Pfr. Martin Dubberke

Bekennen heißt, sich zu zeigen

In diesem Jahr hat es der Sonntag Invocavit in sich. Warum das so ist? Weil er in diesem Jahr auf den 18. Februar fällt.

Am 18. Februar 1546 starb Martin Luther. Am 18. Februar vor 75 Jahren hielt Göbbels seine berüchtigte Sportpalast-Rede, mit der er Deutschland auf den totalen Krieg einschwor. Am 18. Februar 1943 – also am gleichen Tag – wurden Hans und Sophie Scholl verhaftet, nachdem sie denunziert worden waren.

Diese drei Ereignisse haben bei meiner Predigtvorbereitung einen großen Einfluss auf mich gehabt. Zum einen, weil ich Lutheraner bin und zum anderen, weil ich durch das Haus, in dem ich wohne, in dem ich lebe, tagtäglich mit dem konfrontiert werde, was zwischen 1933 und 1945 hier in unserem Land geschehen ist. Es sind Ereignisse, die unser Leben bis heute prägen, sei es, dass man daraus seine Lehren gezogen hat, sei es, dass man ein ewig Gestriger geblieben oder gar geworden ist.

Auch unsere Kirche ist bis zum heutigen Tage durch diese Ereignisse, durch diese Zeit geprägt. Die Trennung von Kirche und Staat, hat ihren Ursprung in genau jener Zeit, weil Kirche sich unter anderem nie wieder vom Staat vereinnahmen lassen wollte. Die Barmer Theologische Erklärung von 1934 – quasi die Gründungsurkunde der Bekennenden Kirche – hat in unserer Kirche den Status einer Bekenntnisschrift. Jede Pfarrerin und jeder Pfarrer unserer Kirche, egal, ob er sich als Lutheraner, Unierter oder Reformierter ordinieren lässt, wird auch auf die Barmer Theologische Erklärung verpflichtet. Und das ist gut so.

Sie steht – nebenbei gesagt – in unserem Gesangbuch. Schlagen Sie ruhig mal bei Gelegenheit die Nr. 810 auf. Da werden Sie sie finden. Und was da steht, gilt auch heute noch für jeden evangelischen Christen. Barmen macht deutlich, was die Konsequenzen des Bekenntnisses auf der Grundlage der Schrift sind. Bekennen, heißt sich zu zeigen. Und damit habe ich gerade das Motto der diesjährigen Fastenaktion „Sieben Wochen ohne“ genannt: Zeig dich! – Aber dazu gleich mehr.

Ich blicke vor dem Hintergrund dieser drei Ereignisse auf den Wochenspruch:

Dazu ist erschienen der Sohn Gottes,
dass er die Werke des Teufels zerstöre.
1. Johannes 3, 8b

Ja, natürlich denke ich hier sofort an die Zeilen aus Luthers „Ein feste Burg“:

Und wenn die Welt voll Teufel wäre
Und wollt uns gar verschlingen,
So fürchten wir uns nicht so sehr,
Es soll uns doch gelingen.

Die „Werke des Teufels“ sind drei Worte im Wochenspruch, die mich ansprechen, weil mir hier natürlich sofort der Teufel als der Versucher schlechthin einfällt.

Erinnern wir uns nur mal an die heutige Lesung aus dem Evangelium (Matthäus 4, 1-11). Die Geschichte mit Jesus, als er vierzig Tage in der Wüste gefastet hat und ihm der Teufel dann drei unsittliche Angebote macht, denen Jesus stark widersteht.

Ich kenne einige Menschen in dieser Welt – und bei leibe nicht nur Politiker -, die für die Versuchungen des Teufels sehr verführbar wären, weil es jedes Mal um die absolute Macht geht.

Aber Jesus macht mit seinem Verhalten deutlich, dass er allein Gott dient. Hätte er sich auf den Deal mit dem Teufel eingelassen, wäre er immer vom Teufel abhängig gewesen. Seine ganze Macht, wäre nur eine von des Teufels Gnaden gewesen. Also, eine verteufelte Macht.

Da stelle ich doch mal ganz ungeniert die Frage nach unserer eigenen Verführbarkeit. Wofür sind wir selbst denn verführbar? Und wenn ich jetzt von Ihnen die Antwort höre: „Eine gute Tafel Schokolade“, dann weiß ich, dass Sie sich nicht wirklich in der Gefahrenzone befinden.

Jesus macht sehr deutlich, dass mit Macht nicht zu spaßen ist und Macht nur derjenige hat, der sie von Gott in Form einer besonderen Verantwortung zugewiesen bekommen hat. Er macht auch zugleich deutlich, dass Macht dienend ist.

