Pfr. Martin Dubberke
Palmsonntag | Bild: Martin Dubberke

Bekennen, bekennen, bekennen…

Der Menschensohn muss erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.
Johannes 3,14.b.15

Ich will ihr Trauern in Freude verwandeln.
Jeremia 31,13

Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.
Matthäus 5,4

Palmsonntag. Jesus zieht in Jerusalem ein und damit zieht Jesus auch in unser Leben ein. An einem Tag loben, jubeln und preisen wir ihn mit aller Begeisterung als unseren König und Befreier und nur wenige Tage später fordern wir seinen Tod am Kreuz. So und nicht anders ist es auch heute. Das Volk lobt ihn und verwirft ihn. Immer so wie es gerade passt.

Das ist mit der Kirche nicht anders. Auf der einen Seite will eine Regierung den Paragrafen 218 abschaffen, aber sie hören in einer so sensiblen Angelegenheit nicht mehr die Stimme der Kirchen in diesem Prozess an. Diese sind außen vor. Auch wenn wir mittlerweile gemessen an den Zahlen unserer Mitglieder weniger als die Hälfte der Gesamtbevölkerung Deutschlands ausmachen, sollte man sich mal vergegenwärtigen, dass jede einzelne Partei dieser Regierung weniger Wählerstimmen und weniger Mitglieder hat als beide großen Kirchen zusammen. Das gleiche gilt auch für die Koalition als Ganzes. Und bei den Wählerstimmen muss man auch berücksichtigen, dass die Wahlbeteiligung nicht besonders hoch ist. Ebenso will diese Regierung die Staatsfinanzierung der Kirchen beenden. Gemessen am gesamten Haushaltvolumen der Kirchen im Bereich der EKD sind das lediglich 2,2%.

Wenn sich aber Katastrophen ereignen, seien es Zugunglücke, Anschläge oder andere furchtbare Unglücke, dann sind wir Kirchen mit unseren Gottesdiensten, mit denen wir die Menschen in dieser Zeit begleiten und einen Ort für ihre Trauer schaffen, auch für die viele Politikerinnen und Politiker, die ansonsten mit Kirche nichts am Hut haben oder auch gar nicht mehr Mitglied der Kirche sind, ein trefflicher Ort, um betroffen in der ersten Reihe zu sitzen und sich dann auch noch an den Ambo zu stellen, um eine Rede zu halten.

Es hat sich also im Grunde genommen nichts seit Palmsonntag und Karfreitag vor rund zweitausend Jahren geändert. Jesus Christus befindet sich immer zwischen den Polen von Bewunderung und Ablehnung.

Und ich glaube, dass das auch etwas mit unserem Verhältnis zu Mut und Feigheit oder nahezu gleichbedeutend mit Bequemlichkeit und Gleichgültigkeit zu tun hat. Sich wirklich auf Jesus Christus einzulassen, bedeutet, sich aus der Komfortzone zu begeben. Jesus Christus macht am Palmsonntag deutlich, dass er nicht als König mit Lametta, Staatskarosse und militärischen Ehren einzieht, sondern als ein König, der das Volk, die Menschen auf dem Weg einer Veränderung mitnehmen möchte, der möchte, dass sich die Menschen verändern, Zutrauen zu ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten zu finden, mit Jesu Hilfe zu erfahren und zu begreifen, dass Freiheit und Frieden aus uns selbst heraus erwachsen muss. So wie ein Baum, der aus der Erde emporwächst und nicht vom Himmel nach unten. Zuerst kommt der Same, dann der Keim, die Wurzel, der Stamm und ganz zum Schluss kommt erst die Krone. Doch was ist die Krone eines Baumes? Die Ansammlung von Blättern, ohne die der Baum nicht leben kann, weil er die Wurzeln und die Blätter zum Leben braucht. Beides muss zusammenwirken. Also, Jesus wollte nicht herrschen im Sinne eines klassischen Königs mit der Macht und der Vorgabe von oben. Und genau darin hat er vielleicht die Erwartungen der Menschen enttäuscht. Jesus wollte die Verantwortung eines jeden einzelnen für das Ganze stärken. Das war das Ziel seines Wirkens, dass die Menschen Verantwortung für sich und die Verhältnisse in ihrer Umgebung übernehmen. Deshalb hat er so viele alte und betonierte Regeln in Frage gestellt und den Menschen Mut gemacht, es ihm gleich zu tun. Jesus nimmt uns nicht die Verantwortung für unser Leben ab, wie es Diktatoren oder absolute Herrscher tun, sondern gibt uns die Verantwortung in unsere Verantwortung. Das macht den Unterschied aus.

