Pfr. Martin Dubberke

Der Kaffee- und der Wassertrinker

„Ich denke an die Taten des Herrn, ja ich denke an deine früheren Wunder und sinne über alle deine Werke und deine Taten nach.“ Psalm 77, 12-13

Das klingt nach jemandem, der sich in seinem braunen Ledersessel entspannt zurücklehnt und ganz genüsslich einen Schluck Kaffee trinkt – so als machte er eine kurze Gedankenpause, um dann seinem Gegenüber zu sagen: „Ich denke an die Taten des Herrn, ja ich denke an seine früheren Wunder und sinne über alle seine Werke und seine Taten nach.“

Kaum, dass er den Satz in den Raum gesprochen hat, nippt er wieder an seiner Kaffeetasse, um seinem Gegenüber zu signalisieren, dass er nun wirklich nachdenkt.

Gleichzeitig beugt sich sein Gegenüber nach vorne, um nach seinem Glas Wasser ohne Kohlensäure zu greifen, um daraus einen Schluck zu nehmen, gleichsam, um sich Mut für seine Frage zu machen und seinem Gesprächspartner jetzt seinerseits zu signalisieren, dass er beeindruckt ist und ebenfalls der Frage nachsinnt. Aber kaum, dass er das Glas wieder auf den Tisch gestellt hat und nun mit beiden Händen fast zärtlich umfasst und so bei sich denkt, dass sein Gegenüber mehr im Gestern als im Heute lebt, stellt seine Frage: „Und, zu welchem Ergebnis gelangen Sie? Ich meine, so für die Gegenwart… so jetzt im Hier und Heute…“

Sein Gesprächspartner hat schon mit dieser Frage gerechnet und nimmt noch einen rhetorischen Schluck aus seiner Tasse, bevor er antwortet: „Ihrer Frage entnehme ich, dass Sie mich für einen Mann von Gestern halten…“

„So würde ich das nicht ausdrücken“, antwortet dieser.

„Und wie dann?“

„Naja, es lässt mich schon aufhorchen, dass Sie, wenn Sie von Ihrem Gott sprechen, rückwärtsgewandt sind, in die Vergangenheit schauen. Das ist aus meiner Sicht wenig der Gegenwart oder Zukunft zugewandt. Ich frage mich, warum sie Ihrem Gott nicht für gegenwärtige Taten danken…“

Der Kaffeetrinker lächelt den Wassertrinker an und lässt ihn weiter reden.

„Verstehen Sie mich nicht falsch, aber wo ist Ihr Gott heute? Es gibt Kriege, Hungersnöte, Arbeitslose, Alkoholismus, Mord und Totschlag. Wo ist da Ihr Gott? Wenn Sie so in der Vergangenheit sprechen, habe ich fast den Eindruck, dass es Ihnen nicht anders geht als mir und Sie seine Gegenwärtigkeit vermissen.“

„Jetzt“, setzt der Kaffeetrinker mit seiner Antwort an: „Jetzt wird es spannend. Gegenwart ist ohne Vergangenheit nicht denkbar, mein lieber Freund. Und sie haben vielleicht auch schon mal den berühmten Spruch aus dem Prediger Salomos gehört, dass es nichts Neues unter der Sonne gibt. Also, wenn es nichts Neues unter der Sonne gibt, ist das schon Gewesene immer noch das Gegenwärtige, weil es einfach da ist. Man muss es sich nur manchmal wieder vor Augen halten, um die Gegenwart zu verstehen.“

„Das klingt jetzt sehr philosophisch“, antwortet der Wassertrinker.

„Lassen Sie es mich so sagen: Kriege, Hungersnöte, Arbeitslose und Drogenmissbrauch gab es auch in biblischen Zeiten. Nur wurden sie früher in einen anderen Zusammenhang gestellt. Sie wurden eng mit dem göttlichen Wirken verbunden. Es kam dazu, weil man sich nicht an die Weisungen Gottes gehalten hat. Und das ist heute doch nicht anders, oder? Nur, sagt man nicht mehr, dass Gott den Krieg gesandt hat, damit dieses oder jenes Volk gepeinigt werde. Der Krieg und viele andere Nöte sind – auch wenn Sie in die Geschichte blicken – Menschenwerk, weil man sich nicht an die Weisungen Gottes gehalten hat.“

Der Wassertrinker antwortet nicht sofort, sondern greift noch einmal zum Wasser, um Zeit zu gewinnen: „Und was bringt Ihnen dann der Blick in die Vergangenheit, wenn es früher weder besser noch schlechter war?“

„Das ist doch ganz einfach. Ich denke zum Beispiel daran, wie Gott diese wunderbare Welt geschaffen hat, mit der wir ziemlich schlampig umgehen. Und dann denke ich an die Großartigkeit der Schöpfung, ich denke daran was Gott mir für Möglichkeiten an die Hand gegeben hat. Und natürlich denke ich daran, was passieren kann, wenn man den Weisungen Gottes folgt. Denken Sie nur an die Geschichte, als die Israeliten aus Ägypten zogen und durch das Rote Meer mussten. Es gibt so viele Wunder und wunderbare Dinge, die in mir Ehrfurcht auslösen.“

Und ungläubig fragt der Wassertrinker: „Und Sie meinen, dass davon die Welt wirklich besser werden könnte?“

Der Kaffeetrinker lächelt: „Ja, das glaube ich. Weil überall, wo sich die Menschen eines besseren besonnen haben, ging es ihnen wieder besser. Denken Sie nur an die Geschichte von Jona. Das Volk besann sich eines besseren und lebte wieder entsprechend den Weisungen Gottes. Und was passierte? Es ging dem Volk deutlich besser als vorher. Der Blick zurück macht auch deutlich, dass der alte Adam in uns noch sehr gut lebt.“

„Wie meinen Sie das?“

„Als Adam in die Frucht des verbotenen Baumes biss, wollte er nicht mehr Geschöpf sein, sondern Gott. Und das hat ihn das Paradies gekostet. Das ist heute nicht anders. Wir wollen heute noch immer gerne kleine Götter sein, die sich nichts sagen lassen, sondern lieber selbst Ansagen machen, statt sich als Geschöpfe Gottes zu begreifen.“

„Das ist ein interessanter Gedanke.“

„Mehr als nur interessant“, lächelt sein Gegenüber: „Ein wesentlicher Gedanke.“

Während der Kaffeetrinker noch einmal einen kräftigen Schluck Kaffee trinkt, bestellt der Wassertrinker nun auch einen Kaffee. Beide lächeln sich wissend an und spüren, dass ein „Amen“ in der Luft liegt.

Morgenandacht im LAFIM am 16. Juli 2014