Pfr. Martin Dubberke

Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein

Gott erlöst sein Volk
Und nun spricht der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, daß dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen. Denn ich bin der HERR, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland.

Ich habe Ägypten für dich als Lösegeld gegeben, Kusch und Seba an deiner Statt, weil du in meinen Augen so wertgeachtet und auch herrlich bist und weil ich dich liebhabe. Ich gebe Menschen an deiner Statt und Völker für dein Leben. So fürchte dich nun nicht, denn ich bin bei dir. Ich will vom Osten deine Kinder bringen und dich vom Westen her sammeln, ich will sagen zum Norden: Gib her! und zum Süden: Halte nicht zurück! Bring her meine Söhne von ferne und meine Töchter vom Ende der Erde, alle, die mit meinem Namen genannt sind, die ich zu meiner Ehre geschaffen und zubereitet und gemacht habe. (Jesaja 43, 1-7)

Liebe Gemeinde,

das sogenannte Proprium – also übergeordnete Thema – dieses Gottesdienstes ist die Taufe. Sie haben es am Wochenlied gehört „Ich bin getauft auf deinen Namen“ und sie werden es geahnt haben, als Sie im Predigttext folgenden Satz gehört haben: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“

„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ – Ein Vers, der in vielen Taufurkunden steht… auch in meiner. Mein Vater hat ihn damals zusammen mit einem Vers aus dem neuen Testament ausgesucht. Viele haben sich damals gewundert. Dass mich mein Vater damals hat taufen lassen, denn er selbst galt nicht als besonders kirchennah. Aber er antwortete in diesem Fall: „Kann ich nicht wissen, ob mein Sohn nicht eines Tages Pfarrer werden will?“ – Welch eine Ironie des Schicksals. Ich wurde es schließlich. Warum aber erzähle ich diese doch recht private Geschichte? Mein Vater wollte für uns damals keine Optionen ausschließen, auch nicht die, einer anderen Meinung oder Auffassung als er zu sein. Wir sollten herausfinden, was für uns gut und unser Leben bestimmend sein sollte. Um das zu wissen, musste man in der Erziehung auch mit der Frage der Religion konfrontiert werden. Das Ziel war, das eigene Kind zur vollen Reife und damit Entscheidungsfähigkeit und somit Lebensfähigkeit zu bringen und dafür übernahm mein glaubenskritischer Vater zusammen mit meiner Mutter vor Gott am 28. Januar 1965 – dem Geburtstag meiner Schwester – die Pflicht und Verantwortung, als er „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ als Taufspruch für mich und für sich als Auftrag ausgesucht hat, denn ein Taufspruch ist nicht nur ein Motto, eine lebensbegleitende Weisheit für den Täufling, sondern auch immer eine Auftragsübernahme für die Eltern und Paten.

„Du bist mein!“ darf dabei niemals als Possessivum – also Besitzanzeige – verstanden werden, sondern als Ausdruck der einmal übernommenen Verantwortung.

Doch wann und worin gründet sich diese Verantwortung? Die Verantwortung beginnt im Moment der Erschaffung. „…der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, …“ – in diesem Moment hat Gott die Verantwortung für seine Schöpfung und damit Geschöpfe übernommen und sich als ein treusorgender Vater erwiesen, der nichts anderes beabsichtigt hat, als seine Welt mündig werden zu lassen, damit er sich – wie jeder andere Vater – irgendwann einmal zurücklehnen kann um wie am Anfang aller Schöpfung sagen zu können: „Und siehe, alles ward gut.“

Ein solches Mündigwerden ist für den Aufwachsenden verbunden mit dem Lernen der Verantwortungsübernahme für sein Handeln. Die Verantwortung für alles, was in dieser Welt schlecht gelaufen ist oder schlecht läuft, Gott zuzuweisen, ist damit das Leugnen der eigenen Verantwortung, das Leugnen der Verantwortung als Individuum und als Gemeinschaft. Ich habe für einen Krieg nicht Gott verantwortlich zu machen, denn auch wenn dieser Krieg vielleicht als heilig bezeichnet werden sollte, so ist er von Menschenhand. Er ist von Menschen getroffene Entscheidung.

Wenn nach heftigen Eingriffen in die Natur, die Begradigung von Flußläufen, diese plötzlich über die Ufer treten ist das kein Werk Gottes, sondern Menschenwerk.

