Pfr. Martin Dubberke
Dietrich Bonhoeffer in Schönberg ©Martin Dubberke

Nicht ausgrenzen, sondern überwinden

Lass dich nicht vom Bösen überwinden,
sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Römer 12,21

Das klingt wie ein Kalenderspruch. Das klingt aber auch wie ein gut gemeinter erzieherischer Satz eines Vaters zu seinem Sohn.

Es klingt aber auch nach dem berühmten Schulterflüsterpaar Teufelchen und Engelchen, die auf meinen Schultern sitzen, während ich am liebsten jemandem den Hals umdrehen möchte, ihm die Pest an den selbigen wünsche und mir das Engelchen ins Ohr appelliert:

Lass dich nicht vom Bösen überwinden,
sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Während das Teufelchen ins andere säuselt:

Das Böse reinigt deine Seele und danach hast du wieder Energie fürs Gute.

Und in der Tat, das, was Paulus hier an seine Gemeinde in Rom schreibt, ist nicht nur eine ermunternde Ermahnung, sondern auch eine Beschreibung des menschlich allzu menschlichen. Nämlich das beständige Ringen, in dem wir Menschen uns befinden.

Das Böse ist zuweilen ein leichterer Weg als das Gute. Das Böse führt mitunter schneller ans Ziel. Das Böse entwickelt eine verführerische, erotische Dynamik. Und genau das bringt uns immer wieder in Situationen, in denen wir mit dem Bösen ringen, weil wir doch eigentlich das Gute wollen und auch gut sein wollen.

Doch das Gute lässt uns zuweilen soft, harmlos, schwächlich, mutlos, ohne Biss, nicht ernst genommen fühlen.

Während das Böse das Gute platt zu machen droht, fürchtet das Gute, dem Bösen nichts entgegensetzen zu können, weil es nicht mit den gleichen Waffen kämpfen kann.

Das führt bisweilen dazu, dass sich das Gute versteckt, verbirgt und duckt, sich unkenntlich macht, um nicht vom Bösen überwunden zu werden, weil sich das Gute als machtlos empfindet.

Unsere Geschichte aber ist voll von Beispielen, von Menschen, denen es gelungen ist, sich nicht vom Bösen überwinden zu lassen, sondern das Böse mit Gutem zu überwinden, auch wenn viele von ihnen Märtyrer geworden sind.

Mir gefällt dieser Vers aus dem Römerbrief, weil er mir deutlich macht, dass das Gute nicht selbstverständlich ist, sondern immer wieder und jeden Tag neu errungen werden muss. Wenn ich nicht das Gute tue, dann wird mich das Böse überwinden.

„Überwinden“ – das ist in diesem Fall auch ein sehr gutes Stichwort. Es geht nicht darum, das Böse auszugrenzen, ihm ein Revier zu überlassen, in dem es sich tummeln kann und seine Ruhe hat, solange es in seinen Grenzen bleibt.

Überwinden bedeutet, ihm die Macht zu nehmen, indem ich es mit dem Guten überwinde. Das Überwinden ist ein Ringen mit dem Bösen. Indem ich mit dem Bösen ringe, lasse ich es ganz dicht an mich heran, ich spüre seinen Atem, nehme das Schlagen seines Herzens wahr, rieche es, setze mich der Gefahr aus, dass es stärker ist als ich, so dass ich immer in Bedrängnis geraten kann.

Überwinden heißt in diesem Fall auch, überzeugen.

Das Böse ist das machtvolle Verdrängen der eigenen Angst vor Ohnmacht. Das Böse hat immer eine Ursache. Gott hat uns als Menschen gut angelegt, sogar sehr gut – sonst stünde am Ende der Schöpfungsgeschichte nicht:

Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte,
und siehe, es war sehr gut.

1. Mose 1, 31

Und so ist das Gute und nicht das Böse der Grundzustand. Also, ist das Überwinden des Bösen mit dem Guten quasi der Reset, mit dem der Anfangszustand erzeugt wird.

Das Böse ist dann der Havariezustand.