Und so war es genau dieser Satz Jesu, der den Teufel sprachlos in die Flucht schlug:

„Du sollst anbeten den HERRN,
Deinen Gott, und ihm allein dienen.“
Matthäus 4, 10

Und wie diene ich ihm? – Indem ich seine Gebote lebe. Und das höchste Gebot ist es, seinen Nächsten wie sich selbst zu lieben. Und überall, wo das gelingt, sind die Werke des Teufels zerstört.

Zeig Dich! – Bekennen geschieht nicht nur hier im geschützten Raum unserer Kirche, wo wir unter uns sind, sondern Bekennen vollzieht sich auch im Handeln, im Sich-da-draußen-Zeigen.

Wer Mitglied der Bekennenden Kirche war, hatte eine „Rote Karte“. Sie galt aus Ausweis, um an Veranstaltungen der Bekennenden Kirche teilnehmen zu können. Allein diese Karte barg für den Besitzer eine Gefahr in sich, aber sie war Teil des aktiven Bekennens. Mit dieser Karte hat sich ihr Besitzer als Bekennender Christ gezeigt.

Bekennen heißt auch immer, sich der Gefahr auszusetzen, in eine gefährliche Situation geraten zu können, eine Grenzerfahrung zu machen, in Not zu geraten.

Der Dichter des 91. Psalms schreibt sehr deutlich, wie er mit der Gefahr umgeht, die dem Bekennen innewohnt:

Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt
und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt,
der spricht zu dem Herrn:
Meine Zuversicht und meine Burg,
mein Gott, auf den ich hoffe.
Denn er errettet dich vom Strick des Jägers
und von der verderblichen Pest.

Seine Antwort auf die Gefahr ist die Zuversicht: Denn der Herr ist deine Zuversicht!

Und genau das ist der entscheidende Moment: Bekennen bedeutet nämlich auch, sich zu dem Gott zu bekennen, der seinen Engeln befiehlt, mich auf allen meinen Wegen zu behüten.

Und sollte all das mal versagen und unsere Zuversicht gewissermaßen auf Grundeis gehen, gibt es einen Notruf. Und genau daran erinnert uns der Sonntag Invocavit.

Was heißt nun aber Invocavit? Und was ist das für eine Sprache? Es ist Latein:

Invocavit me, et ego exaudiam eum.

So lautet die lateinische Fassung des Verses, der dem Sonntag den Namen gegeben hat:

Er ruft mich an, und ich will ihn erhören.

Das ist eine Aufforderung und zugleich Mut machende Zusage. Gleichzeitig wird an dieser Stelle noch etwas ganz Anderes deutlich: Gott ist ein zurückhaltender Gott, der meine Grenze respektiert. Wenn ich nichts sage, dann tut er auch nichts. Verrückt, oder?

Genau an dieser Stelle komme ich wieder auf das Motto der diesjährigen Fastenaktion von „Sieben Wochen ohne“ zurück:

Zeig Dich!

Und das Ganze dann auch noch mit einem provozierenden Ausrufezeichen. Dieses „Zeig Dich!“ verstehe ich in zweifacher Weise. Zum einen erinnert es mich an Hiob, der in seinem Aschenhaufen saß und Gott ziemlich heftig an- und hinterfragt hat. Dieses „Zeig Dich!“ kann also auch heißen: „Zeig Dich, Gott!“

Zum anderen ist es aber auch die Aufforderung an mich selbst: „Zeig Dich! Sieben Wochen ohne Kneifen.“ Auch das erinnert mich wieder an Hiob in seinem Aschenhaufen, der sich Gott gezeigt hat, aber auch seinen Freunden und seiner Familie. Er hat sich von niemandem ausreden, mit Gott zu rechten. Er hat sich von niemandem dazu verführen lassen, von keinen Versucher, der mit Gott um ihn gewettet hat, von keiner Ehefrau, die gesagt hat: „Fluch Gott und stirb“; von keinen Freunden, die die Schuld bei ihm sahen.

Und wer, wenn nicht Hiob, befand sich in einer Grenzsituation, wo er an und über seine Grenzen gekommen ist. Diese Grenzerfahrung hat dafür gesorgt, dass Hiob alt und lebenssatt gestorben ist.

Tja, und seit Aschermittwoch sitzen gewissermaßen wir im Aschenhaufen und schauen uns unser Leben und im besten Fall auch unser Verhältnis zu Gott an. Die Asche steht für Buße und Umkehr, also Erkennen und Kurskorrektur. Wir haben die Möglichkeit, in dieser Zeit die Grenze zu erkennen, an die wir in unserem Leben – und auch in unserer Gesellschaft – geraten sind. Die Gesellschaft ist ein Teil unseres Lebens und wir sind ein Teil der Gesellschaft und als ein Teil der Gesellschaft sind wir auch deren Gesellschafter, die eine Verantwortung dafür tragen, dass diese Gesellschaft funktioniert und erfolgreich ist.

