Pfr. Martin Dubberke

Dieses Geschlecht wird nicht vergehen

Sind wir dem Untergang geweiht? Sind wir in unserer Zeit dem Kommen des Menschensohnes näher als in jeder anderen Zeit zuvor? Im Evangelium für heute, das auch gleichzeitig der Predigttext ist, heißt es:

Und es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden wird den Völkern bange sein, und sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres, und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde; denn die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen.

Der tägliche Blick in die Nachrichten, der tägliche Blick in die Zeitungen lässt immer öfter die Frage in mir hochkommen: Wie lange noch? Sind das die Zeichen, von denen Lukas spricht? Mir wird bange um Gottes Schöpfung und um uns, wenn ich die Bilder vor der galizischen Küste sehe. Wie die Menschen dort verzweifelt kämpfen. Mir wird bange, wenn ich die Zahlen der Arbeitslosen in Deutschland sehe. Immer mehr Menschen leben nicht mehr von ihrer Hände Arbeit, sondern von der Gemeinschaft.

Die BZ hat am Donnerstag für Berlin die erschreckende Zahl von 290.158 arbeitslosen Berlinerinnen und Berlinern getitelt. Dazu kommen noch all diejenigen, die vom Sozialamt lesen müssen, so daß wir wahrscheinlich spielend auf die Zahl von 500.000 Menschen kommen werden, die in Berlin nicht von ihrer Hände arbeit leben können. In Furcht und Erwartung schaue ich auf das Ende dieses Jahres und warte darauf, daß der Krieg gegen den Irak beginnt. Es ist nur die Frage, ob kurz vor Weihnachten oder um den Jahreswechsel.

Ich bin bange darüber, daß ich erleben werde, wie die Kräfte des Himmels ins Wanken geraten. Ich muß nur die Überschriften in einigen deutschen Tageszeitungen von heute lesen:

Die Welt

Schily: Terrorgefahr so groß wie nie seit dem 11. September

Blutige Nacht im Flüchtlingslager

Berliner Morgenpost

Alltägliche Gewalt

UN-Mitarbeiter in Gaza getötet

Süddeutsche Zeitung

Aus dem Wrack tritt Öl aus

Kassenärzte: Showdown im Gesundheitswesen

Frankfurter Rundschau

Die Waffenlobby frohlockt über explodierende Kosten für Kontrollen

TAZ

Tote bei McDonalds

Mir scheint, eine Ordnung zusammenzubrechen. Und ich erlebe mich dabei, wie ich denke: „War früher nicht alles besser?“ – Es war nicht wirklich besser. Da war Korea. Da war Vietnam. Da war der Kalte Krieg u.v.a.m. Es war nicht wirklich besser, aber es war weiter weg von uns. Nach dem letzten Krieg in Deutschland, dem Holocaust schienen wir auf einem Weg in eine bessere Welt zu sein, der 1989 mit dem Ende des Kalten Krieges in einen anhaltenden Friedensweg übergehen sollte. Aber es schien nur so.

Und ich habe den Eindruck gewonnen, daß wir Menschen es nicht aushalten können, wenn es uns gut geht. Daß wir alles zerstören müssen, was schön und erhaben ist.

Mir wird bange und ich blicke mit Furcht in die Zukunft. Ich erlebe, wie ich in meinem Leben immer kürzer plane und fühle. Doch dann liegt wieder ein Predigttext vor mir und ich sehe Zukunft, sehe, wie sich Perspektiven eröffnen.

Gerhard Borné schreibt im Deutschen Pfarrerblatt (10.2002):

Zukunft steht für uns im Zeichen Jesus. Er wird das letzte Wort behalten. Das ist unser Glaube.»Sich nicht zu raten wissen, vor dem Tosen und Wogen des Meeres« … Wenn wir ehrlich sind, können wir uns doch auch nicht so sicher in unsrer Welt fühlen. Seit dem »11. September« sowieso nicht, und die Überschwemmungen in diesem Sommer nicht nur in Deutschland lassen uns erahnen, was an Katastrophen in Zukunft bevorsteht, unter anderem durch menschengemachte Klimaveränderungen. Umdenken, anders handeln ist längst nötig.

