Pfr. Martin Dubberke

Die Sache mit den VIPs

„Und dem Engel der Gemeinde in Sardes schreibe: Das sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne: Ich kenne deine Werke: Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot. Werde wach und stärke das andre, das sterben will, denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen befunden vor meinem Gott. So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast, und halte es fest und tue Buße! Wenn du aber nicht wachen wirst, werde ich kommen wie ein Dieb und du wirst nicht wissen, zu welcher Stunde ich über dich kommen werde. Aber du hast einige in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben; die werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind’s wert.

Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens, und ich will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt! “

Offenbarung 3, 1-6

 

Es ist dritter Advent. Ich habe einen Predigttext aus der Offenbarung des Johannes, der mich auf den ersten Blick so gar nicht adventlich stimmt.

Der Text klingt so sehr nach Gericht. Ich zitiere nur einen Satz: „und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens…“ Das heißt doch nur, dass auch solche gibt, die mit dem großen Tintenkiller aus der Liste des Lebens entfernt werden.

Das will so gar nicht zu meiner kleinen, stillen, adventlichen Freude passen, wenn ich mittlerweile die dritte Kerze am Adventskranz anzünde.

Dann lese ich noch einmal den Text und mein Augenmerk fällt auf die drei kleinen Worte „und tue Buße“.

„Buße“ – ja, Umkehr, noch einmal über alles nachdenken, Revue passieren lassen. Und eine Bilanz ziehen. Am dritten Advent ist das Kirchenjahr schon in der dritten Woche, während im normalen Kalender das Jahr in der drittletzten Woche ist. Ich finde, das beschreibt den besonderen Reiz der Adventszeit. Auf der einen Seite hat schon etwas Neues begonnen und auf der anderen Seite bin ich noch mit einem Fuß im alten Jahr. Ich habe einen Vorgeschmack auf das, was kommt und mit der Geburt Jesu zu Weihnachten beginnt und auf der anderen Seite mache ich meine Liste, was ich im neuen Jahr anders machen möchte.

Und so lädt die Jahreswende auch immer  zu einer Lebenswende aus Einsicht ein, also zur Buße.

Und genau deshalb passt der Predigttext aus der Offenbarung.

Zum einen ist jede Kerze auf dem Adventskranz eine Zeitansage auf dem Weg zur Heiligen Nacht und zum anderen wirft das Licht jeder Kerze einen kleinen Strahl in einen dunklen Winkel meiner Seele, den ich mir nicht so gerne anschaue. Und doch muss ich es von Zeit zu Zeit tun, muss schauen, ob ich noch auf Kurs bin oder eigennützig vom Kurs Gottes abgewichen bin.

Advent ist da eindeutig auch die Ansage: „Werde wach und stärke das andre, das sterben will.“ Was für ein starker Satz!!!

Wie oft machen wir Zugeständnisse an Menschen, Situationen, Verhältnisse und den Zeitgeist? Und mit jedem Zugeständnis bleibt etwas von unserem Glauben, von Gott auf der Strecke.

Hallo??? Hallooo!!!!!

Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!

Das verleitet mich, Ihnen eine Geschichte zu erzählen, die mir dieser Tage eine alte Freundin erzählt hat.

Sie war in der „Bar jeder Vernunft“ zu einem Konzert von Klaus Hoffmann gegangen und das Konzert war zur gleichen Zeit vorbei, wie nebenan im Haus der Berliner Festspiele – besser bekannt unter seinem alten Namen – „Freie Volksbühne“. Von der einen Seite wie von der anderen Seite verließen die Menschen das Gelände. Aus der „Bar der Vernunft“ kam ganz normales Publikum und aus der Freien Volksbühne kamen lauter VIPs. Irgendwo am Rand stand ein Mann, der weder zu den VIPs noch zu den Klaus-Hoffmann-Fans gehörte.  Eine Karte für das Hoffmann-Konzert könnte er sich nicht leisten und in den Augen der VIPs ist er kein VIP, der zu solchen Veranstaltungen eine Ehrenkarte bekommen würde.

Er ist ein einfacher Mann, dessen Geld nicht zum Leben reicht, der abends vor den Kulturtempeln der Stadt steht und versucht, den Menschen, die aus einem Konzert oder einer Veranstaltung kommen, die eine oder andere Straßenzeitung zu verkaufen, um sich so etwas für seinen Lebensunterhalt hinzuzuverdienen.

Doch was passierte an jenem Abend auf dem Platz?

Einer jener VIPs ging auf den armen Mann, der da einfach nur wortlos mit seinen Zeitungen im Arm stand und hoffte, sie verkaufen zu können, los, warf ihn zu Boden und trat, als er am Boden lag, noch mit seinen Füßen nach ihm.

Meine alte Freundin ging als einziger Mensch dazwischen und versuchte den VIP davon abzubringen, woraufhin der VIP die Security rief und meinte, meine Freundin hätte ihn tätlich angegriffen und sie möge doch vom Gelände entfernt werden.

Zwei Wachschützer nahmen sich nun meiner alten Freundin an. Sprich sie hielten sie fest und wollten sie vom Gelände – also vom öffentlichen Raum – entfernen, während der VIP, der feige Täter, der sich keiner Schuld bewusst war, in der Menge verschwand.

Meine alte Freundin konnte die Situation aufklären. Sie wurde wieder losgelassen. Aber wenn Sie glauben, dass die Wachschützer nun die Verfolgung aufnahmen, um den Körperverletzer und somit Straftäter seiner gerechten Strafe zuzuführen, haben Sie sich getäuscht.

