Pfr. Martin Dubberke

Man kann Gott nicht allein mit Arbeit dienen, sondern auch mit Feiern und Ruhen

Es wird Ihnen aufgefallen sein, dass ich heute einfach mal eine Lesung mehr gemacht habe. Die Älteren unter uns werden sich noch daran erinnern, dass wir früher immer drei Lesungen im Gottesdienst hatten: die Alttestamentliche, die Epistel- und die Evangelienlesung.

Warum habe ich das getan? Weil der Text natürlich wunderbar alle anderen Lesungen dieses Gottesdienstes ergänzt. Schließlich ist die Zusammenstellung der Perikopen wunderbar komponiert, so dass jeder Text ein Aspekt des sonntäglichen Themas beleuchtet und die unterschiedlichen Perspektiven darauf bereichern. In erster Linie habe ich das heute aber getan, weil er ein sehr schönes Gegenüber zum eigentlichen Predigttext im Rahmen unserer Predigtreihe ist:

Man kann Gott nicht allein mit Arbeit dienen,
sondern auch mit Feiern und Ruhen.
Martin Luther

(bei Tische zu Melanchthon), Tischreden, Altenburg 1530

Das Zitat stammt aus einer Tischrede Luthers, die er bei Melanchthon gehalten hat. Ich mag diesen Satz, weil er sehr deutlich macht, was alles zum Leben gehört und, dass ein Leben nicht vollständig ist, wenn es nur aus Arbeit besteht. Außerdem bildet sich in diesem Satz auch ein wesentlicher Teil der Schöpfungsgeschichte ab. Aber dazu später mehr.

Jetzt möchte ich erst noch einmal die Verse aus dem Hiob vorlesen, damit wir sie wieder vor Augen haben:

Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und welkt, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht.

Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst. Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer!

Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann: so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut.

Wer mich länger kennt, weiß, dass ich ein Faible für Hiob habe. Das Buch war damals der Einstieg in meine ganz große Liebe: Die alttestamentliche Weisheit.

Sie kennen die Geschichte von Hiob. Er war ein absolut erfolgreicher und auch reicher Mann, dessen Leben vor allem aus Arbeit bestand und er war absolut gottesfürchtig.

Das Hiob-Buch fängt mit einer Beschreibung seines Reichtums und seiner Familie an. Wobei, seine Frau interessanterweise am Anfang keine Rolle spielt, sondern seine sieben Söhne und drei Töchter, die regelmäßig Gastmahle gaben, also richtige Partys. Und wenn man sich den fünften Vers des ersten Kapitels des Hiob Buches auf der Zunge zergehen lässt, kann man eine Ahnung davon entwickeln, wie es auf diesen Gastmahlen zugegangen sein muss:

Und wenn die Tage des Mahles um waren, sandte Hiob hin und heiligte sie und machte sich früh am Morgen auf und opferte Brandopfer nach ihrer aller Zahl; denn Hiob dachte: Meine Söhne könnten gesündigt und Gott abgesagt haben in ihrem Herzen. So tat Hiob allezeit.

Da muss die Post abgegangen sein, wenn er vorsichtshalber für jeden seiner Söhne ein Brandopfer gebracht hat. Das war jedes Mal ein Tier, also sieben Tiere. Das hat ihn immer ein kleines Vermögen gekostet. Und ich fürchte, dass das im wahrsten Sinne des Wortes berauschende Feste gewesen sein müssen, die auch mal die Grenzen des Anstands überschritten haben werden.

Dieser Vers enthält aber auch eine Botschaft über Hiob, ohne, dass sie expressis verbis ausgesprochen wird. Hiob scheint kein Fan dieser Gastmahle gewesen zu sein, wenn er fürchtete, dass seine Söhne gesündigt und Gott abgesagt haben könnten. Das klingt nach einer ziemlichen Spaßbremse. Hiob scheint in der Tat nur zwei Dinge gekannt und gelebt zu haben: Arbeit und Gottesfurcht.

Und ausgerechnet dieser gottesfürchtige, untadelige Hiob, dieses Musterbeispiel eines frommen Mannes, über den Gott zum Satan sagt:

Hast du achtgehabt auf meinen Knecht Hiob? Denn es ist seinesgleichen nicht auf Erden, fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und meidet das Böse.

Hiob 1, 8

Ausgerechnet dieser Mann wird das Opfer einer Wette zwischen Gott und Satan. Während Gott davon überzeugt ist, dass Hiob nichts von seiner Gottesfürchtigkeit abbringen wird, ist sich Satan sicher, dass es ihm gelingen wird. Und so gibt ihm Gott freie Hand, was Satan auch gleich nutzt. Im Laufe nur eines Tages werden alle Kinder Hiobs Opfer von Gewalt und Naturkatastrophen. Ein Schreckensbote gibt an diesem Tag dem anderen gewissermaßen die Klinke in die Hand. Doch Hiob schwört Gott nicht ab. Alles, was er sagt, ist:

Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren. Der HERR hat’s gegeben, der HERR hat’s genommen; der Name des HERRN sei gelobt!

Hiob 1, 21

Satan war nicht erfolgreich. Aber die Wette geht weiter. Gott erlaubt Satan schließlich, Hiob auch direkt anzufassen. Und das lässt sich Satan nicht zweimal sagen. Er schlug ihn mit Geschwüren am ganzen Leib. Hiob muss furchtbar ausgesehen haben und schreckliche Schmerzen gehabt haben. Doch auch dieses Mal schwor er Gott nicht ab.

Ganz im Gegenteil. Hiob ging davon aus, dass er etwas falsch gemacht hatte und setzte sich in einen Aschenhaufen. Wie sehr Satan das absolute Gegenteil erreicht, wird an dieser kleinen Szene mit Hiobs Frau deutlich:

Und seine Frau sprach zu ihm: Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Fluche Gott und stirb! Er aber sprach zu ihr: Du redest, wie die törichten Frauen reden. Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?

