Pfr. Martin Dubberke
Bild: Martin Dubberke

Wenn er mich anruft, dann will ich ihn erhören

Heute ist Invocavit, der erste Sonntag der Passionszeit. Fünf Passionssonntage liegen bis Ostern noch vor uns. Noch genug Zeit, um in Versuchung zu geraten, schwach zu werden oder stark zu bleiben oder Stärke zu erfahren.

Der Predigttext für heute steht im 1. Buch Mose 3, 1-19 – die Geschichte vom Sündenfall. Die wohl bekannteste Geschichte einer Versuchung, die es gibt. Die bekannteste Geschichte vom Erliegen einer Versuchung. Die Geschichte von Adam und Eva, die einer listigen Schlange erlagen. Die Schlange als Sinnbild der Versuchung und Verführung. Wer kann sich nicht an  Kaa, die Schlange aus dem Dschungelbuch erinnern, wie sie Mogli versucht zu verführen, zu hypnotisieren… Ein wunderbares Lied.

Die Schlange bei Adam und Eva  war erfolgreich, weil sie zielgenau die größte Schwachstelle des Paars erkannt hatte und in Angriff nahm. Zuerst sagt sie: „Ihr werdet keineswegs des Todes sterben…“ Mit anderen Worten: Was soll schon passieren? Wird schon nicht so schlimm sein. Wird schon nicht auffallen… Wir kennen das. Das sind die Selbstbeschwichtigungen, die wir zu uns selbst sagen, wenn wir kurz davor stehen, einer Versuchung zu erliegen. Eine Versuchung appelliert immer an unsere größte Schwachstelle, unsere größte Sehnsucht. Bei Adam und Eva war es der Wunsch, die Sehnsucht wie Gott zu sein.

Was ist Deine Schwachstelle? Wo kann Dich die Schlange kriegen? Welches Lied muss sie singen, damit Du ihr erliegst? Und vor allem: Was brauchst Du, um dieser Versuchung zu widerstehen?

Der Geschichte vom Sündenfall Adam und Evas steht als Evangelium am Sonntag Invocavit die Geschichte von der Versuchung Jesu in der Wüste gegenüber, einer Geschichte, die anders endet. Jesus widersteht der Versuchung durch den Teufel.

Zwei Versucher-Geschichten, zwei verschiedene Ausgänge. Da geht mir doch die Frage durch den Kopf, warum Adam und Eva der Versuchung nicht widerstehen konnten und Jesus, der doch auch Mensch war, widerstehen konnte.

Meine Antwort lautet: Adam und Eva wussten noch nicht, wer sie wirklich sind und waren deshalb verführbar. Jesus aber wusste, wer er ist und konnte deshalb der Versuchung widerstehen und den Versucher, den Teufel, der ebenso süß und verführerisch wie die Schlange war, in die Flucht schlagen. Und der Satz, der dem Teufel den Rest gab, lautete:

Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.
Matthäus 4, 10

Und genau das war’s, was Adam und Eva entglitten war. Sie wollten mehr sein als nur Adam und Eva und damit etwas, was sie nicht waren. Daher empfanden sie die Verführung auch nicht als Versuchung, sondern als Einladung, die sie gerne annahmen. Sie kamen erst in die Not, als sie von der Frucht gegessen hatten und wurden dann durch Gott mit den Folgen ihres Handelns konfrontiert. Erst jetzt wussten sie, wer und was sie sind, so dass letztendlich das Überschreiten der von Gott gesetzten Grenze, Adam und Eva als Menschen definierte.

Ich weiß, dass ich als Mensch fehlbar bin, auch wenn ich gerne perfekt wäre und zu Perfektionismus neige. Doch ich bin es nicht. Es gibt immer wieder Situationen, wo ich an meine Grenzen gerate und damit auch in Not. Und genau an der Stelle kommt die Zusage Gottes ins Spiel, an die uns der Leitvers, der dem Sonntag Invocavit seinen Namen gegeben hat, erinnern soll:

Er ruft mich an, darum will ich ihn erhören;
ich bin bei ihm in der Not.
Psalm 91, 15

Invocavit – Er ruft mich an. Ich rufe ihn an, wenn ich an meine Grenze komme.

Passionsnotiz Nr. 5 vom 5. März 2017