Pfr. Martin Dubberke
Dany Laferrière - Ich bin ein japanischer Schriftsteller | Bild: Martin Dubberke

So ganz nebenbei – der neue Roman von Dany Laferrière

Aufmerksam geworden bin ich auf dieses Buch durch eine Buchbesprechung auf Deutschlandfunk Kultur. Das war Ende Juli. Und dann habe ich mir dieses Buch, weil ich den Titel witzig fand und auch das, was der Rezensent erzählte, mich neugierig gemacht hatte, einfach bei der Buchhändlerin meines Vertrauens gekauft.

So, und dann kam beim Lesen die eigentliche Überraschung. Ich begegnete hier eigentlich einem Flaneur. Da geht jemand durch die Gegend und erzählt, dass er ein Buch schreibt. Er beschreibt, was er sieht, was er an Banalem und an Aufregendem erlebt. Das Ganze wirkt wie ein großer Zettelkasten und ich habe mich die ganze Zeit gefragt, ob sich das mal irgendwie ordnen wird. Im Grunde genommen erinnert mich der Roman und auch die Erzählweise von Dany Laferrière ein wenig an meinen geliebten Wilhelm Genazino, der auch immer durch seine Stadt – also Frankfurt am Main – spazieren gegangen ist oder treffender flaniert ist und scheinbar belanglose Details im Blick hatte und vor allem Männer mit seltsamen Angewohnheiten porträtiert hat. Laferrière ist ihm dabei nicht unähnlich. Dieser Roman, den er aus der Ich-Perspektive erzählt, wirkt ungemein autobiographisch. Ob’s wirklich so ist, kann ich nicht sagen, weil ich seine Biographie und auch andere Werke von ihm nicht kenne. Aber der Held dieses Romans wohnt ziemlich unbehaust – wie auch viele der Genazino-Protagonisten, und wie diese ist er auch ständig unterwegs, in seltsamen Cafés, begegnet seltsamen Menschen, gerät in seltsame und zuweilen bedrohlich skurrile Situationen. Und unterwegs ist er in Montreal.

Und wie Genazino ist er ein Meister des en passant hingeschriebenen kurzen Satzes, der es so überraschend auf den Punkt bringt, dass man ihn fast zu überlesen droht. Ein Beispiel:

„Ich stieg aus dem Wasser, hob sie hoch, legte sie aufs Bett. Sie wog nichts.“ (Laferrière, 2020, S. 69)

So ein ganz so neben bei hat Genazino insbesondere in seinem letzten Roman „Außer uns redet niemand über uns“ vor seinem Tod draufgehabt, als von einem Satz zum anderen die Lebensgefährtin des Protagonisten aus dem Leben geschieden war und er von der Beerdigung kam.

Ein weiteres wunderbares Beispiel dafür findet sich am Ende eines der letzten Kapitel wieder:

„Wir hatten das Auto fast erreicht, da steckte mir seine Frau ihre Handynummer auf einem Streichholzbriefchen zu.“ (Laferrière, 2020, S. 166)

Das sind Sätze, die einen ganzen Roman erzählen. An anderer Stelle schreibt Laferrière:

„Bei mehr als 200 Seiten schlage ich das Buch gar nicht erst auf“, sagte jüngst ein bedeutender Kritiker im deutschen Fernsehen. Ich gehöre zu den Leuten, die nie fernsehen, es aber ständig zitieren.“ (Laferrière, 2020, S. 90)

Bei ihm hat man immer wieder das Gefühl, dass er eigentlich ein deutscher Schriftsteller sei, weil er wie auch an dieser Stelle, immer wieder auf die deutsche Kultur zurückgreift. So kommt auch Nina Hagen bei ihm vor, was bei einem Autor, der ursprünglich aus Haiti stammt und seit vielen Jahren in Montreal lebt, schon ein wenig überrascht.

Aber auch diese Textpassage könnte aus einem Genazino-Roman stammen. Und die Ironie des Ganzen? Inklusive Inhaltsverzeichnis und Autorenbeschreibung hat der Roman genau 200 Seiten, also absolut kompatibel für den deutschen Kritiker, der mir – nebenbei gesagt – aus der Seele spricht.

Wer Gefallen an diesem Buch finden möchte, muss eine Vorliebe für Geschichten haben, die sich scheinbar nicht entwickeln, in denen der Rote Faden eben nicht der klassische Rote Faden ist, den man sofort erkennt.

Der Rote Faden ist allerdings bei Laferrière ziemlich einfach: Er erzählt lediglich, dass er einen Roman schreiben will, der einen ungewöhnlichen Titel trägt und dabei entsteht ein Roman. Ein wunderbarer Kunstgriff, einen Roman über das Entstehen eines Romans zu schreiben. Das ist wie ein Film im Film. Auch das ist typisch für diese Geschichte. Der Held geht mit einer Kamera im Kopf durch die Geschichte. Und dann beschreibt er die Bilder, die er aufgenommen hat, wie er die Überblendungen und vieles andere mehr macht.

Die Geschichte besteht aus kurzen Kapiteln. Jedes Kapitel ist eine Geschichte für sich. Sie könnte auch ganz alleine dastehen. Jedes Kapitel ist in sich abgeschlossen und gleichzeitig offen, wie unser Leben, bei dem ich auch nicht weiß, was morgen geschehen wird, auch wenn ich eine verplante Woche habe. Und so fügt sich mancher Begegnung die eine oder andere Begegnung hinzu. Eigentlich ist man als Leser so eine Art Begleiter, den der Erzähler mitnimmt. Das kann spannend sein, aber zuweilen auch gähnend langweilig. Und davon gibt es einige Kapitel in diesem Roman. Aber gleichzeitig ist das auch wieder nicht so schlimm, weil: Ich erlebe ja auch nicht jeden Tag die total spannenden Geschichten. Auch mir begegnen Menschen, die mich entweder nerven oder langweilen, genau wie Menschen, die spannend sind, mich inspirieren und herausfordern. Insofern bildet Laferrière in seinem Roman schon nahezu dokumentarisch sein Leben, das Leben seines erzählten Ich ab. Aber Achtung: Bitte immer auf die kleinen Sätze achten, die die Würze dieses Romans sind, mit denen der Autor ein Schmunzeln oder auch ein Tränchen des Mitleids auslöst.

Und ihm gelingt noch etwas, was ich sehr an ihm schätze. Mit wenigen Worten beschreibt er seine Personen, so dass man das Gefühl hat, sie wie in einem Film oder im richtigen Leben vor sich zu sehen und zu wissen, was für ein Typ Mensch es ist.

Und so en passant wie der ganze Roman ist, so ist auch der Schluss. Er kommt so ganz nebenbei.

Pfarrer Martin Dubberke
Pfr. Martin Dubberke

Martin Dubberke, 10. November 2020

 

Bibliographische Angaben

Verlag: Verlag Das Wunderhorn

ISBN: 978-3-884-23628-4
Erschienen 2020