Pfr. Martin Dubberke

Nahe dran aufzugeben

35 Darum werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat.   36 Geduld aber habt ihr nötig, damit ihr den Willen Gottes tut und das Verheißene empfangt.   37 Denn »nur noch eine kleine Weile, so wird kommen, der da kommen soll, und wird nicht lange ausbleiben.   38 Mein Gerechter aber wird aus Glauben leben. Wenn er aber zurückweicht, hat meine Seele kein Gefallen an ihm« (Habakuk 2,3-4).   39 Wir aber sind nicht von denen, die zurückweichen und verdammt werden, sondern von denen, die glauben und die Seele erretten. (Hebräer 10, 35-39)

Wenn wir den Predigttext verstehen möchten, müssen wir zwei Dinge wissen. Zum einen: Der Hebräer-Brief ist einer der sogenannten Pastoralbriefe oder auf Deutsch “Hirtenbriefe”. Also ein Brief, der praktisch-seelsorgerliche Mahnungen für und an die Gemeinde enthält. Das Ziel eines Pastoralbriefes ist es, die Gemeinde gewissemaßen bei der Stange zu halten. Oder – wie Strathmann in seinem Kommentar schreibt:

“mit stärkstem Nachdruck zum Festhalten am Bekenntnis zu Jesus, zum treuen Beharren im christlichen Heilsglauben aufzurufen.” (NTD 9, 1935, S. 57)

Das andere ist die Entstehungszeit. Der Brief ist vermutlich um 80 nach Christi Geburt entstanden. Also mehr als 40 Jahre nach seinem Tod. Die Menschen haben zu diesem Zeitpunkt die Erfahrung der ersten Christenverfolgung unter Kaiser Nero hinter sich.

Mittlerweile befinden sich die christlichen Gemeinden in der zweiten bis dritten Generation. Die erste Generation, die vielleicht noch Jesus oder Paulus leibhaftig erlebt haben, ist weitestgehend ausgestorben. Wer jetzt zu einer christlichen Gemeinde gehört ist dort hineingeboren worden oder noch durch jemanden der ersten Generation gewonnen worden, ist aber kein Glaubenszeuge der ersten Stunde mehr.

Wenn man den Hebräerbrief vor diesem Hintergrund liest, wird man sich der Brisanz und auch der Aktualität des Briefes nicht mehr entziehen können. Der Brief wendet sich an einen

“Leserkreis, der in hoher Gefahr ist, den Glauben an Jesus als Offenbarer und Heilsbringer fortzuwerfen” (NTD 9, 1935, S. 58)

Die Christen jener Zeit waren nahe dran aufzugeben. Ihren Glauben, Jesus Christus und schließlich sich selbst, um im Meer des Zeitgeistes zu versinken und eins zu werden mit der Gegenwart, nicht aufzufallen, wie jeder andere zu sein.

Hinzu kommt die Enttäuschung über das Ausbleiben des Jüngsten Tages und der Wiederkunft Christi, der sogenannten Parusieverzögerung oder Naherwartung. Den Menschen ging allmählich die Luft aus und so versucht der Autor des Hebräerbriefs die Menschen aufzumuntern, sie wieder heiß zu machen. Doch es ist schwierig, denn die Menschen haben geglaubt, was die Prediger damals verkündigt haben, daß die Zeitenwende nahe und damit noch erlebbar wäre.

Wir leben nun rund zweitausend Jahre später und erschreckenderweise, spielt für uns die Wiederkunft Christi keine alltägliche Rolle. Es ist Teil unseres Glaubens, den wir stets bekennen.

Und trotzdem haben wir das gleiche Problem, wie die unsere Schwestern und Brüder vor zweitausend Jahren. Unsre Gemeinden bröckeln, fallen zusammen, werden fusioniert und aufgelöst. Kirchen werden verkauft. Die Zahl der Christen geht dramatisch zurück. Die Landeskirchen ringen mit dem sinkenden Kirchensteueraufkommen. Und in den Vordergrund jeder Gemeinde rückt das Geld. Haben wir noch genug, um unsere Gemeinde am Leben zu erhalten? Haben wir noch genug, um einen Organisten zu bezahlen? Haben wir noch genug, um eine Küsterin zu bezahlen. Solche Sorgen drücken uns bald mehr.

Und niemand ist in unserer Nähe, der uns einen Pastoralbrief schickt, der uns anfeuern, anheizen und Mut machen soll.

Daß es heute noch Kirche gibt, ist nämlich unter anderem dem Auto des Hebräerbriefes zu verdanken. Hätte der Brief seine Wirkung verfehlt, wären vielleicht nicht mehr genug geblieben, die den Glauben bis heute hätten weitergeben, weiterleben und weiterlieben können.

Wir sind die Erben der Empfänger des Hebräerbriefes und so gilt er auch uns.

“Geduld aber habt ihr nötig, damit ihr den Willen Gottes tut und das Verheißene empfangt.”

Und genau darum geht es: Geduld! Geduld und das Tun des Willen Gottes. Und den Willen Gottes finden wir bei Matthäus 28:

 18 Und Jesus trat herzu und sprach zu ihnen: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.   19 Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes   20 und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.  

Verzagt nicht in leeren Kirchen und leeren Gemeinden! Grübelt nicht und trauert nicht darüber, daß wir ein kleines Häuflein sind. Gebt daran nicht der Welt, dem Zeitgeist oder der schlechten Predigt eines Pfarrers schuld, sondern sucht den Anfang bei Euch selbst. Steht auf, erzählt den Menschen von Eurem Glauben, nehmt sie mit in die Gemeinde. Trennt Euer Leben nicht in die Bereiche: Familie, Job, Freunde, Hobby, Kirche, Gott, sondern lebt in all diesen Bereichen, Euren Glauben.

Und nun geht es an das Eingemachte: Wie lebe ich meinen Glauben? Und ich glaube, das ist das Schwierigste, weil es jeden Tag gilt, darin besser und selbstverständlicher zu werden, weil es bedeutet das Gebot der Nächstenliebe wirklich zu leben.

Habt Geduld, denn das Wachsen der Gemeinde Gottes, ist wie ein Baum, der langsam Ring um Ring und Zentimeter um Zentimenter wächst. Was immer wir beim Erhalt und Aufbau der Gemeinde tun werden. Es wir nie von heute auf morgen gehen und ich glaube fest daran, weil das damals die Menschen, die den Hebräerbrief gelesen haben, auch verstanden haben, gibt es uns noch heute zweitausend Jahre später. Sie sind rausgegangen und haben geglaubt und Seelen errettet. Sind auf Menschen in Not zugegangen, haben Ihnen geholfen, auch wenn Sie vielleicht nachher nicht bei der Gemeinde geblieben sind. Und sie konnten Seelen helfen und retten, weil Sie wußten, daß Ihre Seele gerettet ist durch Jesus Christus, der irgendwann, wann auch immer wieder kommen wird. Und weil wir nie wissen können, wann das sein wird, ob heute, morgen oder auch erst in zweitausend weiteren Jahren haben wir keine Zeit zu verschenken, um unsere Kraft und Phantasie in den Aufbau der Gemeinde zu stecken. Auch wenn uns vielleicht vieles von unserem Banknachbarn oder dem einen oder anderen in der Gemeinde trennen sollte, so sind wir doch alle darin geeint, daß wir Kinder Gottes und somit Schwestern und Brüder sind.

Amen.

Sonntag: 16. Sonntag nach Trinitatis

PREDIGTORT: Silas Kirche

Datum: 06.09.2008

PREDIGTTEXT: Hebräer 10,35-39

PERIKOPENREIHE: VI