Wir gehen nun in die Karwoche – eine Woche der Stille, der Einkehr, eine Zeit, in der man mal alle verdrängende Geschäftigkeit zur Ruhe kommen lassen kann. Ich weiß, dass das schwierig ist. Da sind die ganzen Osterferientouristen, von denen viele Ostern nicht mehr als das Ereignis der Christenheit erfassen, sondern es als willkommene Auszeit für ein verlängertes Wochenende sehen. Gründonnerstag, Karfreitag, Karsamstag, Ostersonntag und Ostermontag. Fünf freie Tage mit dem Einsatz von maximal zwei Urlaubstagen. Das ist für viele Menschen in unserem Lande heute Ostern. Feiertage und freie Tage, die ohne Jesus Christus und sein Sterben am Kreuz und seine Auferstehung heute nicht denkbar wären. Wenn es um die Staatsablöse geht und man sich die Leserkommentare unter den Berichten anschaut, findet man dazu weitestgehend Zustimmung. Unter einem Artikel in der Welt finden sich 500 ziemlich eindeutige Leserkommentare, wie z.B. dieser:

„Als bekennender Heide kann ich die Grundidee nur begrüßen. Ich sehe nicht ein, dass von meinen Steuern, das Management der Betvereine alimentiert wird.“

Wollte man solche Stimmen ernst nehmen und demzufolge konsequent sein, müsste man eigentlich auch die christlichen Feiertage als arbeitsfreie Tage abschaffen. Das wären dann:

  • Erster und Zweiter Weihnachtsfeiertag
  • Karfreitag
  • Ostermontag
  • Christi Himmelfahrt
  • Pfingstmontag

Immerhin sechs freie Tage, mit denen man sich in Deutschland, wenn die Feiertage günstig liegen mit wenigen Urlaubstagen die freie Zeit vervielfachen kann.

In manchen Bundesländern kommen dann noch Heilige Drei Könige, Allerheiligen, Maria Himmelfahrt oder der Reformationstag hinzu. Sprich: Im Schnitt eine Woche lang frei, weil es die Kirche gibt, weil es das Christentum gibt. Hieße also: Eine Woche mehr arbeiten, wenn man’s in konsequenter Analogie streichen würde.

Ich glaube, dass in einem solchen Fall deutlich mehr Leserbriefe unter dem Artikel stünden, die vor Empörung nur so strotzen würden und wahrscheinlich würden die Menschen – und nicht nur die Kirchenmitglieder – sogar auf die Straßen gehen, um ihre freien Tage zu behalten.

Mal ganz zu schweigen vom Handel, wenn wir konsequenterweise Abstand von unseren christlichen Wurzeln nehmen würden: Keine Weihnachtsgeschenke mehr, keine Schokoweihnachtsmänner und -hasen, keine Ostereier mehr… Das mag jetzt trotzig klingen. Aber ich finde, dass man manchmal auch die Dinge in ihrer Konsequenz zu Ende denken muss, um zu sehen, wie alles miteinander verbunden ist. Ich glaube, dass der Staat allein durch den Kaufrausch im Vorfeld christlicher Feiertage durch die Umsatzsteuer mehr einnimmt, als er an Staatsleistungen ausgibt.

