Pfr. Martin Dubberke
Friedensgebet für die Ukraine am 26. Februar 2022 in der Johanneskirche zu Partenkirchen | Bild: Martin Dubberke

Denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war

Liebe Geschwister, vor einem Jahr saß der Schock über den brutalen Angriff Russlands auf die Ukraine tief. Es war etwas geschehen, womit eigentlich niemand mehr gerechnet hatte, dass es mitten in Europa noch einmal einen Angriffskrieg geben könnte wie einst am 1. September 1939, als Deutschland Polen überfiel.

In all den Jahren nach dem Kalten Krieg wägten wir uns in Sicherheit. Man glaubte fest daran, dass das Konzept von Wandel durch Handel aufgehen würde, funktionieren würde. Aber dem ist nicht so.

Bei der Gelegenheit: Könnt Ihr Euch noch an die Geschichte von Hiob erinnern? Mit Hiob verbindet mich seit meiner Studienzeit gewissermaßen eine enge Freundschaft. Hiob, der Mann, der zum Spielball einer Wette zwischen Gott und Satan geworden war. Satan wettete, dass Hiob vom Glauben abfallen würde, wenn man ihn nur ausreichend quälen würde.

Hiob ist eine Geschichte der Krise der alttestamentlichen Weisheit. Der eine oder die andere wird sich nun vielleicht die Frage stellen, was das denn sei. Diese Weisheit ist geprägt von der Vorstellung, dass einem von Gott Gutes folgt, wenn man Gutes tut und, dass einem Schlechtes folgt, wenn man Schlechtes tut. Das ist der sogenannte Tun-Ergehens-Zusammenhang. Also, ein ganz einfaches Prinzip. Ich bestimme gewissermaßen darüber, ob es mir gut oder schlecht geht. Und Hiob ging es sein ganzes Leben lang gut, weil er einfach ein frommer Mann war, der das auch lebte und in seinem Wirken seinen Mitmenschen gegenüber immer gottgenehm war. Es war also für ihn selbstverständlich, dass es ihm gut gehen muss, weil er selbst gut handelte. Er fühlte sich in seinem Leben also sicher.

Das ist ein wenig wie die Vorstellung vom Wandel durch Handel. Gibt es gute Geschäftsbeziehungen, geht es der Welt gut und der andere wird sich dem Guten schon anpassen.

Aber, spätestens seit dem 24. Februar 2022 wissen wir, dass dem nicht so ist. Wir leben also gewissermaßen in einer Phase der Krise von Wandel durch Handel.

Die Krise der Weisheit macht deutlich, dass nichts selbstverständlich ist. Und genau das ist es, was mich so für sie einnimmt. Es gibt im irdischen Leben keine Selbstverständlichkeiten. Ich kann nichts voraussetzen, nur weil ich gut handle, muss mir nicht Gutes folgen. Auch das macht der Krieg in der Ukraine deutlich. Frieden ist nicht selbstverständlich. Gute Geschäfte schaffen auch Abhängigkeiten. Was ist, wenn ich mit einem Geschäft Gutes will, doch die Motivation des anderen meine Abhängigkeit von ihm ist? Wenn der Preis, den er mir macht, die Versuchung ist, in die ich gebracht werden soll? So wie Jesus durch den Satan versucht wurde. Putin hat am 12. Juli 2021 unter der Überschrift „Zur historischen Einheit von Russen und Ukrainern“ auf der Website der russischen Regierung einen Essay veröffentlicht. Dieser Essay war zugleich auch das erste Dokument, das jemals in ukrainischer Sprache auf dieser Seite veröffentlicht wurde. In diesem Essay bestreitet er die Existenz der Ukraine als eigene Nation. Ich kann mich noch sehr genau daran erinnern, was ich damals dachte, als ich diesen Essay gelesen habe: Das wird Krieg geben. Interessanterweise machte aber dieser Essay damals nicht die mediale Welle, die er eigentlich hätte bekommen müssen, denn dieser Essay war die Roadmap für den 24. Februar 2022. Auf für solches hat mich Hiob sensibler gemacht, sensibler für Entwicklungen, sensibler für die vielen kleinen Zeichen, die es so im Leben gibt.

Jetzt könntet Ihr natürlich sagen: „Martin, du bist also ein misstrauischer Mensch geworden?“

Nein, das bin ich nicht. Ich vertraue nach wie vor auf Gott, aber ich traue vermeintlichen Sicherheiten nicht über den Weg.

Aber jetzt lese ich Euch endlich mal den Predigttext vor. Achtet mal auf seine Aktualität:

1 Es begab sich aber eines Tages, da die Gottessöhne kamen und vor den Herrn traten, dass auch der Satan mit ihnen kam und vor den Herrn trat.

2 Da sprach der Herr zu dem Satan: Wo kommst du her?

Der Satan antwortete dem Herrn und sprach: Ich habe die Erde hin und her durchzogen.

3 Der Herr sprach zu dem Satan: Hast du acht auf meinen Knecht Hiob gehabt? Denn es ist seinesgleichen auf Erden nicht, fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und meidet das Böse und hält noch fest an seiner Frömmigkeit; du aber hast mich bewogen, ihn ohne Grund zu verderben.

4 Der Satan antwortete dem Herrn und sprach: Haut für Haut! Und alles, was ein Mann hat, lässt er für sein Leben. 5 Aber strecke deine Hand aus und taste sein Gebein und Fleisch an: Was gilt’s, er wird dir ins Angesicht fluchen!

6 Der Herr sprach zu dem Satan: Siehe da, er sei in deiner Hand, doch schone sein Leben!

7 Da ging der Satan hinaus vom Angesicht des Herrn und schlug Hiob mit bösen Geschwüren von der Fußsohle an bis auf seinen Scheitel.

8 Und er nahm eine Scherbe und schabte sich und saß in der Asche.

9 Und seine Frau sprach zu ihm: Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Fluche Gott und stirb!

10 Er aber sprach zu ihr: Du redest, wie die törichten Frauen reden. Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen? In diesem allen versündigte sich Hiob nicht mit seinen Lippen.

Hiob wird von drei Freunden besucht

11 Als aber die drei Freunde Hiobs all das Unglück hörten, das über ihn gekommen war, kamen sie, ein jeder aus seinem Ort: Elifas von Teman, Bildad von Schuach und Zofar von Naama. Denn sie wurden eins, dass sie kämen, ihn zu beklagen und zu trösten.

12 Und als sie ihre Augen aufhoben von ferne, erkannten sie ihn nicht und erhoben ihre Stimme und weinten, und ein jeder zerriss sein Kleid, und sie warfen Staub gen Himmel auf ihr Haupt 13 und saßen mit ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und redeten nichts mit ihm; denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war.

Hiob 2, 1-13

Interessant, oder? Seitdem ich mich mit Hiob und der Krise der alttestamentlichen Weisheit beschäftige, entdecke ich nicht nur immer neue Aspekte an dieser Geschichte, sondern auch ihre immer wieder neue Aktualität.

Stellt Euch einfach mal vor, wir würden heute in der Geschichte den Namen Hiob durch Ukraine ersetzen. Was das bedeuten könnte, möchte ich an folgendem Beispiel deutlich machen:

9 Und seine Frau sprach zu ihm: Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Fluche Gott und stirb!

10 Er aber sprach zu ihr: Du redest, wie die törichten Frauen reden.

Auf die Ukraine bezogen würde das bedeuten:

„Kapituliere und stirb! Dann hast du es hinter dir.“

Ich sage das jetzt einfach mal in aller Brutalität, denn das ist es doch, was seit Anfang des Krieges viele im Grunde genommen immer wieder fordern. Aufzugeben, nicht weiter zu kämpfen, seinen Frieden durch den Verlust der eigenen Souveränität zu machen. All dem hat Hiob eine Absage erteilt, so wie es auch die Ukraine macht. Hiob stellt seiner Frau die rhetorische Frage:

Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?

Durch Hiob wissen wir heute, dass das Böse nicht von Gott, sondern vom Satan kommt. Und das Böse annehmen bedeutet, dem Bösen zu widerstehen, sich ihm zu stellen.

Nun muss man sich aber auch anschauen, warum Hiobs Frau das zu ihm gesagt hat. Sie konnte das Leiden ihres Mannes nämlich nicht mehr ertragen, und wollte nichts anderes, als dass sein Leiden ein Ende hat. Also schlug sie ihm vor, Gott zu fluchen. Gott zu fluchen hatte in der damaligen Vorstellung die Folge, dass man dann starb. Also, der bekannte Tun-Ergehens-Zusammenhang. So wie Hiobs Frau geht wohl auch all den Menschen, die einen Waffenstillstand fordern, die Friedensverhandlungen fordern, weil sie das Sterben, die Zerstörung, die Spirale der Gewalt nicht weiter ertragen können.

Hiob hätte es sich also leicht machen können und einfach Gott fluchen können. Dann wäre die Sache für ihn ausgestanden gewesen. Aber ganz ehrlich, wenn dem so gewesen wäre, gäbe es in der Bibel heute nicht das Buch Hiob und wir wüssten nicht, dass es ihn gegeben hätte und wie sehr er mit Gott gerungen hat.

Hiobs Antwort an seine Frau ist eindeutig. Er will sich nicht aufgeben. Und genauso eindeutig ist auch die Antwort der Ukraine auf diese Frage. Sie will sich nicht aufgeben.

Hiob hat sich vorgenommen, diese Sache mit Gott auszufechten. Und wir wissen ja, wie die Geschichte ausgegangen ist. Aus dem durch den Satan zerstörten Leben Hiobs, der alles verloren hatte, was er besaß, seine Gesundheit, seine Kinder, seine Lebensgrundlage, sein Haus, seinen Reichtum, erwuchs durch sein Ringen mit Gott, ein neues Leben, ein bewusstes Leben, in dem er wieder eine neue Familie hatte, ein neues Haus und einen neuen Reichtum, so dass er am Ende seines Lebens nicht nur alt, sondern auch lebenssatt sterben konnte. Hiob hat in seinem Leben durch das Ringen mit Gott, den Satan bezwungen.

Nichts anderes macht die Ukraine heute. Und vielleicht erinnert Ihr Euch noch an diese beeindruckende Szene im UN-Sicherheitsrat am 24. Februar 2022, als der ukrainische UN-Botschafter Kystlystya den russischen UN-Botschafter Nebensja scharf anging:

„Wir verurteilen die Aggression, die Sie gegen mein Volk verüben. Es gibt kein Fegefeuer für Kriegsverbrecher. Sie fahren direkt zur Hölle, Botschafter.“

Eine klare Aussage. Eine eindeutige Hoffnung, die auch heute noch viele teilen.

Hiob hatte natürlich auch Freunde – internationale Freunde, so wie auch die Ukraine. Ich habe keine Ahnung, wie Hiob und seine Freunde einander kennengelernt haben. Diese Frage habe ich mir interessanterweise bislang noch nie gestellt. Sie kamen alle von verschiedenen Orten. Vielleicht waren das Freundschaften, die durch Geschäftsbeziehungen entstanden waren. Keine Ahnung. Aber diese hörten von dem Unglück und von dem Elend, das Hiob widerfahren war und so machten sie sich auf. Sie ließen ihn in seinem Unglück also nicht allein und wollten ihre Solidarität mit ihm zeigen, ihn beklagen und trösten.

Das erinnert an die vielen Besuche von Politikerinnen und Politikern – und nicht zuletzt an den des amerikanischen Präsidenten – in der Ukraine. Und wer in die Ukraine kommt, der erkennt die Ukraine nicht wieder, so wie die Freunde Hiob nicht wiedererkannt haben. So wie Hiob von seiner Fußsohle bis zum Scheitel mit bösen Geschwüren befallen war, so sind viele Städte der Ukraine zerstört und verwüstet, nicht wiederzuerkennen.

Und so wie die Freunde mit Hiob weinten, weinen wir heute um die vielen Toten in diesem Krieg, denn wir sehen, wie groß der Schmerz ist.

Aus der Geschichte von Hiob lässt sich nicht ableiten, dass die Ukraine gewinnen wird. Aber wir für uns können etwas daraus lernen, falls wir es noch nicht gelernt haben sollten, nämlich, dass nichts im Leben selbstverständlich ist. Und so wie in der Geschichte von Hiob, die Vorstellung der Alttestamentlichen Weisheit an ihr Ende gekommen ist, so ist mit diesem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, unsere Vorstellung vom selbstverständlichen Frieden in Europa an ihr Ende gekommen. Und das bedeutet, dass wir miteinander um eine neue Vorstellung vom Frieden und wie Frieden werden und bleiben kann miteinander ringen werden. Und wir müssen darum miteinander ringen, wenn wir alt und lebenssatt sterben wollen.

Dietrich Bonhoeffer hat 1934 auf der ökumenischen Friedenskonferenz auf Fanö gesagt:

Es gibt keinen Weg zum Frieden auf dem Weg der Sicherheit. Denn Friede muß gewagt werden, ist das eine große Wagnis, und läßt sich nie und nimmer sichern. Friede ist das Gegenteil von Sicherung. Sicherheiten fordern heißt Mißtrauen haben, und dieses Mißtrauen gebiert wiederum Krieg. Sicherheiten suchen heißt sich selber schützen wollen. Friede heißt sich gänzlich ausliefern dem Gebot Gottes, keine Sicherung wollen, sondern in Glaube und Gehorsam dem allmächtigen Gott die Geschichte der Völker in die Hand legen und nicht selbstsüchtig über sie verfügen wollen. Kämpfe werden nicht mit Waffen gewonnen, sondern mit Gott. […] Wir wollen reden zu dieser Welt, kein halbes, sondern ein ganzes Wort, ein mutiges Wort, ein christliches Wort. Wir wollen beten, daß uns dieses Wort gegeben werde, – heute noch – wer weiß, ob wir uns im nächsten Jahr noch wiederfinden?

Aus Bonhoeffers Rede auf der Fanö-Konferenz,
gehalten am 28.8.1934 (DBW 13, Seite 298-301)

Von Hiob dürfen wir lernen, dass es sich lohnt zu ringen und nicht einfach zu akzeptieren und aufzugeben. Von Jesus dürfen wir lernen, wie wir den Satan zurückweisen:

10 Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben: »Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.«

11 Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel herzu und dienten ihm.

Matthäus 4,1-11

Lasst uns anbeten den Herrn, unseren Gott, und ihm allein dienen.

Amen.

Pfr. Martin Dubberke, Predigt über Hiob 2,1-13 am Sonntag Invocavit, am 26. Februar 2023, Perikopenreihe V in der Markuskirche in Farchant und der Johanneskirche zu Partenkirchen.

Pfr. Martin Dubberke
Pfr. Martin Dubberke

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