Pfr. Martin Dubberke

Wort zum Männersonntag 2003

Ein neues Reizwort geistert seit einiger Zeit durch die Männer- und Frauenwelt: Gender. Oder noch reizvoller: Gendermainstreaming.

Was verbirgt sich hinter den beiden Begriffen? Gender ist das englische Wort für die gesellschaftlich geprägten Geschlechtsrollen von Männern und Frauen, die – anders als das biologische Geschlecht – erlernt und damit veränderbar sind. Mainstreaming („Hauptstrom“) meint einen umfassenden Prozess, der die Auswirkungen aller Vorhaben und Maßnahmen auf die unterschiedlichen Interessen und Lebenssituationen von Männern und Frauen berücksichtigt und auf die Gleichstellung der Geschlechter abzielt. Das neue Jahresthema der Männerarbeit nimmt diesen Prozess vor dem Hintergrund der biblischen Tradition auf:

„…und schuf sie als Mann und Frau“
Gendermainstreaming: Verschiedenheit wahrnehmen – mehr Gerechtigkeit leben 

Am Anfang steht der Unterschied. Gott schuf keine Einheitsmenschen, sondern er schuf Mann und Frau. Unterschiedliche Lebenserfahrungen und unterschiedliche Interessen bestimmen seitdem die Geschichte der Menschen. Diese gilt es wahrzunehmen und zu respektieren. Die Verschiedenheit von Mann und Frau führt aber in der biblischen Schöpfungsgeschichte nicht dazu, sie unterschiedlich zu bewerten. Mann und Frau sind gleichwertig in ihrer Verantwortung und Machtausübung gegenüber der Schöpfung.

Hier treffen sich die alte biblische Tradition und die moderne Strategie des Gendermainstreaming: Wie sieht die reale Situation von Frauen und Männern aus, wenn die biblische Perspektive der Gleichwertigkeit akzeptiert wird? Wo werden Machtpositionen der Männer zu Lasten der Frauen verteidigt? Wo leiden Männer selbst unter patriarchalen Strukturen und wo wird es ihnen verwehrt, sich aus traditionellen Rollen zu lösen?

Mehr Gerechtigkeit leben: Weil sozial geprägte Geschlechtsrollen von Männern und Frauen grundsätzlich veränderbar sind, ist die Bewegung auf mehr Gerechtigkeit hin kein frommer Wunsch, sondern eine echte Möglichkeit. Sie zu nutzen, ist die gemeinsame Aufgabe von Männern und Frauen.

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,

welche Rolle spielt der Mann in der Kirche? Diese Frage werden wir heute den ganzen Tag über stellen. In der Regel tauchen Männer in der Gemeinde nicht so oft auf wie die Frauen. Sie kommen seltener zu den Gottesdiensten.

Welche Rolle spielt der Mann in der Kirche? Auf der einen Seite ist er immer wieder Funktionsträger, Propst, Bischof, Generalsuperintendent, Superintendent, Pfarrer, Konsistorialpräsident, GKR-Vorsitzender, Präses, etc. Er ist also Gestalter. Auf der anderen Seite ist er aber auch einfaches Gemeindeglied. Und als Gemeindeglied geraten Männer – das ist unsere Erfahrung als Männerarbeiter – nicht so sehr in den Blick. St. Johannis ist hier eine große und rühmliche Ausnahme.

Welchen Predigttext könnte man also nehmen um eine Antwort, eine Hilfestellung zu finden. Lange habe ich über meiner Bibel gesessen und gesucht. Ich gebe zu, ich habe auch die sogenannte Computerbibel benutzt, weil sie eine so schöne Suchfunktion hat. Schließlich habe ich mich für Epheser 4, 11-16 entschieden:

11 Und er hat einige als Apostel eingesetzt, einige als Propheten, einige als Evangelisten, einige als Hirten und Lehrer, 12 damit die Heiligen zugerüstet werden zum Werk des Dienstes. Dadurch soll der Leib Christi erbaut werden,13 bis wir alle hingelangen zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zum vollendeten Mann, zum vollen Maß der Fülle Christi,14 damit wir nicht mehr unmündig seien und uns von jedem Wind einer Lehre bewegen und umhertreiben lassen durch trügerisches Spiel der Menschen, mit dem sie uns arglistig verführen 15 Laßt uns aber wahrhaftig sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus, 16 von dem aus der ganze Leib zusammengefügt ist und ein Glied am andern hängt durch alle Gelenke, wodurch jedes Glied das andere unterstützt nach dem Maß seiner Kraft und macht, daß der Leib wächst und sich selbst aufbaut in der Liebe.

