Pfr. Martin Dubberke

Wozu bin ich berufen?

Und ich hörte die Stimme des Herrn, wie er sprach: Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein? Ich aber sprach: Hier bin ich, sende mich! Und er sprach: Geh hin und sprich zu diesem Volk: Höret und verstehet’s nicht; sehet und merket’s nicht! Verstocke das Herzdieses Volks und lass ihre Ohren taub sein und ihre Augen blind, dass sie nicht sehen mit ihren Augen noch hören mit ihren Ohren noch verstehen mit ihrem Herzen und sich nicht bekehren und genesen.

Ich aber sprach: Herr, wie lange? Er sprach: Bis die Städte wüst werden, ohne Einwohner, und die Häuser ohne Menschen und das Feld ganz wüst daliegt. Denn der HERR wird die Menschen weit wegtun, sodass das Land sehr verlassen sein wird. Auch wenn nur der zehnte Teil darin bleibt, so wird es abermals verheert werden, doch wie bei einer Eiche und Linde, von denen beim Fällen noch ein Stumpf bleibt. Ein heiliger Same wird solcher Stumpf sein. (Jesaja 6, 8-13)

Drei Fragen treiben mich nach der Lektüre des Predigttextes um:

Wo habe ich die Stimme gehört und “ Ja“ gerufen?

Warum soll ich so vor Leuten predigen, dass Ihnen das Herz, die Ohren und die Augen zugehen?

Und was hat das ganze mit der heutigen Zeit zu tun?

Vielleicht fange ich mal da an. Ich habe ja so ein wenig das Gefühl, dass wir in einer Zeit leben, in der nicht mehr zugehört wird, in der wir uns zurückziehen ins Private, jeder sein Ding macht, die Gemeinschaft sich auf die vier Wände oder im besten Fall noch auf die Familie oder die Freunde beschränkt. Naja, und vielleicht dann noch im Job, wo es wichtig ist, ein Team zu sein. Aber sonst?

Ich erlebe Informationen im Überfluss. Über dreißig Fernsehsender, unzählige Radiosender, Internet, Fernsehen, Zeitungen. Als ich jünger war, schien mir alles übersichtlicher zu sein. Fünf Fernsehprogramme – Erstes, Zweites, Drittes, DDR 1 , DDR 2 – und das war es. Ich habe heute schon gar keine Lust mehr, den Fernseher anzuschalten, weil ich überall mit den gleichen Informationen überversorgt werde: Klatsch, Tratsch, Lifestyle, Wellness, Nachrichten… Ich mache jetzt keine Medienschelte. Keineswegs! Ich bin ja als Pressesprecher selbst in einem Medienberuf tätig. Ich muß mich ja selbst jeden Tag in diesem Dschungel bewegen und meinen prominenten Platz dort finden und behaupten. Aber wenn ich abends mit meiner Frau vor dem Fernseher sitze, dann passiert etwas: Meine Augen schließen sich, meine Ohren schließen sich und ich schlafe ein. Die Informationen reißen mich nicht mehr vom Hocker, sondern lullen mich ein.

Einlullen, was für ein schönes Stichwort. Einlullen durch Information.

Ist bei Jesaja vielleicht genau das gemeint, wenn das steht: „Geh hin und sprich zu diesem Volk: Höret und verstehet’s nicht; sehet und merket’s nicht!“

An der Stelle geht mir etwas Neues durch den Kopf. Wir lesen jeden Tag etwas über die Katastrophen in dieser Welt und mehr noch über ihre Ankündigung. Wenn ich lese, dass die Polkappen abschmelzen, weil zu viel CO2 in die Atmosphäre geht oder es in der Region X zu einer erneuten Hungerkatastrophe kommen wird, weil… oder es in einer anderen Region zu einem bewaffneten Konflikt, sprich Krieg kommen wird oder wenn ich einfach bei uns zu Hause bleibe und sehe, dass es z.B. keine ausreichende Zahl von Pflegekräften gibt und damit die Versorgung alter Menschen gefährdet ist… und vieles, ganz vieles andere mehr. Dann weiß ich zwei Dinge:

1. Es gibt eine Ursache und

2. muß es deshalb eine Lösung geben.

