Pfr. Martin Dubberke
Passionsnotiz Nr. 42 | Bild: Martin Dubberke

Die Opfer mahnen uns

Ja, ich weiß, dass ich mir schon mal vor ein paar Tagen Gedanken über das Lied „Korn, das in die Erde“ gemacht habe, aber als ich heute Morgen aufwachte, hatte ich die Melodie und die erste Strophe im Kopf:

Korn, das in die Erde, in den Tod versinkt,
Keim, der in den Acker, in den Morgen dringt.
Liebe lebt auf, die längst erstorben schien:
Liebe wächst wie Weizen und ihr Halm ist grün.
Jürgen Henkys

Warum nur geht mir das Lied nicht aus dem Kopf, aus dem inneren Ohr? Weil die Melodie so eingängig ist, so viel Hoffnung ausstrahlt? Es ist kein Lied, dass ich wie „Christ ist erstanden“ oder „O, du fröhliche“ lautstark nach außen singen kann, dass jeder die Freude im weiten Land hören kann. Die Melodie ist ganz nach innen gerichtet. Eigentlich ist es ein Lied, dass ich lieber für mich alleine singe, als in einer Gruppe, obwohl, es hat etwas von einem Psalm, den man gemeinsam spricht.

Heute ist Dienstag, noch drei Tage bis Karfreitag. Das stimmt nachdenklich in Tagen, in denen unschuldige Menschen, Erwachsene wie Kinder, ganze Familien durch Giftgas ausgelöscht werden, wo Raketen durch die Gegend geschossen werden, es nur um Macht und nicht wirklich um Frieden geht, wenn ich es mir recht überlege.

Ich weiß nicht, an wie vielen Kriegerdenkmälern ich in meinem Leben vorbeigekommen bin und auf vielen davon steht: Die Opfer mahnen uns.

„Die Opfer mahnen uns.“ – Aber die Mahnung scheint nicht stark, nicht bindend genug zu sein, dass Menschen, Machtmenschen auch über Leichen gehen, um ihre Macht zu behalten. Und am Ende wird immer wieder deutlich, wie ängstlich diese Potentaten sind. Hätten Sie keine Angst, so einfach scheint die Formel zu sein, müssten sie sich nicht so sehr an der Macht festkrallen.

Korn, das in die Erde, in den Tod versinkt.

Jesus ist ein Opfer unseres Unvermögens, Liebe ohne Wenn und Aber zu leben. Sein Tod, den er für uns am Kreuz erlitten hat, ist auch eine Mahnung, die mit einem Auftrag und einer Hoffnung verbunden ist.

Kurz vor seinem Tod hat Jesus seine Jünger damit beauftragt, seine Botschaft, sein Evangelium in die Welt zu tragen, Menschen einzuladen, Liebe zu wagen. Wer Liebe wagt, ist viel mutiger als ein Mensch, der den Befehl gibt, Menschen zu töten, weil Liebe verletzbar macht, weil Liebe auch Zurückweisung bedeuten kann, weil Liebe auch heißt, es auszuhalten, nicht wiedergeliebt zu werden und trotzdem nicht von der Liebe zu lassen.

Keim, der in den Acker, in den Morgen dringt.

Der Keim ist unsere Hoffnung, die zart und doch stark in den Morgen dringt. Und auch, wenn es Zeiten gibt, in denen wir glauben, dass die Liebe zwischen den Menschen erstorben ist, so scheint es doch nur so. Die Liebe ist da und die Liebe wächst wie Weizen und bringt Frucht. Aus dieser Frucht, wird auch das Brot des Lebens, das Brot, das Jesus mit seinen Jünger gebrochen hat und das wir heute immer noch mit ihm in unserer Runde brechen.

Das Lied, das eine solche Innerlichkeit hat, ist kein Lied, das zum Sitzen einlädt. Es ist eine Melodie, die einen zum Gehen, zum Aufbrechen auffordert, in die Welt zu gehen und Liebe zu wagen.

Passionsnotiz Nr. 42 vom 11. April 2017