Das Böse möchte sich ermächtigen, weil es die Sehnsucht hat, ohne Angst zu leben. Das Böse ist oft aus Enttäuschung entstanden, auch weil es mit seiner Angst nicht gehört, nicht ernstgenommen worden ist.

Auch wir als Christinnen und Christen müssen immer wieder aufpassen, dass wir aus Angst vor dem Bösen, nicht selbst Böse werden.

Lass dich nicht vom Bösen überwinden,
sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Mit diesen Worten hat Paulus seine Gemeinde ermahnt. Mit diesem Satz schließt er das Kapitel über das Leben der Gemeinde ab. Dieser Schlusssatz bündelt alle Ermahnungen und Ratschläge wie:

Seid fröhlich in der Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet.

Freut Euch mit den Fröhlichen, weint mit den Weinenden.

Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.

In all diesen Sätzen befinden sich Hinweise, wie ich das Böse mit Gutem überwinde:

Mit Hoffnung, Geduld und Beharrlichkeit, mit dem Gebet, also der Beratung mit Gott, der Empathie für mein Gegenüber, mit ihm fröhlich zu sein oder mit ihm zu weinen, ihm nahe zu sein, dass er sich nicht alleine und verlassen fühlt. Wir sind dann die Botschafter Gottes, die ihn in den Arm nehmen und ihn trösten, weil wir seine Freude und seine Trauer sehen. Und schließlich und endlich sind wir aufgefordert mit dem anderen im Frieden zu leben.

Und das gehört wohl zur größten Herausforderung, wenn ich das Böse mit Gutem überwinden will.

Ich habe kürzlich in einem Aufsatz über Luther eine spannende Formulierung gelesen, die mich sehr beeindruckt und nachdenklich gemacht hat und noch einmal einen anderen Blick auf das sogenannte Böse ermöglicht: Die Rechtfertigung der Ängstlichen.

Es drängt den Menschen, frei von Angst zu sein. Das hat vor 500 Jahren dazu geführt, dass das Geschäft mit dem Ablass so lukrativ war. Es war eine einfache Lösung: Die Münze in dem Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt.

Mit anderen Worten: Wenn ich mir einen Ablass gekauft habe, blieben mir angeblich die Höllenqualen erspart.

Die Ablassverkäufer haben virtuos mit den Ängsten der Menschen gespielt und im wahrsten Sinne des Wortes daraus Kapital geschlagen. So wie heute Populisten wieder Kapital aus den Ängsten der Menschen schlagen und eine vermeintlich einfache Lösung anbieten und verkaufen.

Und damit komme ich wieder zum Anfang: Überwinden heißt nicht ausgrenzen. Das Böse mit Gutem zu überwinden ist hier die höchste und größte Form, das Doppelgebot zu leben:

Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. Dies ist das höchste und größte Gebot.
Das andere aber ist dem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.

Matthäus 22, 37-40

Und schließlich:

Lass dich nicht vom Bösen überwinden,
sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Es gibt keinen leichten Weg, keine leichte Lösung, seine Ängste loszuwerden. Der Weg aus der Angst oder Ängstlichkeit heraus ist ein Weg des Überwindens, ist der lange Weg des Vertrauen- und Liebenlernens. Und natürlich muss niemand diesen Weg alleine gehen. Auf diesem Weg gibt es einen Begleiter, der zuverlässig an meiner Seite geht und meine Ängste kennt: Gott, der mein Hirte ist, der mit mir durch das finstere Tal wandert, dessen Stecken und Stab mich trösten.

Ich halte es – nebenbei gesagt – nicht für einen Zufall, dass dieser Vers in der Woche mit dem für uns in so mehrfacher Weise bedeutsamen 9. November der Wochenspruch ist.

Er mahnt und ermuntert uns, das im Blick zu haben, worauf es ankommt, wenn Menschen in dieser Welt in Frieden zusammenleben wollen: Das Gute im Blick zu haben, und zwar nicht das für mich persönliche oder eine Gruppe ausschließlich Gute, sondern das, was aus Gottes Sicht und Wille das Gute ist.

Amen.

Wochenandacht im LAFIM am 9. November 2017 über den Wochenspruch Römer 12, 21 für die Woche nach dem 21. Sonntag nach Trinitatis.