Pfr. Martin Dubberke
Die Heilige Familie im Krippenfenster der Johanneskirche zu Partenkirchen | Bild: Martin Dubberke

Die heilsame Gnade Gottes

Na, wie geht es Euch, liebe Geschwister? Wie war die Bescherung unterm Tannenbaum? Haben die Wienerle und der Kartoffelsalat geschmeckt? Habt Ihr miteinander gesungen? Habt ihr im goldenen Glanz der Kerzen am Weihnachtsbaum die Gnade Gottes gespürt?

Ich weiß manchmal gar nicht so recht, wo eigentlich diese ganze Romantik und dieser Weihnachtskitsch seinen Ursprung hat.  Und ich gebe zu, ich liebe jeden Weihnachtsfilm. Ich sage nur „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“. Ich liebe all die kitschigen und romantischen Weihnachtsfilme, die doch eigentlich nichts anderes als Liebesfilme sind, die ausgerechnet zu Weihnachten spielen. Und ich gebe zu, dass mir manches Mal die eine oder andere Träne der Rührung über meine Wangen kullert, wenn sich dann die Paare finden und alles mit der schönsten Weihnachtsmusik unterlegt ist. Ja, ich bin für Romantik sehr empfänglich. Aber vielleicht liegt es auch daran, dass es zwischen Romantik und Spiritualität eine Verbindung gibt, nämlich, dass es einem unter die Haut geht und bewegt.

Aber, mal ganz ehrlich. Wenn ich mir die Weihnachtsgeschichte anschaue, ist die doch eigentlich überhaupt nicht romantisch, sondern konfrontiert mich mit der harten Realität, dem rauen Klima, das in der Welt herrscht. Die hochschwangere Maria und Josef fanden keine Unterkunft. Die Hirten, die später zum Jesus-Kind an die Krippe kamen, schliefen auf dem offenen Feld, was ja nun auch nicht gerade komfortabel und gemütlich ist. All das ist weit entfernt von der Romantik und dem mystischen, goldenen Licht, das wir mit der Heiligen Nacht verbinden. Das, was einem da unter die Haut geht, ist eher die Kälte, die damit verbunden ist.Und dann schaue ich mir den Predigttext aus dem Titus-Brief an:

Die heilsame Gnade

Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen 12 und erzieht uns, dass wir absagen dem gottlosen Wesen und den weltlichen Begierden und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben 13 und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilands, Jesus Christus, 14 der sich selbst für uns gegeben hat, damit er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit und reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum, das eifrig wäre zu guten Werken.
Titus 2, 11-14

Also, Hand aufs Herz. Ist das ein Text, der zur Romantik einlädt? Ich persönlich finde, dass dieser Text eine echt harte Kost ist. Da geht es um Erziehung, ums Absagen von weltlichen Begierden, einem gerechten und frommen Leben. Das klingt schon ein wenig spaßfrei.

Also, mal unter uns: Wollt Ihr das wirklich kurz vor Mitternacht hören? Ist das der Grund, weshalb Ihr bis jetzt durchgehalten habt, obwohl ihr nach einem langen und vielleicht auch etwas hektischen Tag, noch in die Kirche kommt?

Würde es da nicht reichen, ein wenig meditative Musik von Wilko auf der Orgel zu hören und einfach nur in die Ruhe der Nacht, das schöne Licht vom Weihnachtsbaum, den Kerzen auf dem Altar zu genießen und somit selbst zur Ruhe zu kommen und sich so dem lieben Gott besonders nahe zu fühlen?

Das kann ich gut verstehen. Diese Sehnsucht spüre ich nahezu jeden Tag. Aber dann lese ich den Predigttext für diese Nacht und denke: „Dubberke, was stellst Du jetzt damit an, um die Leute nicht auch noch unter Druck zu setzen, weil schon wieder etwas von ihnen gefordert wird?“

Ich habe da schon zuweilen ein schlechtes Gewissen, weil ich mit meinen Predigten immer so fordernd, so auffordernd bin. Aber was soll ich machen? Ich erzähle doch nur, was da in der Bibel steht. Und so ist es auch heute Nacht wieder.

Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen und erzieht uns, dass wir absagen dem gottlosen Wesen und den weltlichen Begierden und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben…

Erinnert Ihr Euch, dass ich am Anfang die Frage gestellt habe, ob Ihr unter dem Weihnachtsbaum die Gnade Gottes gespürt habt? – Wie und woran kann ich eigentlich die Gnade Gottes spüren? Das klingt doch wieder recht romantisch, oder?

Aber eigentlich steht da auch gar nicht, dass man die heilsame Gnade Gottes spürt, sondern, dass sie erschienen ist. Ich kann die Gnade also sehen. Und in diesem Fall ist es dieses kleine, sicherlich auch schreiende Kind in der Krippe. Jesus ist die menschgewordene Gnade Gottes, denn er hat noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen, weil er uns allem Anschein doch so sehr liebt, dass er nicht von uns lassen kann und mag, auch wenn wir Gott diese Liebe in der Gänze der Menschheit nicht wirklich danken, weil es sonst etwas anders in unserer Welt aussähe.

Und dann schaue ich hier in unsere Krippe, die Jahr für Jahr in unserer Johanneskirche liebevoll von Elisabeth und Andreas aufgebaut wird, betrachte dieses kleine Kind in der Krippe und sinne so darüber nach, was das mit meinem eigenen Leben zu tun hat.

Weihnachtskrippe Johanneskirche zu Partenkirchen | Bild: Martin Dubberke
Weihnachtskrippe Johanneskirche zu Partenkirchen | Bild: Martin Dubberke

Jesus, der menschgewordene Gott, ist ein Symbol der Angewiesenheit auf Hilfe, unserer Abhängigkeit von anderen. Dieses kleine Baby ist auf Maria und Josef angewiesen, weil es sonst nicht überleben würde, so wie wir auf Gott und die Menschen um uns herum angewiesen sind.

Das Baby Jesus ist auf die Achtsamkeit von Maria und Josef angewiesen. Und wenn Ihr Euch einmal das kleine Kirchenfenster, links unter der Empore anschaut, werdet Ihr sehen, mit welcher Aufmerksamkeit und Achtsamkeit Maria und Josef auf den kleinen Wonneproppen schauen und wie das Lächeln, das das Jesus-Baby in diesem Fenster hat, auch uns ansteckt.

Die Krippe im Kirchenfenster der Johanneskirche in Partenkirchen | Bild: Martin Dubberke
Die Krippe im Kirchenfenster der Johanneskirche in Partenkirchen | Bild: Martin Dubberke

Und mit einem Mal können wir spüren, was mit diesen Zeilen wirklich gemeint ist und wie sie wirken:

…und erzieht uns, dass wir absagen dem gottlosen Wesen und den weltlichen Begierden und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben…

Dieses Jesus-Baby löst in uns Verantwortung aus. Wenn wir glauben, dass wir dieses Kind erziehen, haben wir uns geirrt. Dieses Kind erzieht uns. Und jeder von uns, der Kinder hat, hat die Erfahrung gemacht, was es bedeutet, wenn plötzlich so ein kleiner Wurm in die Welt kommt. Er krempelt das ganze Leben um. Wir lernen noch einmal vollkommen neu, was es heißt, Verantwortung zu tragen.

Und ich finde, dass das mal wieder ein total genialer Dreh von unserem lieben Gott ist, uns auf diese Weise, um den kleinen Finger zu wickeln. Und ich kann mir vorstellen, dass er da manchmal auch über sich selbst schmunzelt, wie gut ihm das gelungen ist und wie gut ihm das in jedem Jahr zu dieser Zeit gelingt.

Wobei? – Ist es ihm wirklich gelungen? Ich glaube nämlich, dass durch die ganze Romantik das Eigentliche mehr und mehr verdeckt worden ist. Es geht um das Gefühl, aber nicht mehr um die Verantwortung.