Wir haben in dieser Zeit mehr als sonst die Möglichkeit, unser Verhalten zu erkennen, das uns an diese Grenze gebracht hat. Das wäre dann also die Not aus dem Psalm 91. Und was dann zu tun ist, wissen wir ja jetzt: Gott anzurufen, ihm uns in unserer Grenzerfahrung, unserer Not zu zeigen. Und dann wird er sich auch uns zeigen, weil er uns erhört.

Invocavit – Er ruft mich an. Ich rufe ihn an, wenn ich an meine Grenze komme, ich zeige ihm meine Grenze an und sage oder schreie vor Verzweiflung wie der Psalmbeter um Hilfe, dass er mich errette.

Folgt meinem Bekennen kein Zeigen oder kneife ich davor, mich zu bekennen, verliere ich im wahrsten Sinne des Wortes meine Glaubwürdigkeit.

Und das ist jetzt der richtige Moment, den Predigttext zu lesen, der heute dran ist. Er steht im zweiten Brief des Paulus an die Korinther, im 6. Kapitel, die Verse 1 bis 10:

Als Mitarbeiter aber ermahnen wir euch, dass ihr nicht vergeblich die Gnade Gottes empfangt. Denn er spricht (Jesaja 49,8): „Ich habe dich zur willkommenen Zeit erhört und habe dir am Tage des Heils geholfen.“ Siehe, jetzt ist die willkommene Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!

Und wir geben in nichts irgendeinen Anstoß, damit dieser Dienst nicht verlästert werde; sondern in allem erweisen wir uns als Diener Gottes: in großer Geduld, in Bedrängnissen, in Nöten, in Ängsten, in Schlägen, in Gefängnissen, in Aufruhr, in Mühen, im Wachen, im Fasten, in Lauterkeit, in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit, im Heiligen Geist, in ungefärbter Liebe, in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, mit den Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken, in Ehre und Schande; in bösen Gerüchten und guten Gerüchten, als Verführer und doch wahrhaftig; als die Unbekannten und doch bekannt; als die Sterbenden, und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten und doch nicht getötet; als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die nichts haben und doch alles haben.

Und gerade weil wir alles haben, müssen wir mutig bekennen, um nicht alles zu verlieren. Glauben heißt bekennen und bekennen heißt, aus dem Glauben heraus zu handeln. Und wo das zusammenkommt, entsteht Glaubwürdigkeit und daraus Autorität.

Christlicher Glaube geschieht nicht im Geheimen, sondern im Sich-Zeigen.

Wenn Paulus, nicht so mutig diesen Weg gegangen wäre, nicht so mutig und mit manchem Zweifel, der dazu gehört, geglaubt hätte, dann würden wir heute wahrscheinlich nicht hier zusammensitzen und gemeinsam Gottesdienst feiern.

Dass die Menschen Jesus gefolgt sind und später Paulus, hat etwas mit ihrer Glaubwürdigkeit zu tun, dass sie in dem, was sie glaubten und taten, authentisch und verbindlich waren.

Der Sonntag Invocavit, der erste Sonntag der Fastenzeit, soll uns Mut machen, uns zu zeigen. So wie Jesus dem Versucher widerstanden und ihn bezwungen hat und Paulus sich trotz aller Gefahren, Nöte und Schläge nicht von seinem Glauben hat abbringen lassen, sondern ganz im Gegenteil, aus dem Glauben heraus die Kraft gewonnen hat, zu widerstehen. So wie Hans und Sophie Scholl, die von ihrer Mutter, einer früheren Diakonisse, zu christlichen Werten erzogen worden waren, sich gezeigt haben, indem sie widerstanden haben.

Ich möchte noch einmal einen Satz von Paulus wiederholen, der für mich sehr wichtig ist:

Und wir geben in nichts irgendeinen Anstoß,
damit dieser Dienst nicht verlästert werde;
sondern in allem erweisen wir uns als Diener Gottes.

Das klingt wie der Satz Jesu, mit dem er den Teufel in die Flucht geschlagen hat:

„Du sollst anbeten den HERRN,
Deinen Gott, und ihm allein dienen.“
Matthäus 4, 10

Wir sollen Gott allein dienen, und das bestimmt unsere Sicht auf diese Welt und unser Handeln in dieser Welt und nicht irgendeine Partei – welche der vielen auch immer – und auch keine Angst. Und wo wir Angst haben sollten oder bekommen sollten, da gilt dann wieder die Invocavit-Botschaft:

Er ruft mich an,
darum will ich ihn erhören,
ich bin bei ihm in der Not.

Amen.

Predigt am Sonntag Invocavit – 18. Februar 2018 – in der Königin-Luise-Gedächtniskirche, Berlin-Schöneberg