Pfr. Martin Dubberke

Denn siehe, ich komme und will bei dir wohnen

Liebe Geschwister, endlich ist es Nacht. Wir spürten auf dem Weg hierher die Kühle. Winter, aber keine weiße Weihnacht auf dem Weg zum Hause Gottes, wo wir für heute wohl unsere letzte Verabredung mit Gott haben.

Jetzt haben wir wirklich „wohl zur halben Nacht“ wie in dem wunderbaren Weihnachtlied „Es ist ein Ros entsprungen“ heißt.

All der Trubel, all der Weihnachtsstress fällt von uns ab. Wir kommen zur Ruhe. Noch klingen Bescherung, gemeinsames Essen und vielleicht auch Musizieren unter dem Weihnachtsbaum nach. Wir sind in dieser Nacht besonders offen und hellhörig.

Das Licht, das von der Krippe und vom Weihnachtsbaum ausgeht, fokussiert unseren Blick. Wir versinken in Gedanken und Erinnerungen, denken an Traditionen oder auch daran, was die Figuren der Weihnachtskrippe, die seit zweihundert Jahren im Familienbesitz ist, wohl so alles erzählen könnte, begonnen bei den Familienanekdoten, furchtbarsten Weihnachtsbaumstreitereien, großen, leuchtenden Kinderaugen, Enttäuschungen, Hoffnungen, Verlobungen…

Wir schauen auf das Licht der Krippe und sind gedankenversunken, eine Gedankenversunkenheit, die ins Gespräch mit Gott übergeht. Das ist der schönste Moment des Abends. So könnte es bleiben.

Texte klingen nach, einzelne Sätze, Verse und man fragt sich: „Warum eigentlich dieser Satz?“ So geht es mir gerade mit einem Satz aus dem Predigttext:

„Denn siehe, ich komme und will bei dir wohnen“, spricht der Herr.
Sacharja 2, 14

Ich weiß, dieser Satz ist erst einmal an die Tochter Zion gerichtet. Während sich mir dieser Satz gleich einem Ohrwurm einbrennt, schaue ich wieder auf die Krippe und denke:

„Na, Jesus wahrer Mensch und wahrer Gott, so kann es einem gehen, wenn man sagt, ich will bei dir wohnen, dass bei den Menschen alle Türen verschlossen bleiben und du am Ende bei den Tieren im Stall ein Quartier gefunden hast.“

Und schon kommt mir wieder ein anderer Satz in den Sinn. Ein Vers aus der Weihnachtsgeschichte nach Lukas:

„denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge“
Lukas 2, 7

Auch so ein Bild: Gott will bei uns wohnen, aber wir haben keinen Platz für ihn.

Maria und Josef fanden keinen Platz in den Herbergen. Wir wissen auch warum, weil sie durch den Andrang der Menschen, die sich aufgrund der Volkszählung dort aufhielten, überfüllt waren. Also, fast so wie bei uns in Garmisch-Partenkirchen, wenn wieder die Saison begonnen hat.

Aber womit sind denn die Herbergen unserer Herzen und Sinne überfüllt, so dass immer weniger Menschen Gott bei sich Raum geben wollen, geschweige denn bei sich wohnen lassen wollen? Auch wir lassen ihn nicht immer bei uns wohnen, wenn wir mal ehrlich zu uns sind. Und wenn wir das merken, sollten wir uns die Frage stellen: „Warum tue ich das gerade?“

Ich glaube – und das sage ich ohne Resignation – Gott hat es heute ziemlich schwer, bei seinen Menschen zu wohnen. Da sind zu viele Dinge in den Vordergrund geraten, die vermeintlich existentiell sind und damit scheinbare Priorität gewinnen. Und – wie gesagt – wenn wir mal ehrlich zu uns und vor allem zu Gott sind, gelingt uns das auch nicht immer. Und gleichzeitig erleben wir, was es bedeutet, wenn wir Gott vor unserer Tür schlafen lassen.

Der Glaube an die Ewigkeit hat ja sehr viel mit unserem Glauben zu tun. Aber die Ewigkeit Gottes ist etwas grundsätzlich anderes als die ewige Verfügbarkeit von Ressourcen. Die sind nämlich endlich. Genauso auch die Vorstellung, dass Dinge ewig so weitergehen. Das ist eine falsche Vorstellung.

Dinge sind endlich. Wir haben es bei den Banken erlebt. Die dachten auch, die Boni und all die schönen Dinge gingen ewig weiter. Wir erleben es in der Politik, dass Menschen glauben, dass es ewig so weitergeht und wundern sich dann, dass sie nicht mehr gewählt werden. Auch bei Kirchens erleben wir das, wo Menschen glauben, dass es so weitergeht, wie es hunderte von Jahren gegangen ist. Wir erleben es aber auch bei uns selbst.

Und dann geht mir beim Blick auf die Krippe noch ein anderer Satz aus dem Predigttext wieder durch den Kopf:

„Alles Fleisch sei stille vor dem Herrn, denn er hast sich aufgemacht von seiner heiligen Stätte.“
Sacharja 2, 17

Gott selbst hat sich aufgemacht. Wo der Mensch nicht in Bewegung komm, bewegt sich Gott.

Das ist bei der Weihnachtsgeschichte ein wenig anders. Da kommen dann die Hirten zu Jesus, als dem wahren Menschen und wahren Gott. Und da geht mir nun eine Liedzeile klingender Weise durch den Kopf:

O beugt wie die Hirten anbetend die Knie…

Das ist Demut. Die, die keinen Raum haben, die auf dem freien Felde schlafen, die hatten Raum für Gott und genau deshalb hat Gott ihnen die Frohe Botschaft zuerst zukommen lassen. Dort zog Gott zuerst mit Jesus ein und die Hirten verbreiteten das Wort. Wären die Hirten damals nicht gewesen, so würden wir heute nicht hier sitzen und über dem goldenen Licht der Krippe über Gottes Herberge bei den Menschen und seine Botschaft der Heiligen Nacht sinnieren:

Ehre sei Gott in der Höhe
und Frieden auf Erden
bei den Menschen seines Wohlgefallens.

Und der Schlüssel dazu liegt hier, in dieser Krippe, in jeder Krippe, vor der heute Nacht Menschen sitzen, singen, beten.

Amen.


Pfr. Martin Dubberke, Predigt in der Christmette über Sacharja 2, 14-17, Predigtreihe II, in der Johanneskirche in Garmisch-Partenkirchen.