Pfr. Martin Dubberke

Prophet oder Prophet?

Wenn man es recht bedenkt, könnte man uns doch für Spinner halten. Also, ich meine, da gibt es Gott und wir glauben an ihn. Mal ehrlich. Haben Sie den alten Herrn schon jemals gesehen?

Stellen Sie sich doch einfach mal vor, Sie sitzen in der S-Bahn und ein Abteil weiter sitzt ein Mann, der redet da einfach mit Gott.Ich sage Ihnen: Das habe ich erst vor vierzehn Tagen erlebt. Der Mann saß hinter mir und redete laut mit Gott. Seien Sie ehrlich – wir sind ja ganz unter uns und ich verrate es nicht weiter – aber da denkt man doch sofort, der hat ’nen Hau weg, oder?

Ich meine, was ist es anderes, wenn wir beten? Und ich sage Ihnen, der Mann hat gebetet. Gut, er hatte ein psychisches Problem. Aber er hat eigentlich nur gebetet.

Naja, und dann denken Sie nur mal an die ganzen Propheten, von denen da im alten Testament die Rede ist. Die Warnungen, die die alle ausgesprochen haben. Und niemand hat denen wirklich zugehört. Die sind zum Teil einfach gekillt worden. Gut es gab auch die Geschichte mit Jona, wo so abtrünniges Völkchen doch tatsächlich das gemacht hat, der Prophet als verlängerter Arm Gottes von ihm gefordert hat.

Aber nun stellen Sie sich mal vor, ich würde hier heute Morgen sagen: „Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe heute Nacht eine ganz besondere Begegnung gehabt, als ich mal wieder bis in die Puppen an meinem Schreibtisch gesessen habe. Da war so ein seltsames, energetisches Leuchten vor meinem Schreibtischfenster. Es war hell und blendete aber nicht. Und aus diesem Licht heraus sprach eine Stimme zu mir: „Martin, Du sollst meine Stimme unter den Menschen sein. Ich will, dass Du Sie gleich ab morgen 8:00 auf meinen Weg zurückführst und wieder auf Linie bringst. Sage ihnen, dass Sie noch vierzehn Tage Zeit haben, zu kapieren, was es heißt „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Und mehr noch in vierzehn Tagen sollen sie auch wissen, wie es funktioniert und danach leben, auf dass ich endlich Frieden ohne Unterlass ist und ich endlich einen Wohlgefallen an Euch habe und mich nicht ständig über euch aufregen muss. Und wenn das nicht klappt, mache ich ein Remake der Sintflut. Nur diesmal ohne Arche.“

Und soll ich Ihnen etwas sagen? Es war die wärmste Stimme, dich ich jemals in meinem Leben gehört habe.

Tja, und dann war mit einem Mal das Licht weg. Und ich dachte, Mensch, haste jetzt einen Sekundenschlaf gehabt. Kaum, dass ich das denke, wird es noch einmal hell in meinem kleinen Klopfhof und die Stimme sagt: „Martin, ich habe es Ernst gemeint.“

Tja, und da sitze ich nun hier bei Ihnen. Es ist acht Uhr und…

Stimmt’s, Sie halten mich jetzt schon ein wenig für gaga. Aber mal ehrlich, woher wollen Sie wissen, ob ich nicht doch ein frisch berufener Prophet bin? Was macht Sie so sicher. Schlage vor, Sie halten Sich an das Doppelgebot und wir warten die nächsten vierzehn Tage ab… Na, nicht vielleicht doch ein wenig verunsichert?

Dann lege ich jetzt mal noch eins drauf, nämlich die Tageslosung aus Hesekiel 13, 3:

Wehe den törichten Propheten, die ihrem eigenen Geist folgen, ohne etwas gesehen zu haben!

Tja, was macht Sie jetzt so sicher, dass ich meinem eigenen Geist folgen könnte und nichts gesehen habe?

Also, bleibt die Grundfrage: Woran erkenne ich einen Propheten, wenn er vor mir steht? Wie unterscheide ich zwischen einem echten und einem selbsternannten Propheten?

Das ist eine schwierige Frage. Die Tageslosung gibt uns hier einen ganz entscheidenden Hinweis: „die ihrem eigenen Geist folgen.“

Wie das gemeint ist? Ein Beispiel: Als ich kürzlich in der Wilmersdorfer Straße einkaufen war, stand da ein Mann mit einer Bibel unterm Arm, die er manchmal in die Luft hielt. Er hielt sich für einen Propheten und Mahner, der die Kirche für verdorben hielt, weil sie schwule Pfarrer erlaubt und Männer mit Männern und Frauen mit Frauen verheiratet. Dieser selbst ernannte Prophet, der mit sich überschlagender Stimme auf der Straße predigte, folgte seinem eigenen Geist, denn das Doppelgebot war bei ihm nicht mehr erkennbar. Er verfolgte eigene Interessen, nicht aber die Interessen Gottes.

Ich denke, das Doppelgebot liebe deinen nächsten wie dich selbst, ist ein wichtiges Kriterium um den törichten Propheten vom echten Propheten zu unterscheiden.

Und so verstehe ich auch den Lehrtext aus Matthäus 7, 22-23:

Jesus sprach: Es werden viele zu mir sagen an jenem Tage: Herr, Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt? Haben wir nicht in deinem Namen böse Geister ausgetrieben? Haben wir nicht in deinem Namen viele Wunder getan? Dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch noch nie gekannt.

Es geht einzig und allein um die Motivation, aus der heraus ich handle. Und bei einem Christenmenschen ist das nun einmal die Nächstenliebe. Und die ist an keine Bedingungen geknüpft. Und dann wird einem ganz schnell deutlich vor Augen, dass der Grad der gelebten Nächstenliebe ein Indiz für den kritischen oder guten Zustand dieser Welt ist. Ist der Grad der gelebten Nächstenliebe gering, sprich der Egoismus groß, ist die Schöpfung Gottes gefährdet. Und damit steckt in jedem Christen ein prophetischer Seismograph.