Pfr. Martin Dubberke

Die Perspektive der Anfechtung

 

Lebendige Hoffnung

Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten, zu einem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe, das aufbewahrt wird im Himmel für euch, die ihr aus Gottes Macht durch den Glauben bewahrt werdet zur Seligkeit, die bereit ist, daß sie offenbar werde zu der letzten Zeit.Dann werdet ihr euch freuen, die ihr jetzt eine kleine Zeit, wenn es sein soll, traurig seid in mancherlei Anfechtungen, damit euer Glaube als echt und viel kostbarer befunden werde als das vergängliche Gold, das durchs Feuer geläutert wird, zu Lob, Preis und Ehre, wenn offenbart wird Jesus Christus.

Ihn habt ihr nicht gesehen und habt ihn doch lieb; und nun glaubt ihr an ihn, obwohl ihr ihn nicht seht; ihr werdet euch aber freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude, wenn ihr das Ziel eures Glaubens erlangt, nämlich der Seelen Seligkeit. (1. Petrus 1,3-9)

Ach, Ihr Lieben, eigentlich ein wunderbarer Text. Aber um darüber zu predigen, ein auf den ersten Blick nicht so dankbarer Text. So geht es mir immer, wenn die Botschaft eigentlich schon so klar auf dem Teller liegt.  Da frage ich mich immer, was ich noch darüber sagen soll, ohne den Text zu verwässern.

Auf der anderen Seite hat dieser Brief aber auch etwas besonders reizvolles. Denn es gibt Hinweise darauf, daß der erste Brief des Petrus nur von Petrus in Auftrag gegeben worden sei und der eigentliche Schreiber eingewisser Silvanus gewesen sein soll. Also, der Namenspatron unserer kleinen Kirche am Crelle-Markt.

Und plötzlich entsteht noch einmal eine andere Nähe von mir zum Text. Ich fühle mich mit diesem Wissen direkter angesprochen. Und lasse die Verse noch einmal auf mich wirken.

Und plötzlich erinnere ich mich wieder an den Zusammenhang, in dem der Brief entstanden ist. Es war zu Beginn der ersten Leidenszeit der Christenheit. Der Brief fast auf einfache Weise die Gedanken zusammen, die für das damalige Christentum zur Gestaltung ihres geistlichen Lebens ausschlaggebend waren. Er ist gewissermaßen eine mutmachende Wegzehrung.

Auch wenn die Welt furchtbar sein sollte, so gibt es da etwas, das uns Orientierung und Halt und Zuversicht, ja Stärke geben kann. Der Autor macht uns Mut diese Durststrecken mit Hilfe des Glaubens zu überstehen. Er relativiert die Dauer der Traurigkeit und Anfechtung vor dem Hintergrund der Ewigkeit. Das klingt schön, aber ist auch eine wirkliche Herausforderung. Kein Leid dauert länger als das, in dem ich mich gerade befinde. Es scheint, als wäre es ewig. Gleichzeitig mache ich aber auch immer wieder die Erfahrung, daß eine überstandene Phase der Traurigkeit und Anfechtung, in der Erinnerung auf eine kurze Zeit schrumpft.

Aber wie sieht es nun mit dem Glauben aus? Wie tragfähig ist er? Wie sehr mache ich mich im Glauben von der Situation abhängig, in der ich mich befinde? Ich glaube an jemanden, den ich nicht sehen kann, den ich nicht anfassen kann. Keiner von uns hatte das Glück, wie der ungläubige Thomas die Wunden Jesu zu berühren. Wir müssen angesichts des Krieges im Irak, des Terrors, der Arbeitslosigkeit, und was sonst noch diese Liste lang macht, uns auf unseren Glauben verlassen, daß es doch einen Gott gibt, auch wenn es im Augenblick tagtäglich so aussieht, als hätte er uns verlassen.

Aber ist es nicht eher so, daß wir ihn verlassen haben, weil wir zu viel wollen? Wir wollen das Gold in der Gegenwart. Das kann ich verstehen. Auch ich hätte gerne mehr Geld, um alle meine Wünsche, die ich mir mit Geld erfüllen könnte, schneller wahr werden zu lassen. Und dann schaue ich mir an, wie viel Lebenszeit ich noch haben könnte. Ich werde jetzt bald vierzig und nach der Statistik habe ich dann noch 34 Jahre vor mir. Und die Zeit rast. Alles scheint ein Haschen nach Wind. 34 Jahre, mit ein wenig Glück vielleicht auch vierzig Jahre. Was ist das angesichts der Ewigkeit, die mich erwartet? Das irdische Leben ist die kürzeste Episode meines Seins. Und doch merke ich, wie wichtig mir dieses irdische Leben ist.