Daher ist Weihnachten streng genommen eine notwendige, fortwährende Auffrischungsstunde in Nächstenliebe; darin besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt zu leben. Und wir sind heute Nacht in diesen Gottesdienst gekommen, weil wir uns genau nach so einer Welt sehnen und im tiefsten Innern spüren, ja, eigentlich wissen, dass das auch in unserer Verantwortung liegt.

Wir neigen gerne dazu, den lieben Gott, die Politik und die Verhältnisse für unser Ergehen verantwortlich zu machen, doch in Wirklichkeit hat uns der liebe Gott selbst dafür die Schlüssel in die Hand gegeben, wie wir miteinander umgehen und uns in dieser Welt begegnen und zusammenleben.

Der Blick in die Krippe macht deutlich, wie sehr wir aufeinander angewiesen sind. Und dann wird noch etwas deutlich. Während Maria und Josef als fürsorgliche Eltern auf das Jesus-Baby schauen, kniet der Engel vor der Krippe. Das ist auf der einen Seite die Anerkennung dessen, dass Jesus König ist. Es ist aber auch ein Ausdruck der Demut. Gnade ist nämlich nicht ohne Demut zu denken und zu erleben und zu erfahren. Demut ist eine Haltung, die in unserer Welt mehr und mehr verloren gegangen ist und durch eine Haltung des Forderns mehr und mehr verdrängt wird. Und Demut ist nicht ein Ausdruck der Schwäche, sondern der inneren Stärke, die wir aus unserem Glauben heraus gewinnen.

Der Engel im Weihnachstkrippenfenster der Johanneskirche zu Partenkirchen | Bild: Martin Dubberke
Der Engel im Weihnachtskrippenfenster der Johanneskirche zu Partenkirchen | Bild: Martin Dubberke

Unser Predigttext spannt schon den Bogen zur Kreuzigung Jesu und damit der zentralen Heilstat:

…und reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum, das eifrig wäre zu guten Werken.

Man beachte bitte, die Sorgfalt, mit der Paulus hier formuliert:

das eifrig wäre zu guten Werken.

„Wäre“ – wir haben die Anlage zu guten Werken, nutzten sie aber schon zu Paulus Zeiten wohl nicht wirklich. Das kann uns Menschen, die wir heute leben, aber nicht entschuldigen. Denn auch wir haben durch den Tod Jesu, durch die heilsame Gnade Gottes diese Anlage zu den guten Werken ererbt.

Und noch etwas: Die heilsame Gnade ist allen Menschen erschienen. Und so ist Weihnachten mit dem Blick auf die Krippe auch ein Blick in den Spiegel der eigenen Verletzbarkeit und Verwundbarkeit und damit der Erinnerung daran, dass wir alle aufeinander angewiesen sind. Und vielleicht ist auch der Grund, weshalb Weihnachten mit so viel Romantik verbunden ist, eben weil wir das verletzliche Kind in uns wiederentdecken. Es spüren und darin erkennen, wie wichtig es ist, eifrig zu guten Werken zu sein. So, wie es in Charles Dickens Weihnachtsmärchen Scrooge gelungen ist, nachdem ihn der Geist der vergangenen Weihnacht, der Geist der gegenwärtigen Weihnacht und der Geist der zukünftigen Weihnacht mit sich selbst konfrontiert haben.

Die Welt in ihren weiten Grenzen und in den kleinen Grenzen unseres Zuhauses, unserer Familien wird sich zum Guten ändern, wenn es jedem einzelnen von uns gelingt, das miteinander zu leben, denn wir sind eifrig zu guten Werken.

Amen.

Pfarrer Martin Dubberke, Predigt zur Christmette am 24. Dezember 2021 in der Johanneskirche zur Partenkirchen über Titus 2, 11-14

Pfr. Martin Dubberke
Pfarrer Martin Dubberke

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