Wenn sich unser Klima erwärmt und ich kann mich nicht an solche Temperaturen und drückenden Verhältnissen – wie wir sie heute haben – in meiner Kindheit vor gut dreißig Jahren erinnern. Auch das ist Menschenwerk. Wenn man nun der Christ George W. Bush, der von konservativen christlichen Lobbyisten beraten wird, sich unter Hinweis auch die eigene Wirtschaft dem Kyoto-Abkommen verweigert, dann muß an dieser Stelle die Frage gestellt werden, wem gegenüber er sich wirklich verantwortlich fühlt. Sieht sich ein Menschen, der sich bewusst gegen die Schöpfung entscheidet, noch seinem Mitgeschöpf gegenüber verantwortlich und damit auch Gott? Ist er seinem Volk gegenüber nicht langfristig verantwortlich? Was nützt seinem Volk Kommerz, Wirtschaft, wenn es keine Welt mehr gibt?

Der Christ George W. Bush betont immer wieder – wie jeder Amerikaner – seine Weltverantwortung. Er wird auf diese Weise seiner Verantwortung nicht gerecht. Weder vor seinem Volk, noch vor der Welt und am allerwenigsten vor Gott.

Bush und die Welt hören die Warnungen der Propheten. Diese Propheten sind Wissenschaftler, Meteorologen, Wirtschaftswissenschaftler, Ethiker, Klimaforscher und und und. Und sie haben für den modernen Menschen den Vorteil: Sie sind nicht offiziell von Gott gesandt. Sie haben Fakten. Ganz anders als solche Propheten wie Jesaja, die nicht mit Fakten, sondern mit ihrem Auftrag aufwarten mussten. Aber auch damals hat niemand auf die Propheten und deren Analysen gehört.

Blicken wir ein wenig in die Geschichte des Predigtextes. Der Text ist Teil des sogenannten Deuterojesaja. Israel war im babylonischen Exil. Auch, weil es nicht auf die Analysen und Warnungen Jesajas, des Fachmanns, gehört haben. Es war also eine klare Konsequenz mit dem Nichthören wollen verbunden. Das war am Anfang tragisch, dramatisch, mit Tod und Trennung, mit Abschied von der Heimat verbunden. Wunden, die tief liegen. So, wie wir es heute immer noch bei den Heimatvertriebenen-Verbänden erleben dürfen, was auch heute immer noch die Emotionen hochkochen lässt, wenn sie an die kollektive Verantwortung erinnert werden, die in der deutschen Geschichte immer immanent ist und bleiben wird.

Und irgendwann hatten sich die Israeliten in Babylon eingerichtet, sich in der Fremde über Generationen hinweg etabliert, lamentierten vielleicht noch an besonderen Tagen über die verlorene Heimat. Doch in dem Moment, als sich die Rückkehr in die Heimat als Möglichkeit abzeichnet, werden sie zurückhaltend. Weggehen und wieder von vorne anfangen? Nein, das muß nicht unbedingt sein.

Mich hat in diesem Zusammenhang die Äußerung eines alten Mannes am Rande dieses Treffens der Heimatvertriebenen beeindruckt, denn er sprach aus, was klar auch der Hand liegt: „Jeder von uns hat heute in der Zeit eines offenen Europas die Möglichkeit, sich in Polen oder Tschechien oder wo auch immer in seiner alten Heimat niederzulassen. Er muß es nur wollen.“

Dieser Mann hat die Botschaft des Predigttextes erkannt. So wie Gott „nach dem notwendigen Gericht des Exils neues Heil für Israel schafft, das so herrlich sein wird, dass auch fremde Völker davon angezogen und in das Heil hineingenommen werden. Jahwe wird sein Volk in einem neuen, den ersten weit überbietenden Exodus aus Babylonien wieder zu sich nach Jerusalem führen und dort als König herrschen.“[1]

Es geht nicht um die Herrschaft des Menschen, die Herrschaft einer Nation, sondern um die Herrschaft Gottes und die Anerkenntnis dieser. Es geht alles von Gott aus, der uns geschaffen und gemacht hat, der uns bei unserem Namen gerufen hat, jeden und jede von uns.

Das ist etwas, was viele gerne und nur allzu gerne vergessen, denn es ist leicht und lustvoll, auf die Kirche zu schimpfen, aber ist eine Herausforderung als Geschöpf Gottes zu leben, denn damit ist mehr Verantwortung verbunden, als viele so gerne glauben.

Und so möchte ich nicht ohne Hintergedanken mit dem Evangelium für diesen Gottesdienst meine Predigt beschließen:

Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte. Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten. Und Jesus trat herzu und sprach zu ihnen: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. (Matthäus 28, 16-20)


Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein

Predigt am 6. Sonntag nach Trinitatis

21. Juli 2001 – 6. Sonntag nach Trinitatis

Evangelische Silas-Gemeinde zu Berlin-Schöneberg

Text: Jesaja 43, 1-7 (Reihe V)