Aber es passiert nichts. Oder doch: Es passiert das, was angekündigt worden ist. Es passiert das, was man sich schon lange hätte denken können, weil es abzusehen war, wenn man eins und ein zusammen zählt.

Was ist verloren gegangen? Was fehlt? Die Vernunft? Ja, auch die. Der Glaube? Ja auch der. Es fehlt die Beachtung einfacher Gebote. Es berufen sich doch Millionen Menschen auf dieser Erde auf die zehn Gebote, aber leben sie sie auch? Es gibt das Gebot „Liebe Deinen nächsten wie dich selbst!“ Dieses Gebot scheint zur Hälfte vergessen: Liebe Dich selbst! Wenn ich bei dem Internetbuchhändler Amazon den Suchbegriff „Liebe dich selbst“ eingebe, zeigt er mir fast dreißig Titel an, die mit diesen Worten beginnen. Das scheint mir symptomatisch für unsere Zeit zu sein. Der schlaue Mann denkt zuerst an sich selbst… Es geht um die Durchsetzung der eigenen Interessen, der eigenen Wünsche und Bedürfnisse…

Ich will keine Bankerschelte machen, aber die Sucht nach mehr und noch mehr Geld hat die Welt fast bis an den Abgrund gebracht. Im 1. Thessalonicher haben wir heute gehört: „Niemand gehe zu weit und übervorteile seinen Bruder im Handel; denn der Herr ist ein Richter über das alles, wie wir euch schon früher gesagt und bezeugt haben. Denn Gott hat uns nicht berufen zur Unreinheit, sondern zur Heiligung. Wer das nun verachtet, der verachtet nicht Menschen, sondern Gott, der seinen Heiligen Geist in euch gibt.“ Es kann nicht sein, dass die Zeche von den Kleinen bezahlt wird.

Und die Frage lautet: Wann wacht man endlich auf? Und was wird passieren, wenn man aufwacht?

Auch da gibt es zwei Szenarien. Einmal kann es einen Aufstand der Geprellten und Betrogenen geben, der sich wie ein Flächenbrand über die Erde ziehen wird. Und ein anderes Mal geht alles unter. Und der Herr sprach: „Bis die Städte wüst werden, ohne Einwohner, und die Häuser ohne Menschen und das Feld ganz wüst daliegt.“ Es wird eine Reinigung der Welt einsetzen und sie wird keinem gefallen, weil sie so absolut und so total sein wird, wie es sich niemand vorstellen kann. Eine Reinigung, die nichts Tröstliches haben wird, weil jeder alles, absolut alles verlieren wird, was er bis dahin hatte. Das ist die offene und ehrliche Konsequenz aus dem Handeln der Welt. Die Welt – und das wird durch die Globalisierung so schmerzhaft deutlich – ist ein Körper mit vielen Gliedern. Wenn auch nur ein Glied nicht gesund ist, ist der ganze Körper in seiner Existenz bedroht. Alles wird dann zugrunde gehen.

Alles?

Nein.

„Wie bei einer Eiche und Linde, von denen beim Fällen noch ein Stumpf bleibt. Ein heiliger Same wird solcher Stumpf sein.“

Das ist die Hoffnung. Jesaja spricht aus der Perspektive vor Jesus. Der heilige Same ist Jesus Christus. Er ist die Zeitenwende. Er steht für einen Neuanfang Gottes mit uns Menschen. Aber, es ist definitiv der letzte Versuch. „Denn Gott hat uns nicht berufen zur Unreinheit, sondern zur Heiligung.“ Heiligung heißt heil, unversehrt sein.

Und deshalb habe ich „Ja“ gerufen, als mich seine Stimme gerufen hat.

Amen.

Gottesdienst am Sonnabend vor dem

20. Sonntag nach Trinitatis

24. Oktober 2009

Silas-Kirche zu Berlin-Schöneberg

Predigttext: Jesaja 6, 8-13

Predigtreihe „Wozu bin ich berufen“