dem Israel der königlichen Zeiten, ihm die letzte Kraft und Perspektive rauben.

Diese Krise braucht Kraft und einen Kompass. Und diese Kraft und diesen Kompass findet er bei Gott:

Aber Gott der HERR hilft mir, darum werde ich nicht zuschanden. Darum hab ich mein Angesicht hart gemacht wie einen Kieselstein; denn ich weiß, dass ich nicht zuschanden werde.

Ja, das klingt doch eigentlich ganz so wie unsere Zeiten. Wir sind ermattet. Wir haben das Gefühl der Kompasslosigkeit in unserer Welt. Und dennoch stehen wir jeden Morgen auf, trinken unseren Morgenkaffee, halten Andacht und beten wie Martin Luther zu Gott, uns Kraft zu geben, den Tag und die Herausforderungen dieser Welt zu bestehen:

Ich danke dir, mein himmlischer Vater, durch Jesus Christus, deinen lieben Sohn, daß du mich diese Nacht vor allem Schaden und Gefahr behütet hast, und bitte dich, du wollest mich diesen Tag auch behüten vor Sünden und allem Übel, daß dir all mein Tun und Leben gefalle. Denn ich befehle mich, meinen Leib und Seele und alles in deine Hände. Dein heiliger Engel sei mit mir, daß der böse Feind keine Macht an mir finde. Amen.

Das machen wir doch alle, oder?

Palmarum öffnet uns genau diese Tür von der Erschöpfung zur Vertrauenskraft.

Jesus demonstriert mit seinem Einzug in Jerusalem, dass er nichts als sich selbst und Gott hat. Er hat keine Waffen. Er hat keine weltliche Macht, aber er hat Autorität aus seinem Handeln, seinen Wundern, seinem authentischen Leben aus seinem Glauben heraus.

Das sollte auch uns anspornen, mit den Mitteln des Glaubens, die wir haben, uns einzubringen. Wir sollen nicht klagen, nicht jammern, sondern uns Gott anvertrauen, auf ihn hoffen und mit Gottes Hilfe ins Machen kommen. Gott nimmt uns unsere Ohnmacht, wenn wir uns seinem Walten anvertrauen.

Warum hat denn die Menschenmenge beim Einzug Hosianna gerufen und drei Tage später als Meute „Kreuzige ihn!“? Weil sie glaubten über Jesus enttäuscht zu sein. Am Ende haben sie ihn als Sündenbock gebraucht, der von Ihrer Selbstenttäuschung ablenkt. Diese Selbstenttäuschung ist das Gefährlichste aber, was es gibt, weil wir diese nicht selbst wahrnehmen können oder wollen. Diese Selbstenttäuschung führt am Ende dazu, dass wir uns den falschen Rettern an den Hals werfen.

Und genau deshalb ist es wichtig, sich zum Schüler oder zur Schülerin Gottes zu machen, zu lernen verletzlich zu sein und doch stark zu sein.

Hier können wir von zwei Menschen lernen, deren Lieder wir gerne singen:

Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Dietrich Bonhoeffer. Und Jochen Klepper, ein Lied, das ich fast jeden Morgen singe:

  1. Er spricht wie an dem Tage, da er die Welt erschuf.
    Da schweigen Angst und Klage;
    nichts gilt mehr als sein Ruf!
    Das Wort der ewigen Treue,
    die Gott uns Menschen schwört,
    erfahre ich aufs neue
    so wie ein Jünger hört.

Amen.

Pfr. Martin Dubberke

Pfarrer Martin Dubberke | Bild: Johannes Dubberke
Pfarrer Martin Dubberke | Bild: Johannes Dubberke

Predigt am Sonntag Palmarum, 13. April 2025, Perikopenreihe I, Jesaja 50, 4-9 in der Johanneskirche zu Partenkirchen

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