Hiob 2, 9-10

Wie wir sehen, hat seine Frau wohl eine kritische Distanz zur Frömmigkeit ihres Ehemannes gehabt. An der Stelle klingt für mich sehr deutlich heraus, dass Hiob kein sinnenfroher Mensch gewesen sein muss, sondern ein absolut nüchternes Arbeitstier, dass seine Arbeit als Gottesdienst verstanden haben muss.

Gott zu fluchen war an der Stelle das sichere Todesurteil. Aber Hiob tat es nicht. Er schwor nicht ab. Im Grunde genommen ist diese Szene eine zutiefst lutherische, weil Hiob in seinem Aschenhaufen sitzend, nicht anderes sagt, als:

„Hier sitze ich. Ich kann nicht anders.“

Das kommt uns irgendwie bekannt vor, oder?

Und dann machte Hiob nichts anderes, als Luther auch. Nur, während Luther mit der Katholischen Kirche rechtete, rechtete Hiob mit Gott. Er konnte nicht erkennen, dass er etwas falsch gemacht haben könnte.

Und dann kamen auch noch drei Freunde, die Hiob davon überzeugen wollten, dass er vielleicht doch irgendwo Dreck am Stecken haben könnte und mit Gott ins Reine kommen sollte.

Aber Hiob ließ sich davon ebenso wenig abbringen, wie Luther sich nicht von dem abbringen ließ, was er erkannt hatte. Hiob wollte es von Gott wissen.

Nachdem ich nun einen kleinen Einblick in die ersten vier Kapitel der Geschichte Hiobs gegeben habe und noch 38 sehr spannende Kapitel vor uns liegen, in denen Gott versucht, mit Gott zu rechten und ihm dadurch immer näherkommt, möchte ich die Geschichte ein wenig abkürzen – weil wir sonst noch morgen hier säßen und da müssen wir ja wieder arbeiten gehen. Also werde ich mal an dieser Stelle ans Ende des Hiob Buches springen.

Es ist das Verrückte an dieser ganzen Geschichte, dass Hiob durch diese Wette zwischen Gott und Satan, Gott deutlich nähergekommen ist, und erfahren hat, dass Gottesfürchtigkeit noch ganz andere Dimensionen hat, als er bislang dachte.

Und wenn wir uns das alte Leben von Hiob anschauen, bestand es nur aus Arbeiten und Beten, aber nicht aus Leben. Es war ein recht eindimensionales Leben, aus dem vieles ausgeklammert gewesen sein muss.

All das ist Hiob in seinen Auseinandersetzungen mit seinen Freunden und vor allem mit Gott deutlich geworden. Und auch das macht deutlich, wie wichtig es ist, nicht zu allem, was Gott sagt „Ja und Amen“ zu sagen, sondern es auch verstehen zu wollen. Hiob hat mit Gott gerungen. Auch hierin ist ihm Luther wieder ähnlich.

Der letzte Satz im Hiob Buch ist für mich einer der schönsten Sätze der ganzen Bibel:

Hiob starb alt und lebenssatt.

Hiob 42, 21

Ist es nicht das, was sich jeder von uns wünscht?

Und vollkommen zu Recht fragen Sie sich jetzt nach dieser Hiob-Predigt: Und was hat das nun mit dem eigentlichen Predigttext zu tun?

Man kann Gott nicht allein mit Arbeit dienen,
sondern auch mit Feiern und Ruhen.
Martin Luther

Liegt das nicht auf der Hand? – Ich habe vorhin gesagt, dass in diesem Satz auch ein wenig Schöpfungsgeschichte durchschimmert und ich noch einmal darauf zurückkommen würde. Das tue ich jetzt.

Erinnern Sie sich, wie der entscheidende Satz am Ende der Schöpfung in Genesis 2, 2 lautet?

Und so vollendete Gott am siebenten Tage seine Werke, die er machte, und ruhte am siebenten Tage von allen seinen Werken, die er gemacht hatte.

Sechs Tage hat Gott im Stück gearbeitet und am siebenten Tag hat er sich von der Arbeit ausgeruht. Gott hat es uns also vorgemacht. Zum Arbeiten gehört auch das Ausruhen, das Genießen am Ergebnis der Arbeit, das Kraftschöpfen für das nächste Werk.

Und genau das scheint Hiob in seinem ersten Leben nicht gelebt zu haben.

Indem ich ruhe und das Geschaffene genieße, mich über das mit Gottes Hilfe Geschaffene freue und feiere, danke und diene ich Gott.

Und genau das hat Luther so treffend erkannt. Im Feiern erkenne ich die Schönheit des Lebens, das Gott mir geschenkt hat.

Die Freude gehört einfach dazu, weil die Freude Ausdruck der Gnade Gottes ist, die wir durch ihn erfahren haben. Und wenn wir heute miteinander das Abendmahl feiern, ist das auch ein Fest der Freude, weil wir uns mit diesem Mahl daran erinnern, dass uns Gott – genau wie Hiob – ein zweites Leben geschenkt hat, in dem alles wissen, um die Chance zu haben, lebenssatt zu sterben. Und das gelingt nur, wenn uns der Mix gelingt, den Luther in seiner Tischrede mit eben diesen Worten zusammengefasst hat:

Man kann Gott nicht allein mit Arbeit dienen,
sondern auch mit Feiern und Ruhen.
Martin Luther

Amen!!!

Predigt am Drittletzten Sonntag des Kirchenjahres 12. November 2017 im Rahmen der Predigtreihe „Der Reformation aufs Maul geschaut“ in der Königin-Luise-Gedächtniskirche.