Meine alte Freundin, kaum von den Wachschützern losgelassen, ging wieder auf den Verkäufer der Straßenzeitung zu, der noch immer auf dem Boden lag, schluchzte und weinte:

„Warum treten die Menschen immer nur so auf mir rum? Ich habe doch niemandem etwas getan. Ich möchte doch nur leben, ein wenig leben. Ich habe doch auch ein Recht auf etwas Glück“

Meine alte Freundin beugte sich zu ihm hinunter und half ihm wieder auf. Und dann fragte sie ihn, was er denn getan hätte, wenn er heute Abend ein wenig Geld verdient hätte.

Da sah er sie an und antwortete: „Dann wäre ich in die Bleibtreustaße ins Ali Baba gegangen und hätte mir dort Bandnudeln mit Sahnesoße gekauft. Die esse ich so gerne.“

Und da sagte meine alte Freundin: „Wissen Sie was, dann gehen wir da jetzt gemeinsam hin und ich lade Sie zu Bandnudeln mit Sahnesoße eine.“

Und so gingen die beiden von der Schaperstraße aus zur Bleibtreustraße, unterhielten sich und gingen miteinander essen. – Eine Portion Bandnudeln mit Sahnesoße kostet im Ali Baba fünf Euro fünfzig. Und sie machte einen Menschen glücklich, weil sich jemand für ihn Zeit nahm, ihn begleitete, für ihn da war.

Am Ende ihres Berichts sagte meine alte Freundin, dass das ihre ganz persönliche Weihnachtsgeschichte gewesen sei.

Ich weiß, ich weiß, es dauert noch neun Tage bis Weihnachten. Aber, weil wir heute schon darüber sprechen. Die Weihnachtsgeschichte lehrt uns, wer die wirklichen VIPs sind. Der Engel des Herrn kam zu den Hirten auf dem Felde und lud sie ein, sich das neugeborene Jesus-Kind anzuschauen. Die Hirten waren damals die Ärmsten der Ärmsten. Sie wurden fast wie Aussätzige behandelt. Und genau aus diesem Grund hat Gott seine Engel zur Verkündigung der Weihnachtsbotschaft nicht zur den Reichen und Schönen geschickt, sondern zu den Ärmsten, um deutlich zu machen, was für ihn ein VIP ist.

Ich kann nicht für Gott reden, aber ich könnte mir vorstellen, was Gott dem armen Mann an dem Abend im Ali Baba ins Ohr geflüstert haben könnte: Du bist ein VIP – eine very important person – , denn ich habe dich geschaffen und damit bist Du mir wichtig, very wichtig. Und darum bekommst Du von mir eine Ehrenkarte für das Reich der Himmel. Und darum sage ich: Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt.

Und das bedeutet in letzter Konsequenz, dass auch der VIP, der den armen Mann zu Boden geworfen und nach ihm getreten hat, ein Geschöpf Gottes ist. Sein Verhalten ist in keiner Weise tolerierbar und wir wissen nicht, was noch alles passiert wäre, wenn meine alte Freundin nicht beherzt dazwischen gegangen wäre. Deshalb lasst uns für Ihn beten, dass ihm bewusst wird, dass er eine Grenze überschritten hat, damit er Buße tun kann, umkehren kann, und den VIPs Gottes wieder mit Achtung und Nächstenliebe begegnen kann.

Ihr wisst ja, was Jesus mal gesagt hat: „Wer unter Euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ Und sie wissen auch, was damals passiert ist. Die Steine blieben liegen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und uns allen eine besinnliche Adventszeit, in der wir unsere Sinne wieder schärfen und zuweilen auch wieder zu Sinnen kommen.

Amen.

 

Abkündigungen

Ach ja, liebe Schwestern und Brüder, mir fällt gerade noch etwas ein. Ich hätte da noch eine Karte für ein wunderbares Konzert heute um 16:00 Uhr in der Philharmonie mit dem Rundfunk Sinfonieorchester mit Mozart und Bruckner. Ein ganz wunderbares Konzert, zu dem ich leider nicht selbst gehen kann. Ich wäre daher bereit, diese Karte hier in der Gemeinde zu verschenken.

Ich würde nur eine einzige Bedingung daran knüpfen. Die Karte kostet 20,00 €. Sie bekämen von mir also ein Geschenk im Wert von 20,00 Euro.

Und hier nun meine Bedingung: Ich gebe Ihnen die Karte, und wer die Karte nimmt, gibt 10,00 € einem Menschen, der auf der Straße um Geld bittet, sei es mit einem Hut oder einem Plastikbecher in der S-Bahn. Sei es ein Verkäufer einer Straßenzeitung oder ein Straßenmusiker vor der Philharmonie.

Ich gebe Ihnen etwas Gutes und Sie geben das Gute weiter.

Wem ich die Karten gebe, dem vertraue ich, dass er die Bedingung einhält. Ich kann nicht kontrollieren, ob Sie sich daran halten, aber der liebe Gott sieht, wie wir wissen, alles.  Und was die Konsequenzen betrifft, haben wir das ja gerade sehr plastisch im Predigttext hören dürfen.

Also, wer die Karte haben möchte, komme bitte nach dem Gottesdienst auf mich zu.

 

Und der Friede Gottes,

der höher ist als alle Vernunft,

bewahre Eure Herzen und Sinne

in Christus Jesus. Amen.

 

Gehalten am 15. Dezember 2013 – 3. Advent – in der Königin-Luise-Gedächtnis-Kirche