Pfr. Martin Dubberke
Post mortem | Foto: Martin Dubberke

Post mortem

Als ich die Nachricht im Fernsehen sah, dass Michael Jürgs gestorben sei, war ich – wie so oft – überrascht, weil er ja eigentlich noch nicht in dem Alter war, wo man mit dem Tod rechnet. Irgendwann bekam bekam ich dann in einem Kulturmagazin mit, dass er noch kurz vor seinem Tod ein Buch mit dem Titel „Post mortem“ abgeschlossen hatte, in dem er aus der Perspektive post mortem schreibt… Das machte mich neugierig und so habe ich sein letztes Buch gelesen.

Es ist schon spannend, dass ich innerhalb kürzester Zeit zwei Bücher lese, in denen es um den Umgang mit Krebs und dem Sterben geht. Hubertus Meyer-Burckhardt schreibt über seine beiden Karzinome, denen er die Namen Shaw und Kafka gibt, aber er überlebt. Er schreibt über die Frauen, die Menschen, die ihm begegnet sind, seine Kasseler Wurzeln und nicht zuletzt über Literatur, die ihn bewegt hat und gewissermaßen auch über den Soundtrack seines Lebens.

Michael Jürgs ist ihm darin nicht unähnlich. Er begegnet im himmlischen Leben Willi Brandt, Picasso, Gutenberg, Einstein und vielen anderen mehr, denen er auch in seinem Leben begegnet ist oder, die ihn bewegt haben und mit allen führt er sehr tiefgründige Gespräch, die wie immer von seiner Neugier geprägt sind. Wer allerdings hofft, dass es zu einer Begegnung mit Gott und einem Interview mit ihm kommt, dem kann ich an dieser Stelle verraten, dass Jürgs dem lieben Gott nicht persönlich begegnet, aber dafür steht plötzlich Martin Luther neben ihm.

Und natürlich trifft er seine Familie wieder und klärt sogar im Jenseits noch offene familiäre Fragen. Es gibt die Gespräche, von denen Meyer-Burckhardt in seinem Buch „Diese ganze Scheiße mit der Zeit“ träumt, ja sich noch einmal eine halbe Stunde Zeit für ein Gespräch mit seinem Großvater wünscht. Michael Jürgs hat einfach diese Zeit und sitzt mit seinem Vater oder seinen Großeltern zusammen und führt die Gespräche, die jeder von uns gerne noch einmal mit seinem Vater oder Großvater führen würde, um zu verstehen, weil man ja nun reif genug ist, auch verstehen zu können, zumal hier auch die gemeinsame Erfahrung des Todes eint.

Und dann gibt es noch eine andere interessante Parallele zwischen Jürgs und Meyer-Burckhardt. Jürgs hat katholische Wurzeln und Meyer-Burghardt evangelische. Beide haben sich auf je ihre eigene Weise von der Kirche entfernt und dennoch prägt sie sie auf eine besondere Weise, die auch hier wieder deutlich wird, weil auch Jürgs die Fragen nach dem Glauben stellt.

Für mich als Theologen ist natürlich seine Darstellung des Himmels spannend. Und ohne hier zu viel verraten zu wollen, aber er scheint sich am 2. Korinther 5, 8 orientiert zu haben:

„Weil wir aber zuversichtlich sind, ziehen wir es vor, aus dem Leib auszuwandern und daheim beim Herrn zu sein.“

Was damit alles möglich ist, hat Jürgs auf eine wunder- und phantasievolle und zuweilen auch sehr humorvolle Weise beschrieben.

Ach ja, beide – Meyer-Burckhardt und Jürgs – begleitet lebenslang ein Notizbuch, in dem sie Zitate festhalten. Jürgs begleitet dieses Notizbuch auch im Himmel. Es ist gewissermaßen der einzige Gegenstand, den er mit dem Tod mitgenommen hat.

Es gibt allerdings etwas, was Meyer-Burckhardt und Jürgs fundamental unterscheidet. Der eine schreibt aus der Perspektive desjenigen, der gegen den Krebs kämpft, sein Leben ordnet und neu ausrichtet und sich auch mit dem Krebs – also mit Shaw und Kafka – einrichtet. Der andere schreibt schon aus der Perspektive desjenigen, der alles hinter sich hat, der schon gestorben ist und nun im Himmel ist. Und er tut dies, weil er weiß, dass er nur noch wenig Zeit hat.

Insofern fasziniert mich dieses Buch, auch weil Jürgs mit einer Perspektive arbeitet, die in seinem Leben immer eine Rolle gespielt hat: Der Deadline, die nun eine vollkommen neue Bedeutung bekommt. Er muss mit dem Buch vor dem Tot fertig werden und er macht auch eine Punktlandung. Zwei Wochen nach Vollendung des Buches stirbt er am 4. Juli 2019. Jemand, der in den letzten Monaten seines Lebens nicht ein Buch über die letzten Dinge, sondern gewissermaßen seine ersten Dinge, die er nach seinem Tod erlebt, schreibt, der muss seine Dinge geordnet haben.

Sollte mich jemand nach meinem Fazit fragen, dann würde meine Antwort lauten: Unbedingt lesen, auch weil es ein humorvolles Buch ist, das deutlich macht, dass die Neugier auf das Leben nicht mit dem Tod enden muss. Da hat jemand ein Buch geschrieben, der neugierig auf das war, was post mortem sein wird. Und er hat – wie es seine Art war – verdammt gut recherchiert 😉

Ein solches Buch stellt auch für das eigene Leben die Frage: Was ist eigentlich wichtig?

Pfr. Martin Dubberke
Pfr. Martin Dubberke

Bibliographische Angaben

Verlag: C. Bertelsmann

ISBN: 978-3-570-10411-8
Erschienen am  16. September 2019