Gleich an das „Gloria“ schließt sich gewissermaßen attacca subito das Glorialied „Allein Gott in der Höh sei Ehr“ an. Ohne Unterbrechung singt die Gemeinde sofort die erste Strophe der Nr. 179 aus dem Evangelischen Gesangbuch:
Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade,
darum, dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade.
Ein Wohlgefalln Gott an uns hat;
Nun ist groß Fried ohn Unterlaß,
all Fehd hat nun ein Ende.
Wer jetzt denkt, dass wir inhaltlich gesehen das doch gerade schon mal gesungen haben, hat vollkommen recht. Aber warum gibt es diese Gloria-Dublette im Gottesdienst? Eines kann ich hier schon mal festhalten: Martin Luther ist unschuldig. Er übernahm das Gloria nämlich zunächst nur zögerlich im Rahmen seiner liturgischen Reformen. Mit dem Glorialied ist der Name eines anderen Reformators verbunden: Nikolaus Decius. 1485 in Hof an der Saale geboren, besuchte er die Lateinschule der Franziskaner und trat 1506 in ein Benediktinerkloster ein. Ab 1501 war er Stiftsprediger des Klosters in Braunschweig und später im Augustinerkloster Steterburg bei Salzgitter. Im Wintersemester 1523/24 ging er dann nach Wittenberg, um bei Martin Luther Theologie zu studieren. Decius wurde so einer der frühen Reformatoren und Kirchenliederdichter des deutschen Protestantismus.
Sein „Allein Gott in der Höh sei Ehr“ entstand noch 1523 in Braunschweig, kurz bevor er nach Wittenberg ging. Damit handelt es sich um den ältesten evangelischen Choral, da Luthers erste Lieder von 1524 sind.
Aber ist der Choral wirklich originär evangelisch? Die Antwort darauf ist ein klares „Jein“. Wer mal ins Gesangbuch schaut, kann dort lesen, dass Decius eine deutsche Version nach dem „Gloria in excelsis Deo“ aus dem 4. Jahrhundert geschrieben hat und er die Melodie in Anlehnung an das Gloria der Ostermesse aus dem 10. Jahrhundert komponiert hat. Die Melodie, die er hier adaptiert hat, stammt aus der gregorianischen Tradition. Aber Decius adaptiert sie nicht nur, sondern er verbindet sie auch noch mit einem tänzerischen Dreiertakt, wie es bei den populären geistlichen Liedern des Spätmittelalters üblich war. Beim Strophenschema folgt er ganz und gar der damals maßgeblichen Dichtung der Meistersinger. Und genau das macht die Entstehung des Gloria-Lieds von Decius so revolutionär. Während die katholische Kirche am lateinischen Gottesdienst festhielt, formte Decius das lateinische Gloria der Messe in einen deutschen Choral um, den nun jeder verstehen und mitsingen konnte. Dabei paraphrasierte er in drei Strophen den lateinischen Gloria-Text und fügte aus Martin Luthers „Septembertestament“ von 1522, die wunderbare Formulierung „ein Wohlgefallen Gott an uns hat“ aus dem Engelgesang Lukas 2,14 ein.
Decius gelingt mit diesem einen Choral eine Konzentration auf zentrale reformatorische Prinzipien. Zum einen spiegelt dieser Choral das reformatorische „Soli Deo Gloria“ wider. Das „Allein“ ist dabei wie ein Textmarker, der deutlich hervorhebt, dass Gott allein Ehre und Lob gebührt. Und dann ist es auch noch eine trinitarische Komposition und nimmt damit den Charakter eines Glaubensbekenntnisses an. Die einzelnen Strophen preisen den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist, also die Heilige Dreifaltigkeit.
Liturgisch gesehen kommt dem Choral eine Scharnierfunktion zwischen Sündenbekenntnis und Verkündigung zu.
Inzwischen hat dieser Choral aber noch eine weitere Dimension, denn er spannt eine ökumenische Brücke zwischen dem Evangelischen Gesangbuch und dem Katholischen Gotteslob. Hier ist es die Nr. 170. So kommt im Lob Gottes zusammen, was zusammengehört. Was für eine schöne Wendung!
Es gibt noch eine wichtige Schlussbemerkung: Sowohl in der Passionszeit – mit Ausnahme von Gründonnerstag – , als auch am Bußtag und in der Zeit vom Zweiten bis zum Vierten Advent ruht das Gloria gewissermaßen, sind doch diese Zeiten im Kirchenjahr als Zeiten der Erwartung, Besinnung und Buße gestaltet. Die Gemeinde fastet also nicht nur leiblich, sondern auch klanglich. Daher setzt der jubelnde Engelgesang „Ehre sei Gott in der Höhe“ in dieser Zeit aus, um die innere Spannung zur weihnachtlichen und österlichen Festfreude zu markieren – und dann umso kraftvoller an Weihnachten und in der Osterzeit aufzuleuchten.
Pfr. Martin Dubberke
Kontakt & Feedback
Wenn Sie mit mir Kontakt aufnehmen wollen oder mit mir ins Gespräch kommen möchten oder ein Feedback zu meiner Predigt geben wollen, schreiben Sie mir bitte einfach eine kurze Nachricht:
Kleiner Buchtipp am Rande

- als gebundene Ausgabe direkt beim Verlag
- als eBook bei der Buchhandlung meines Vertrauens
- oder als gebundene Ausgabe oder eBook bei Amazon