Welche Hoffnung haben wir angesichts der anstehenden Katastrophen? Nur die eine, die uns Jesus zugesagt hat: Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte vergehen nicht. (Lukas 21, 35)

Im Zentrum steht also das Wort Jesu. Dieses ist unvergänglich. Dieses ist die Sicherheit, die wir in unserem Leben haben. Dieses Wort leitet uns, ist Richtschnur all unseren Handelns. Ich weiß, daß diese Welt einmal vergehen wird. Das ist so. Auch Menschen sterben. Alles in Gottes Schöpfung kommt und geht, weil das der Lauf der Schöpfung ist. Ich weiß aber auch, daß Menschen vor ihrer Zeit sterben, weil sie getötet, gemordet, gefoltert werden. Und so ist es auch mit unserer Welt. Sie droht vor ihrer Zeit zu vergehen, weil wir Menschen sie mit Kriegen und Umweltkatastrophen überziehen. Diese Katastrophen sind nicht gottgewollt und gottgemacht, sondern menschengemacht, geboren aus dem Egoismus.

Doch wie komme ich, wie kommen wir aus dieser – ja – Falle heraus? Ein erster Schritt könnte sein, die eigene Coolness aufzugeben und die eigene Angst beim Namen zu nennen, sie offen auszusprechen.

Wenn wir unsere Angst offen aussprechen, hat sie einen Teil ihrer Macht über uns verloren. Mit der Sicherheit des Wortes Gottes, können, ja müssen wir die Dinge beim Namen nennen. Dann müssen wir auf die Straße gehen. Dann müssen wir mit unseren Gebeten und unserem Handeln die Verantwortlichen, die Regierenden in ihre Schranken verweisen. Sie sind von uns Beauftragte Stellvertreter. Sie sind für uns da und nicht wir für sie. Sie sind unsere obersten Dienstleister, unsere Diener. Sie dienen und haben uns zu dienen und nicht wir ihnen.

Wenn wir die Dinge dann beim Namen nennen und man uns den Mund verbietet, sei es nun ein Präsident, ein Kanzler oder Bischof, dann wissen wir, wie groß seine Angst sein muß, wie sehr er um seine Machtlosigkeit wissen muß, die Dinge noch drehen und wenden zu können. Dann braucht er entweder unsere Hilfe oder unser klares Wort, etwas zu tun, was er kann.

Wie lautete der Wahlspruch der drei Musketiere? Einer für alle und alle für einen. Wir alle sind ein Leib und dieser Leib hat viele Glieder. Wenn ein Glied nicht funktioniert, leidet der ganze Leib. Unser Leib leidet, weil viele seiner Glieder nicht funktionieren. Jedes Glied glaubt, sein eigenes Ding machen zu können, sein eigener Leib zu sein. Doch dem ist nicht so. Ganz im Gegenteil. Wenn sich die Glieder eines Leibes so verhalten wie sie sich jetzt verhalten, dann massakriert sich dieser Leib allmählich selber. Das aber ist nicht das, wofür Jesus gestorben ist.

Jesus hat uns das Gleichnis vom Feigenbaum erzählt:

Seht den Feigenbaum und alle Bäume an: wenn sie jetzt ausschlagen und ihr seht es, so wißt ihr selber, daß jetzt der Sommer nahe ist. So auch ihr: wenn ihr seht, daß dies alles geschieht, so wißt, daß das Reich Gottes nahe ist. Wahrlich, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis es alles geschieht.

Es gibt für alles ein Zeichen. Laßt uns die Zeichen der Zeit erkennen und mit dem Worte Gottes richtig deuten und dann mit Hilfe des Wortes Gottes richtig handeln, damit wir noch lange singen können:

Die Nacht ist vorgedrungen,

der Tag ist nicht mehr fern!

So sei nun Lob gesungen

dem hellen Morgenstern!

Auch wer zur Nacht geweinet,

der stimme froh mit ein.

Der Morgenstern bescheinet

auch deine Angst und Pein.

Amen.

Gottesdienst am Sonnabend vor dem 2. Advent 2002
7. Dezember 2002
Silas-Kirche zu Berlin-Schöneberg
Predigttext: Lukas 21, 25-33
Perikopenreihe: VI