…bis wir alle hingelangen zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zum vollendeten Mann, zum vollen Maß der Fülle Christi, damit wir nicht mehr unmündig seien und uns von jedem Wind einer Lehre bewegen und umhertreiben lassen durch trügerisches Spiel der Menschen, mit dem sie uns arglistig verführen.

Der vollendete Mann. Wir wissen, daß Männer durchaus vollendete Gentlemen sein können. Aber was ist ein vollendeter Mann? Im griechischen Originaltext heißt das andra teleion. Telos heißt auch Ziel. Es ist der Mann, der am Ziel angekommen ist. Angekommen ist er, wenn er zum vollen Maße der Fülle Christi gelangt ist. Doch was ist das?

Die Fülle Christi lässt uns mündig werden, so daß wir uns nicht von jedem Wind einer Lehre bewegen lassen oder durch trügerisches Spiel der Menschen, mit dem sie uns arglistig verführen.

Das Patriarchat oder der patriarchale Gedanke – ich mag den Begriff der Väterherrschaft nicht – ist so ein trügerisches Spiel, mit dem es Männern noch immer gelingt Männer arglistig zu verführen, weil es Männern arglistig vorgaukelt, wie einfach und ordentlich das Leben als Mann aussehen kann; wie man Macht im eigenen Sinne zum eigenen Zwecke einsetzen und legitimieren und wenigstens die Hälfte möglicher Konkurrenz ausschalten und kleinhalten kann.

Das Patriarchat erklärt die Welt und das Arglistige daran ist, daß es auch immer wieder christlich verbrämt als unumstürzbare Ordnung der Welt gesehen wird. Daß Männer so nicht nur auf Kosten der Frauen, sondern auch auf die eigenen Kosten leben, ohne auf ihre Kosten zu kommen, macht immer wieder der Druck deutlich, unter den wir uns als Männer mit dem traditionellen Männerbild setzen, das dem Patriarchat innewohnt. Männer sind so und sind sie nicht so, so sind sie keine Männer. Das Leben eines am traditionellen Männerbild ausgerichteten Mannes besteht aus Imperativen und Regelsätzen:

  • Männer kennen keinen Schmerz!
  • Ein Mann heult nicht!
  • Männer reden nicht über Gefühle!
  • Männer schlucken keine Pillen!
  • Ein Mann darf niemals schwach sein!
  • Ein Mann darf kein Pantoffelheld seiner Frau sein!
  • Der Mann sei das Haupt der Frau!
  • Ein Mann muß sich vor den anderen auch durch Kraftakte erweisen!
  • Zu enge Bindungen zu einer Frau sind für einen Mann bedrohlich.

Wir Männer neigen immer wieder dazu, gegen unsere Sehnsüchte zu leben, weil es ein arglistiges Männerbild so will. Wir Männer lassen uns leider immer noch gerne vom patriarchalen Gedanken einfangen und gefangen nehmen, weil es unsere eigenen Unfähigkeiten zur besonderen Kompetenz erhebt. Im Grunde genommen ist das Patriarchat oder das Bild des sogenannten traditionellen Mannes nur ein Hilfs-Ich für schwache Männer, die sich nicht trauen Mann zu sein.

Die Imperative und das Regelwerk des Patriarchats sind Ausdruck von Misogynie sprich: Frauenfeindlichkeit. Jeder einzelne Punkt seines Regelwerkes wertet die Frau – als ein gleichberechtigtes Geschöpf Gottes und damit Ebenbild Gottes – ab und zeigt den Einfluß des berühmten Paulus-Zitats, das der Mann das Haupt der Frau sei. Dabei wird allerdings außer Acht gelassen, was im Brief an die Epheser 5:28 steht: „Darum sind die Männer verpflichtet, ihre Frauen so zu lieben wie ihren eigenen Leib. Wer seine Frau liebt, liebt sich selbst.“ Somit geht bei allem frauenfeindlichen Verhalten des patriarchalen Mannes auch immer eine eigene Männerfeindlichkeit einher. Der Mann steht mit seinem eigenen Mannsein auf Kriegsfuß.