Und das ist nur das Offensichtliche. Kirche ist weit mehr als manche sehen wollen. Reden wir nicht von den Kulturdenkmälern, die viele Kirchen sind, oder von Schulen, Krankenhäusern, Kindertageseinrichtungen, Beratungsstellen und vielem anderen mehr, die verschwinden würden, wenn man den Eigenanteil zum Betrieb dieser Einrichtungen nicht mehr aufbringen kann. Die Angebote der Kirchen in den Bereichen Soziales, Gesundheit, Seelsorge, Jugendarbeit, Bildung und Kultur stehen allen offen und nicht allein den Kirchenmitgliedern. Wie viele Menschen, die in ihrer Not vor meiner Tür stehen und nicht Mitglied der Kirche sind, müsste ich fortschicken…

Aber warum echauffiere ich mich gerade so? Dabei verliere ich doch gerade den Faden… Also, wenn Gott uns die Verantwortung für die Verantwortung in die Hand gibt, sollten wir auch lernen, statt zu jammern, die Verantwortung, die wir haben wahrzunehmen. Auch daran erinnert der Palmsonntag Jahr für Jahr.

Und wenn man uns als Kirche gesellschaftlich nicht mehr wahrnimmt oder wahrnehmen möchte, weil wir unter die sogenannte 50%-Marke gesunken sind, dann hat das auch etwas damit zu tun, dass wir vielleicht verlernt haben, öffentlich zu bekennen. Unsere Position als Christinnen und Christinnen zu artikulieren. Vielleicht, weil wir in unseren Positionen als Kirche verrückterweise mit der einen oder anderen Partei in einen Topf geworfen werden und Kirche und z.B. grüne Politik verwechselbar geworden sind, wenn es um den Erhalt der Schöpfung geht, oder mit sozialdemokratischer Politik in einen Topf geworfen werden, wenn es um soziale Gerechtigkeit geht oder mit den Konservativen, wenn es um Fragen der Tradition geht. Unsere Haltung als Kirche ist verwechselbar geworden, weil wir das öffentliche Bekennen verlernt haben. Und wir haben einen schlechten Ruf bekommen, weil die Öffentlichkeit gar nicht mehr weiß, was wir wirklich tun. Unser Tun und Handeln wird, wenn man sich die Leserkommentare unter Artikeln zum Thema Kirche anschaut, mehr durch Vorurteile als durch Wissen definiert.

Palmsonntag erinnert uns an das Missverständnis. Die Menschen dachten etwas anderes, als Jesus in Jerusalem einzog, und weil er das nicht tat, forderten sie am Ende seinen Tod.

Doch auch wenn Jesus den qualvollen Tod am Kreuz gestorben ist, so dass jeder Mensch sehen konnte, was der leichtfertige Ruf „Kreuzige ihn!“ zur Folge hatte, lebte er am Ende doch und er lebt bis heute, weil er auferstanden ist und zum Vater aufgefahren ist.

Das mögen heute nicht mehr alle glauben, aber alle, die daran glauben, ziehen daraus Kraft und Zuversicht, finden Trost im Leiden. Und Jesus Christus hat – weiß Gott – oft genug zu seinen Jüngern gesagt, dass seine Nachfolge kein Zuckerschlecken sein wird. Dietrich Bonhoeffer fand dafür diese Worte:

„Ein schwerer, verhängnisvoller Irrtum ist es, wenn man Religion mit Gefühlsduselei verwechselt. Religion ist Arbeit. Und vielleicht die schwerste und gewiss die heiligste Arbeit, die ein Mensch tun kann.“

Ich glaube, wenn wir uns das vor Augen halten, zu Herzen nehmen und danach handeln, dann haben wir aus den Tagen zwischen dem Einzug Jesu in Jerusalem und seiner Auferstehung viel gelernt.

Pfarrer Martin Dubberke, Gedanken zu Palmsonntag am 2. April 2023

Pfr. Martin Dubberke
Pfr. Martin Dubberke

Wenn Sie mit mir Kontakt aufnehmen wollen oder mit mir ins Gespräch kommen möchten oder ein Feedback zu meiner Predigt geben wollen, schreiben Sie mir bitte einfach eine kurze Nachricht:


Eine kleine Buchempfehlung zur Passionszeit

Buchcover - Am Aschermittwoch fängt alles an