Manchmal blicke ich so in die Ferne und stelle mir die Frage: Gibt es überhaupt einen Gott? Ist nicht all mein Glauben nur Humbug? Und dann merke ich, daß es da einen Widerstand in mir gibt, der sagt: Nein, es ist unvorstellbar, daß es keinen Gott geben könnte.

Mich hat in dieser Woche ein Artikel über den früheren Generalsuperintendenten von Cottbus, Rolf Wischnath, sehr beeindruckt. Wischnath leidet an schweren Depressionen. Eine Krankheit, die die Seele immer wieder in bleierne Dunkelheit schickt. Eine teuflische Krankheit, die einem das Gefühl gibt, nie wieder ins Licht zu kommen. Eine tödliche Krankheit. Auch in meinem Kreis habe ich es erlebt, daß Menschen daran gestorben sind. Sie haben sich entschieden, das Leiden selbst zu beenden.

Rolf Wischnath, den ich als tiefgläubigen Menschen kennengelernt habe, sagt in dem Interview, daß sein Glaube in der Wüste brüchig geworden sei, er in dieser Wüste Gottes Nähe vermisst habe. Am Ende des Interviews relativiert er das, indem er sagt, daß Gott seiner Frau und seinen Kindern die Kraft gegeben habe, diesen Weg mit ihm auszuhalten.

Dunkelheiten verändern die Perspektive, wenn ich wieder ans Licht komme. Ich sehe mit einem Male Dinge in einem anderen Licht, nehme sie anders wahr oder nehme mit einem Male etwas wahr, das ich vorher nie gesehen habe.

Warum erzähle ich das? Weil ich selbst auch immer wieder diese Erfahrung mache. Nämlich die, das eigene Leben vor dem Hintergrund des Glaubens zu deuten.

Ich fange an, mich in meinem Tun, nicht von Menschen abhängig zu machen, sondern von Gott. Das heißt auch, daß ich Menschen gegenüber, die mir feindlich gesonnen sind, die grundsätzliche Pflicht habe, im Guttun zu beharren und sie nicht reflexartig  zu bekämpfen.

Nur dann habe ich die Chance zu erkennen, was mir mit Ihrer Feindseligkeit gesagt werden soll. Ihr besonnen zu begegnen und nicht im blinden Eifer, bedeutet, daß ich mich in meinem Handeln wirklich auf Gott einlasse und mich nicht von Menschen abhängig mache.

In der Anfechtung erst wird sich die Stärke des Glaubens erweisen. Ob ich den Verhältnissen, den Menschen oder Gott die Macht über mich gebe. Wenn ich mich für Gott entscheide, dann habe ich die Chance, die Zeit der Traurigkeit zu überleben, zu überstehen und die Anfechtung als Gewinn als Läuterung zu erleben, die mir neue Perspektiven eröffnet.

Ich kann zwar das, was ich glaube nicht anfassen, wie ich Gold anfassen kann. Ich kann, was ich glaube, auch nicht zur Bank tragen oder mir ein Haus davon kaufen, aber ich kann mein Haus, mein Leben darauf aufbauen und hoffen, daß ich damit meinen Teil dazu beitrage, die Feindseligkeit in dieser Welt zu mindern.

Dies kann ich aber nur, wenn ich grundsätzlich auf Gott schaue und mich in meinem Tun nicht von Menschen abhängig mache. Und genau das ist unser aller täglich Anfechtung, die wir zu bestehen haben.

Und jeder von uns weiß, wie herrlich die Freude ist, wenn es uns gelungen ist. Wenn wir diese Freude erleben, ist’s als würden wir unsre Hand auf die Wundmale Jesu legen. Dann können wir nicht anders als gläubig sein.

Amen.

Martin Dubberke

Die Perspektive der Anfechtung

Gottesdienst am Sonnabend vor Quasimodigeniti 2004

17. April 2004

Silas-Kirche zu Berlin-Schöneberg

Predigttext: 1. Petrus 1, 3-9

Perikopenreihe: II