Und nun begebe ich mich auf gefährliches Terrain, denn mir scheint, daß die Kehrseite des Patriarchats der orthodoxe Feminismus ist, der die Veränderbarkeit von Männern in Abrede stellt, Feindbilder am Leben hält und die eigene moralische Definitionsmacht festigen will. Auch der orthodoxe Feminismus, der zum System gewordene Feminismus, steht einer neuen Gemeinschaft von Männern und Frauen im Wege. Beide Systeme stehen als Fronten nahezu unversöhnlich gegenüber. Der Feminismus, der einmal aufgebrochen ist, das Patriarchat zu zerschlagen und Frauen zu befreien und soviel bewegt und vorangebracht hat, droht wie die patriarchale Gedankenwelt, zum Selbstzweck zu werden. Beide Seiten nehmen für sich die absolute Definitionsmacht in Anspruch. Beide Seiten wollen die erworbenen Privilegien nicht aufgeben.

Beide verhindern eine wirkliche Gemeinschaft von Männern und Frauen, weil der eine noch immer Angst vor dem anderen hat, sich die Geschlechter noch immer nicht wirklich über den Weg trauen.  Ja, ich weiß, Ihr werdet jetzt Protest einlegend fragen: „Und was ist mit den vielen glücklichen Paaren?“ – Das will ich gar nicht in Abrede stellen. Doch ich möchte versuchen, das große Ganze zu erfassen, es zu verstehen. Patriarchat und Feminismus erklären im Grunde genommen nur, warum es zwischen Frauen und Männern nicht funktioniert, nicht funktionieren kann, nicht funktionieren darf.

Auf diesem Wege scheint mir allerdings die befreiende und Gemeinschaft stiftende Botschaft unseres Herrn Jesus Christus aus dem Blick geraten zu sein.

15 Laßt uns aber wahrhaftig sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus, 16 von dem aus der ganze Leib zusammengefügt ist und ein Glied am andern hängt durch alle Gelenke, wodurch jedes Glied das andere unterstützt nach dem Maß seiner Kraft und macht, daß der Leib wächst und sich selbst aufbaut in der Liebe.

Paulus benutzt das Bild des Leibes, der von Christus aus zusammengefügt ist und ein Glied am anderen hängt durch alle Gelenke, wodurch jedes Glied das andere unterstützt nach dem Maß seiner Kraft und macht, daß der Leib wächst und sich selbst aufbaut in der Liebe.

Die Gemeinde Christi, die Kirche Christi ist solange ein hinkendes Etwas, solange Männer und Frauen nicht gleichermaßen in Liebe und Zugewandtheit in ihr zusammenkommen und zusammenleben. Wenn Kirche nicht bewußt und gezielt auf Männer zugeht, fehlt dem Leib ein Glied. So lange in unserer Kirche Männer und Frauen nicht gleichermaßen und vergleichbarer Zahl im kirchlichen Leben vorkommen und spezifisch angesprochen werden, so lange wird die Kirche ein kranker Leib sein, der sich durch das Leben schleppt und damit immer kraftloser wird.

Der Brief an die Epheser macht deutlich, daß sich der Leib nur in der Liebe selbst aufbaut und wächst. Doch das geht nur, wenn man sich zur Liebe traut. Und das nicht nur in Worten und Gedanken, sondern allem voran auch in Taten. Der vollendete Mann ist der, der wahrhaftig in der Liebe ist. Der vollendete Mann ist der, der zur Liebe bedingungslos fähig ist, seine Liebe nicht an Bedingungen knüpft, so wie Gott uns bedingungslos liebt. Jesus hat uns zur bedingungs- und vorbehaltlosen Liebe befreit. Das macht Feminismus und Patriarchat überflüssig und öffnet den Weg zur wirklichen Gemeinschaft von Männern und Frauen.

Laßt uns aber wahrhaftig sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus.