Pfr. Martin Dubberke

Bilanz und Perspektiven der Täterarbeit in Berlin

Ausgangssituation

Die Bilanzierung und die Perspektiven der Täterarbeit in Berlin werden zunächst ausgehend von der aktuellen Situation des Berliner Zentrums für Gewaltprävention beschrieben.
Das BZfG ist ein Projekt, das weitgehend auf dem Engagement der dort Tätigen basiert. Die sieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten auf Honorarbasis nach Feierabend im Anschluss an ihren eigentlichen „Broterwerb“.

Ein „Feierabendprojekt“ in diesem Bereich zu sein, hat neben dem oben genannten Aspekt der Nebentätigkeit zahlreiche andere Konsequenzen. So muss die Netzwerkarbeit sehr effizient ablaufen, da tagsüber nicht einfach Termine mit den Kolleginnen und Kollegen vereinbart werden können. Für die Teilnahme an Veranstaltungen oder anderen dienstlichen Absprachen und Terminen müssen in der Regel Urlaubstage oder ähnliches genommen werden.

Klientenpotential

Finanziert wird das BZfG noch bis 2006 aus Mitteln der Stiftung Deutsche Klassenlotterie. Ohne diese Finanzierung wäre die Durchführung der Arbeit nicht möglich.

Unsere Klientenzahlen steigen ebenso wie die Zahl der Gruppen seit der Gründung des BZfG’ s kontinuierlich an. Das macht im Rahmen einer Bilanz deutlich, dass es eine steigende Nachfrage nach einem solchen Angebot gibt und es zeigt sich, dass die allgemeine und auch die eigene Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit nicht ohne Wirkung geblieben ist.

Klientenpotenzial

Die Klienten kommen als Selbstmelder und zunehmend aus dem Bereich der Justiz verbunden mit einer Weisung gem. § 153a StP0 oder einer Auflage.

Seit dem Beginn der Laufzeit des Berliner Aktionsplans zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt im Jahr 2002 ist die Entwicklung positiv. Die Justiz weist zwar nicht in ausreichendem, aber doch zunehmendem Maß Männer in unser Programm.

An dieser Stelle wird darauf hingewiesen, dass das Programm des BZfG nicht als Täterarbeit oder Täterprogramm bezeichnet wird, sondern als Programm zur Entwicklung gewaltfreier Lebensperspektiven. Es wird mit Tätern gearbeitet und das Ziel ist die Eröffnung gewaltfreier Lebensperspektiven, wie es auch im Titel des BZfG heißt. Nach unserer Einschätzung ist diese Namensnennung ein Grund, weshalb die Zahl der Selbstmelder deutlich angestiegen ist.

Klientenpotenzial und -Entwicklung

Wir haben unser Faltblatt entsprechend verändert und im vergangenen Jahr in allen Bürgerämtern dieser Stadt ausgelegt. Seitdem hat die Zahl der Selbstmelder, wie an der Grafik zu sehen ist, noch mehr zugenommen.

Der Stand der Anmeldungen im ersten Halbjahr 2005 befindet sich bereits auf dem des gesamten Vorjahres. Wenn der Trend anhält, kann davon ausgegangen werden, dass im Jahr 2005 mindestens sieben Gruppen durchgeführt werden können. Das sind zwei mehr als im Vorjahr. Für ein „Feierabendprojekt” keine schlechte Bilanz. Es macht deutlich, welches Klienten-Potenzial in dieser Stadt steckt.

Seit einem Jahr arbeiten wir verstärkt mit dem Einsatz von Medien. Diese Bilder und Filmsequenzen tragen dazu bei, dass die Männer sich in ihrem Handeln wieder erkennen. Sie berichten durch den Medieneinsatz in der Regel in kürzerer Zeit mehr über bzw. von sich selbst. Die Betroffenheit spielt hier eine große Rolle.

Im Jahr 2004 wurden 12.800 Fälle von häuslicher Gewalt angezeigt, überwiegend handelte es sich dabei um Männer. Wenn diese wegen häuslicher Gewalt erfassten Männer an einem Täterprogramm teilnehmen würden, käme man angesichts dieser Zahl auf ca. 32.000 Gruppensitzungen resp. 64.000 Beratungsstunden.

Ausgehend von einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden, müssten allein für die Durchführung der Gruppen rund siebzig Trainerinnen und Trainer bereitgestellt werden, da die Gruppen immer von einem Mann und einer Frau geleitet werden, um alle Angezeigten in ein Programm aufzunehmen.

In dieser Zahl sind noch keine Verwaltungsarbeiten, Dokumentationen, Auswertungen, Aufnahmen, Supervisionen etc. berücksichtigt. In Berlin gibt es zurzeit zwei Beratungsstellen (BZfG und die Volksolidarität e.V.), die soziale Trainingskurse für maximal 12 Gruppendurchläufe jährlich anbieten.

Die Täterarbeit ist ein wichtiger Beitrag zur Prävention von Gewalt gegen Frauen und Kinder. Daher ist es vordringlich, hier eine dauerhafte und langfristig haltbare Perspektive zu entwickeln. Gegenwärtig müssen wir von einem Ende der Täterprogramme nach 2006 – identisch mit dem Ende des Berliner Aktionsplans – ausgehen, denn die Forderung nach einer dauerhaften Finanzierung der Täterarbeit in Berlin ist bislang eine Absicht geblieben, die kein erkennbares Handeln nach sich gezogen hat.

Das kann und darf keine ernsthafte Perspektive sein. Die große Anzahl angezeigter Fälle von häuslicher Gewalt im Jahr 2004 ist als ein großer Erfolg der jahrelangen Anstrengungen, die in dieser Stadt bei der Bekämpfung von häuslicher Gewalt von gemacht worden sind, zu sehen. Dem steht jedes Jahr nur ein Bruchteil von Männern, die in ein Programm kommen, gegenüber.

Wo also bleiben die Männer, die angezeigt worden sind? Entweder gehen sie in die alte Beziehung zurück oder sie gehen eine neue Beziehung ein, in der es früher oder später wieder zu Gewalthandlungen kommen wird. Täterarbeit ist ein zentrales Moment in der langen Kette einer erfolgreichen Bekämpfung häuslicher Gewalt.

Der Interventionsgedanke hat sehr viel bewegt, aber nicht die Männer in die Programme bewegt. In Berlin gab es in der Vergangenheit zahlreiche Plakataktionen, die Gewalt an Frauen „brandmarken“. Die letzte Kampagne war eine Serie mit Tatort-Kommissaren „Sehen Sie fern, aber nicht weg“, die auf eine breite Resonanz gestoßen ist. Plakataktionen auf dieser Ebene haben in den letzten zwanzig Jahren wesentlich dazu beigetragen, das Problem der häuslichen Gewalt in die Öffentlichkeit zu bringen und das Bewusstsein dafür zu schärfen.

Um Männer zu einer Veränderung „einzuladen“, ist es erforderlich, mit einer neuen Strategie in die Öffentlichkeit zu gehen. Eine Öffentlichkeitskampagne, die sich mit einem speziellen Angebot an gewalttätige Partner wendet, könnte deutlich machen, dass Gewalt nicht nur ein Problem ist, sondern auch aktiv angegangen werden kann.

Es bedarf also einer doppelten Strategie: der konsequenten Umsetzung der bestehenden juristischen Möglichkeiten, den gewalttätigen Mann zur Teilnahme an einem Täterprogramm zu verpflichten, und die offensive Ansprache, um die Männer über die Möglichkeiten zur Veränderung zu informieren. Beides muss mit Konsequenz betrieben werden.

Wenn die mit dem Gewaltschutzgesetz erzielten Erfolge nicht gefährdet werden sollen, muss es ein Angebot für Täterkurse geben.
Die bislang getroffenen Maßnahmen zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt haben in Berlin zu der genannten Anzahl von Anzeigen geführt und damit zu mindestens 12.000 potentiellen Klienten. Angesichts dieser klaren Zahlensprache muss Täterarbeit eine Perspektive haben. Daran führt kein Weg vorbei.


Referat im Rahmen des Fachgesprächs vom 14. Juni 2005
”Täterarbeit und institutionalisierte Vernetzung” – Zur aktuellen Debatte über Möglichkeiten und Grenzen der Arbeit mit Tätern, die häusliche Gewalt ausüben in der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin

Erschienen in der gleichnamigen Tagungsdokumentation.